Perspektive

Die politischen Fragen im Streik bei Verizon

Der Streik von 39.000 Beschäftigten des amerikanischen Telekommunikationsriesen Verizon ist ein deutlicher Ausdruck der wachsenden Militanz und des Widerstandes der Arbeiter in den USA und auf der ganzen Welt. Er wendet sich gegen das wirtschaftliche und politische Establishment. Zeitgleich findet in Belgien ein wilder Streik der Fluglotsen statt. In Frankreich protestieren Arbeiter und Jugendliche massenhaft gegen den Sparkurs und die Angriffe auf den Arbeitsschutz. Und auch in Asien, Afrika und Lateinamerika nehmen Streiks und Proteste der Arbeiterklasse zu.

Im letzten Jahr hatten in den USA bereits die Arbeiter mehrerer Ölraffinerien gestreikt. Die Autoarbeiter leisteten zudem massiven Widerstand gegen die schlechten Tarifverträge, die die Gewerkschaft United Auto Workers bei General Motors und Fiat Chrysler durchsetzen wollten. Dabei wurde zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren ein Tarifvertrag von der Basis abgelehnt.

Nach acht Monaten Arbeit ohne Tarifvertrag sind die Monteure, Kundendienstmitarbeiter, Techniker und Mechaniker der Festnetzsparte von Verizon entschlossen, die Forderung des Unternehmens nach weiteren Zugeständnissen zurückzuweisen. Verizon fordert Stellenabbau, Kürzungen der Renten und Gesundheitsleistungen sowie die Möglichkeit, Beschäftigte monatelang an weit entfernte Orte zu versetzen. Obwohl das Unternehmen monatlich 1,8 Milliarden Dollar Gewinn macht, fordert es eine Obergrenze der Renten für ältere Arbeiter, eine weitere Verlagerung der Kosten für medizinische Behandlungen auf die Beschäftigten und die Ausgliederung von Arbeitsplätzen.

Verizon ist bereit, rücksichtslos gegen die Streikenden vorzugehen. Kurz bevor die Beschäftigten die Arbeit niederlegten, erklärte der Präsident der Festnetzsparte, das Management habe tausende von nicht organisierten Arbeitern als Streikbrecher ausgebildet und Personal an andere Standorte verlegt, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Er erklärte: „Ich möchte klarstellen, dass wir auf einen Streik vorbereitet sind.“

Anfang der Woche hatte Verizon allen Beschäftigten in einer E-Mail gedroht: „Es ist wichtig, dass alle verstehen, welches Verhalten das Unternehmen und die Gewerkschaften für einen Kündigungsgrund halten.“ Während des viermonatigen Streiks bei Verizons Vorgänger NYNEX im Jahr 1989 war der Streikende Gerry Horgan auf Streikposten von einem Streikbrecher überfahren worden.

Die Arbeiter dürfen nicht darauf vertrauen, dass die Gewerkschaften Communications Workers of America (CWA) und International Brotherhood of Electrical Workers (IBEW) sie gegen die Angriffe des Managements verteidigen oder einen ernsthaften Kampf führen werden. Sie haben jahrzehntelang in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Arbeitsplatzabbau und Zugeständnisse durchgesetzt, u.a. die Einführung eines Zweiklassensystems, in dem neu eingestellte Arbeiter keine Renten und keinen Kündigungsschutz erhalten. Im Jahr 2000 hatten sie einen Streik verraten, indem sie die Mehrheit der Streikenden noch während des Ausstandes an die Arbeit zurückschickten. Seither wurde die Belegschaft um 40 Prozent zusammengestrichen.

Im Jahr 2011 brachen die Gewerkschaften einen Streik nach nur zwei Wochen ab, ohne dass sie einen neuen Tarifvertrag oder eine Einigung mit dem Unternehmen erzielt hätten, das Kürzungen von einer Milliarde Dollar gefordert hatte. Ebenso wenig hatten sie eine Amnestie für Arbeiter ausgehandelt, die während des Ausstandes vom Management schikaniert und abgestraft wurden. Nach mehr als einem Jahr setzten sie einen Tarifvertrag durch, in dem ein Großteil der Forderungen von Verizon erfüllt wurden.

Damals schritt die Schlichtungsstelle (FMCS) der Obama-Regierung ein, um dem Unternehmen zu helfen, den Arbeitern den Tarifvertrag aufzuzwingen. Am Dienstag erklärte Verizon, der FMCS habe auch diesmal seine Unterstützung angeboten.

Die Gewerkschaften wollen Zugang zur wachsenden Mobilsparte des Unternehmens erlangen, die noch weitgehend unorganisiert ist, und das Unternehmen drängen, das Glasfaserangebot auszuweiten. Um neue Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge zu erzielen, sind sie bereit, die Löhne, Leistungen und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu opfern. Die CWA veröffentlichte am Dienstag eine Presseerklärung auf ihrer Webseite, in der sie kein Wort über die Forderungen nach weiteren Zugeständnissen bei Renten und Gesundheitsleistungen verliert.

