Konflikte um europäische Finanzpolitik kündigen soziale Angriffe an

Letzte Woche verstärkte sich in europäischen Finanzkreisen der Streit über die Finanzpolitik der Europäische Zentralbank. Nach dem Wall Street-Crash von 2008 und der anschließenden Finanzkrise hatte die EZB ihre Zinssätze auf fast null gesenktnund Billionen Euro gedruckt, um Wertpapiere aufzukaufen und die Finanzmärkte am Leben zu erhalten.

Doch diese Maßnahmen halfen nicht den europäischen Kapitalismus wiederzubeleben. Die immensen Finanzmittel wurden nicht genutzt, um Arbeitsplätze zu schaffen, sondern um die Superreichen auf der Grundlage gnadenloser, von der Europäischen Union diktierter Sozialkürzungen zu retten. Nun ziehen am Horizont der Weltwirtschaft neue Gewitterwolken auf, u.a. Anzeichen für einen möglichen Wirtschaftscrash in China. Angesichts dieser Entwicklung mehren sich die Streitigkeiten innerhalb der europäischen Bourgeoisie über die Frage, wie sie einen neuen Angriff auf die Arbeiterklasse organisieren kann.

Hohe deutsche Regierungsvertreter machen deutlich, dass Berlin die unkontrollierte Politik des billigen Geldes, wie sie von der EZB und der internationalen Zentralbanken wie der amerikanischen Federal Reserve nicht mehr länger hinnehmen will. Am 8. April warf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Präsidenten der EZB, Mario Draghi, in einer Rede vor der Stiftung Marktwirtschaft vor, die EZB sei verantwortlich für den Aufstieg der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) und ihren Erfolg bei den Landtagswahlen im März.

Schäuble erklärte: „Ich habe Mario Draghi (…) gesagt: Sie können stolz sein. 50 Prozent des Ergebnisses einer Partei, die in Deutschland neu und erfolgreich zu sein scheint, können Sie Ihrer Politik zuschreiben.“

Anfang letzter Woche deutete Schäuble noch offener an, dass die Politik der EZB Berlin schade und die Unterstützung eines Teils der herrschenden Elite für die EU untergrabe: „Es ist unbestritten, dass die Niedrigzinspolitik den Banken und der ganzen Finanzbranche in Deutschland momentan außergewöhnliche Probleme bereiten. Auch die Altersvorsorge leidet.“

„Deshalb weise ich auch immer wieder darauf hin, dass das die Bereitschaft der Bürger, der europäischen Integration zu trauen, nicht unbedingt stärkt“,fügte er hinzu.

Der bayrische Finanzminister Markus Söder schloss sich Schäubles Haltung am Montag an. Er nannte die Politik der EZB einen „Angriff“ auf Deutsche, die für ihre Rente gespart haben und erklärte in einem Spiegel-Interview: „Wir brauchen in Deutschland eine Debatte über die falsche Politik der EZB. Die Bundesregierung muss einen Richtungswechsel in der Geldpolitik einfordern.“

Die 2013 gegründete AfD hatte sich anfangs stark ablehnend gegenüber dem Euro positioniert, sich dann aber immer mehr auf das Schüren von Ausländerfeindlichkeit verlegt. Nun greift sie wieder den Euro an. Der stellvertretende Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, erklärte am Donnerstag in der Zeit: „Wir wollen nicht die EU verlassen, sondern den Euro. Er ist eine wirtschaftliche Absurdität.“

Wirtschaftszeitungen und Regierungsvertreter aus Ländern, die auf billiges Geld oder „quantitative Lockerung“ gesetzt haben, reagierten auf diese Äußerung erbost. Der Leitartikel der Londoner Financial Times vom Donnerstag trug die Überschrift „Deutschland sollte die Finger von der EU lassen“. Der Artikel bezeichnete Schäubles Äußerungen als „im Prinzip falsch und in der Praxis unklug“.

Auch die amtierende französische Sozialistische Partei (PS) griff Schäuble an. Finanzminister Michel Sapin warf dem deutschen Kollegen vor, er untergrabe das Prinzip der Unabhängigkeit der Zentralbank.

Sapin sagte: „Bei der Einführung der europäischen Einheitswährung hat Frankreich gelernt, dass man die Unabhängigkeit der EZB absolut, unvoreingenommen und in jeder Hinsicht respektieren muss. Ich hoffe, unsere deutschen Freunde werden sich erinnern, dass sie darauf von Anfang an bestanden haben. Frankreich hat sich diese richtige Haltung zu eigen gemacht, Deutschland sollte sie nicht aufgeben.“

Der amerikanische Wirtschaftsnachrichtensender CNBC ließ sich hysterisch darüber aus, dass die deutschen Regierungsvertreter nicht nur die Politik des billigen Geldes der EZB angegriffen haben, sondern auch die der amerikanischen Fed.

Er schrieb: „Wie man es von diesen EZB-Kritikern erwarten konnte, denken sie nicht lange darüber nach, was sie ihren europäischen Mitbürgern antun, die obdachlos, frierend und hungrig in den Schlangen vor den Suppenküchen und Obdachlosenunterkünften stehen... Doch die selbstsüchtigen Zyniker lassen sich in ihrer Kritik an der EZB nicht beirren. Sie wollen den Leuten weiterhin einreden, die unterstützende Kreditpolitik der EZB sei ineffektiv und sollte sofort eingestellt werden, damit die Zinsen auf Sparguthaben und Versicherungsprämien wieder steigen können.“

Diese gegenseitigen Vorwürfe sind heuchlerisch und unernst. Schäubles angebliche Sorge um deutsche Kleinsparer ist ebenso eine zynische Selbstdarstellung wie die Bedenken von CNBC und der PS-Regierung. Letztere zwingt den Arbeitern in Frankreich brutale Sparmaßnahmen auf. Dahinter verbirgt sich ein gnadenloser Kampf zwischen rivalisierenden imperialistischen Mächten um die Aufteilung der Profite.

Im Grunde entwickelt sich eine Krise der gesamten kapitalistischen Weltwirtschaft. Die scharfen Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten Europas treten offen zutage, da alle versuchen, sich auf neue Angriffe auf die Arbeiterklasse vorzubereiten.

Der zunehmende industrielle Abschwung in China, die Anzeichen für eine entstehende Rezession in Europa und die Gespräche zwischen Russland und Saudi-Arabien, bei denen es angeblich darum geht, den Verfall des Ölpreises aufzuhalten, weisen auf heftige und tiefgreifende Spannungen in der Weltwirtschaft hin. Die Arbeitslosigkeit in Südeuropa ist nach den drastischen Sparprogrammen der EU in Griechenland, Spanien und Italien auf zweistelligem Niveau, und die europäische Wirtschaft steht am Rande einer weiteren schweren Krise.

Der IWF wies vor kurzem in einem Bericht auf die ernsten Probleme im europäischen Bankwesen hin. Bis zu einem Drittel der europäischen Verleiher gemessen an dem Gesamtwert der Wertpapiere sind mit „beträchtlichen Herausforderungen konfrontiert, wenn sie ohne Reformen ihre Rentabilität wahren wollen.“ Der Bericht nannte speziell die Deutsche Bank und Credit Suisse als besonders problembehaftete Banken innerhalb des Finanzsystems der Eurozone. Für Großbritannien wurden Lloyds und die Royal Bank of Scotland als schwache Banken genannt.

Die deutsche Bevölkerung ist angesichts der reaktionären Hartz-Sozialreformen der letzten zehn Jahre zunehmend gezwungen, ihre privaten Ersparnisse anzuzapfen. Wenn sie in Rente gehet, droht ihr möglicherweise offene Altersarmut. Vermutlich wird fast die Hälfte aller pensionierten Arbeiter nur eine staatliche Armutsrente erhalten. Wer Ersparnisse für das Alter angesammelt hat, wird immer weniger Zinserträge dafür erhalten.

Während Berlin Krokodilstränen über die deutschen Rentner vergießt, um die Schrauben bei den hochverschuldeten Staaten in ganz Europa weiter anziehen zu können, ist die Rolle der Verteidiger „quantitativer Lockerung“ nicht weniger reaktionär. Die französische PS-Regierung will eine Reform des Arbeitsrechts gegen massive Jugendproteste durchsetzen, die es Gewerkschaften und Arbeitgebern erlaubt, den Schutz durch das alte Arbeitsrecht zu ignorieren.

Im Vergleich zur Lage vor acht Jahren, als die letzte globale Wirtschaftskrise ausbrach, ist der europäische Kapitalismus sozioökonomisch und politisch noch weniger in der Lage, seine Widersprüche zu lösen. Nicht nur sind die sozioökonomischen Bedingungen für die große Masse der Arbeiter zunehmend unerträglich, sondern auch auf viel höherer Ebene haben sich die Spannungen verschärft.

Deutschland hat 2014 angekündigt, die Politik der militärischen Zurückhaltung der Nachkriegszeit aufzugeben und beginnt, hunderte Milliarden Euro in sein Militär zu investieren Die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten über die Finanzpolitik werden sich zunehmend auch in militärischer Form äußern.

Vor allem der wachsende Einfluss neofaschistischer Tendenzen wie der AfD und des Front National (FN) in Frankreich, auf den Schäuble hinwies, muss als Warnung verstanden werden: die herrschende Klasse aller europäischen Länder greift zu immer aggressiveren Methoden. Während sie ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärft, nehmen auch die Konflikte zwischen den europäischen Ländern zu.

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