Die Gewerkschaften verbinden korporatistische Zusammenarbeit mit dem Unternehmen mit Wirtschaftsnationalismus und Protektionismus. Die CWA und die IBEW konzentrieren ihre Kritik an der Konzernführung auf deren Verlagerung von Arbeitsplätzen auf die Philippinen, nach Mexiko und in andere Niedriglohnstaaten. Das Ziel davon ist, die Arbeiterklasse zu spalten und Verizon-Arbeiter gegen ihre Klassenbrüder und -schwestern in anderen Ländern aufzuhetzen. Gleichzeitig schaffen sie damit die Bedingungen für immer neue Zugeständnisse, durch die die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gesteigert werden soll. Das logische Ergebnis dieser reaktionären Politik ist ein Unterbietungswettkampf zwischen verschiedenen Teilen der Arbeiterklasse.

Verizon ist ein riesiges, global tätiges Unternehmen. Seine Sparte für Unternehmenslösungen unterstützt Dienste in 75 Ländern und verfügt über ein globales IP-Netzwerk, das mehr als 150 Länder erreicht. Die Vorstellung, amerikanische Arbeiter könnten gegen ein solches Unternehmen alleine und gegen den Widerstand der Arbeiter in anderen Ländern kämpfen, ist absurd.

Anstatt sich auf die Obama-Regierung und demokratische Politiker wie Senator Bernie Sanders aus Vermont zu orientieren, wie es die Gewerkschaften fordern, müssen die Verizon-Arbeiter auf die

Arbeiterklasse und die Jugend in den USA und ihre Kollegen in Mexiko, den Philippinen und auf der ganzen Welt zugehen.

Die Gewerkschaften setzen im politischen Bündnis mit der pro-kapitalistischen Demokratischen Partei die Unterordnung der Arbeiter unter die Profitinteressen und Einsparungen der Konzerne durch. Die CWA unterstützt Sanders Wahlkampf um die Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat und hat den Streik auf die anstehende wichtige Vorwahl im Bundesstaat New York abgestimmt. Sie hat den Ausstand mit Sanders' Wahlkampf koordiniert, damit der selbst ernannte „demokratische Sozialist“ auf einem Streikposten in Brooklyn auftreten und seine Anti-Wall Street- Rhetorik verbreiten kann. Zudem wies die CWA die Streikposten an, zu einer Kundgebung von Sanders am Dienstagabend in Manhattan zu gehen.

Sanders vertritt im demokratischen Vorwahlkampf am offensten Positionen des Protektionismus und Handelskriegs, die sich mit dem „Amerika zuerst!“-Nationalismus der Gewerkschaftsbürokratie decken. Die Verizon-Gewerkschaften versuchen durch diesen Wahlkampf erneut, die siedende Wut und Militanz der Arbeiter in die Sackgasse der Demokratischen Partei zu lenken. Diese hat nicht weniger als die Republikaner den Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter zerstört und die Wirtschafts- und Finanzelite noch reicher gemacht.

Die Gewerkschaften üben zwar Kritik an der Forderung des Unternehmens nach weiteren Kürzungen bei den Gesundheitsleistungen der Arbeiter, verschweigen aber den Zusammenhang mit Obamas Gesundheitsreform. Verizon begründet die Kürzungen nämlich mit der sogenannten „Cadillac-Steuer“ in Höhe von 40 Prozent, die Unternehmen seither für eine – im Sinne der Reform – zu großzügige Krankenversicherung entrichten müssen.

Hillary Clintons Sympathieerklärung für die Verizon-Beschäftigten ist völlig zynisch und heuchlerisch. Sie und ihr Ehemann haben seit ihrem Ausscheiden aus dem Weißen Haus Bestechungsgelder in zweistelliger Millionenhöhe von der Wall Street und der Wirtschaftselite erhalten und ihre Amtszeit dazu genutzt, selbst in die Finanzaristokratie aufzusteigen. Bill Clinton hat als Präsident 1996 zudem den Telecommunications Act unterzeichnet, der zu einer Welle von Fusionen und Konsolidierungen führte, aus denen Verizon als Firmengigant hervorging.

Die Arbeiter bei Verizon müssen die Politik der Gewerkschaften ablehnen und ihnen die organisatorische Kontrolle über den Streik entreißen. Sie müssen Aktionskomitees wählen und sich an breite Teile der Arbeiterklasse und der Jugend wenden sowie Kontakt zu den Beschäftigten anderer Telekommunikationsfirmen auf der ganzen Welt organisieren.

Dies muss mit einer neuen politischen Strategie verbunden werden: mit dem Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse, ausgestattet mit einem wirklich sozialistischen Programm, das u.a. die Verstaatlichung der Banken und Großkonzerne und ihre Umwandlung in öffentliches Eigentum unter der demokratischen Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung beinhaltet.

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