Berlinwahl: Arbeiter und Studenten sprechen sich gegen Krieg aus

Die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) sammelt derzeit über 2.000 Unterschriften, um im kommenden September an den Berliner Abgeordnetenhauswahlen und den Bezirkswahlen in Tempelhof-Schöneberg und Mitte teilzunehmen. Im Mittelpunkt ihres Wahlkampfs steht der Aufbau einer internationalen Bewegung gegen Krieg. Am letzten Samstag führte sie dazu eine Kundgebung in Berlin Schöneberg durch.

Ulrich Rippert spricht zu Passanten

„Siebzig Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur erheben die deutschen Eliten wieder den Anspruch, Hegemon Europas und Weltmacht zu sein“, erklärte Ulrich Rippert, Vorsitzender und Spitzenkandidat der PSG, auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz. Dort erinnert auch ein Mahnmal mit den Namen der Konzentrationslager an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust.

Während in allen Sozialbereichen Sparmaßnahmen durchgesetzt würden, habe Bundesverteidigungsministerin Von der Leyen zusätzliche Rüstungsausgaben in Höhe von 130 Milliarden Euro angekündigt, fuhr Rippert fort. „Wir klagen die Bundesregierung und alle Parteien, die auf Bundes- und Landesebene die Politik bestimmen, an, systematisch militärisch aufzurüsten und einen Dritten Weltkrieg in Kauf zu nehmen.“

Neben Rippert machten auch andere Redner deutlich, dass die Ursache für die Rückkehr von Militarismus und Krieg in der tiefen Krise des Kapitalismus liegt. Die herrschenden Eliten reagieren auf die wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft und die politische Krise wie in den dreißiger Jahren: Sie planen und führen Krieg, schüren Nationalismus und stärken aus Furcht vor sozialen Aufständen den staatlichen Unterdrückungsapparat.

„Wir wenden uns an alle, die nicht bereit sind, die Kriegsgefahr tatenlos hinzunehmen“, erklärte Rippert. Der Kampf gegen Krieg müsse von der internationalen Arbeiterklasse angeführt werden und sich auf eine revolutionäre sozialistischer Perspektive stützen.

Zahlreiche Passanten, die in dem belebten Einkaufsviertel unterwegs waren, blieben stehen, unterstützten die Wahlteilnahme der PSG mit ihrer Unterschrift und nahmen die Broschüre „Sozialismus und der Kampf gegen Krieg“ und Flugblätter zur Online-Kundgebung am 1. Mai mit.

Reporter der World Socialist Web Site sprachen am Rande der Kundgebung mit Arbeitern und Studenten über die Kriegsgefahr und die zunehmende soziale Ungleichheit.

„Für mich hat der Kolonialismus nie aufgehört“

Die gegenwärtige Kriegsentwicklung sei schrecklich, sagt die Graphikdesignerin Corinna N. (58). Man müsse Deutschlands Politik im globalen Zusammenhang sehen. „Deutschland hat enorme Einnahmen durch die Rüstungsexporte. Wenn sie Auslandseinsätze unterstützen, können sie die Waffenexporte noch weiter forcieren.“

Corinna

Besonders tragisch sei die Situation der Flüchtlinge. „Einer der schlimmsten Begriffe, die in den letzten Jahren kreiert wurden, ist ‘Wirtschaftsflüchtling’. Es wird unterschieden zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtling. Europa saugt die afrikanischen Staaten aus und sorgt dafür, dass die Menschen flüchten müssen. Und dann sagen sie: Nein, wir können keine Flüchtlinge aufnehmen. Das ist ein unbeschreiblicher Zynismus.“

Wenn man schon von Grenzschließungen spreche, so Corinna, hätte man schon vor Jahren die Grenzen von afrikanischer Seite aus schließen müssen – bevor die „Heuschrecken“ nach Afrika kamen. „Für mich hat der Kolonialismus nie aufgehört. Erst zieht man den Leuten den Boden unter den Füßen weg und sagt dann, sie sollen doch alle verrecken.“ Das mache sie extrem wütend.

Die Hetze gegen Flüchtlinge in Medien und Politik ist aus ihrer Sicht vor allem ein Mittel, um von Missständen im eigenen Land abzulenken. „Die Art und Weise, wie die Medien von Flüchtlingsströmen berichtet haben, hat die Leute ganz hysterisch gemacht und die Hetze gefördert.“ In Wirklichkeit sei Deutschland reich genug, um Flüchtlinge aufzunehmen und die soziale Situation zu verbessern.

Dass die Alternative für Deutschland (AfD) jetzt Einfluss gewinne, sei auch ein Ergebnis der offiziellen Politik, sagt Corinna. Diese habe jahrelang „getönt, die Gefahr von links sei genauso groß wie die von rechts. Über Jahre wurden die Übergriffe und Aktivitäten von Rechten wie der NPD gedeckelt. Das ist jetzt die Quittung. Ich habe immer noch nicht verstanden, warum sie solange geschlafen haben. Manchmal denke ich auch, die großen Parteien haben das mitgewollt.“

„Die etablierten Parteien sagen das eine und tun was anderes“

Die 22-jährige Gamze, die an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) Internationale Betriebswirtschaftslehre studiert, bemerkt zur Erhöhung der Rüstungsausgaben: „Statt in Rüstung sollte das Geld in Bildung oder andere soziale Bereiche investiert werden. Aufrüstung wird den Krieg nur weiter fördern.“ Die wahre Ursache für die Kriege sei das Interesse an Erdöl. „Es geht vor allem ums Geld. Jedes Land will nur seine Macht durchsetzen.“

Gamze

Gamze kritisiert den Pakt zwischen der Europäischen Union und der Türkei, der vorsieht, Menschen, die nach Griechenland geflüchtet sind, zurück in die Türkei abzuschieben. Ob das Geld, das die Türkei erhält, wirklich Flüchtlingen zu Gute komme, sei zu bezweifeln, so Gamze. Die jüngste Flüchtlingstragödie im Mittelmeer hat sie entsetzt. Man müsse Flüchtlinge legal ins Land lassen, betont sie, „damit sie nicht auf Schleuser angewiesen sind“.

Den etablierten Parteien begegnete Gamze mit Skepsis. „Die großen Parteien, zum Beispiel die SPD, sagen zwar alle, sie wollen Flüchtlinge unterstützen und für Frieden eintreten, gehen aber trotzdem in Richtung Krieg. Man weiß gar nicht, was man da glauben soll. Sie sagen das eine und tun was anderes.“

„Die deutsche Politik ist Heuchelei“

Anwar (l.) und Mohamed (r.)

Zwei junge Männer aus Ägypten äußern ihre Wut über die Kriege, die seit Jahrzehnten im Nahen Osten geführt werden. Mohamed (26) arbeitet als Ingenieur in Berlin. „Ich halte die deutsche Rüstungspolitik für Heuchelei“, sagt er, „weil die Regierung in Taten das unterstützt, was sie in Worten ablehnt. Die Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien und in Länder des Nahen Ostens sind nur ein Beispiel. Deutschland beteiligt sich an den US-Kriegen und der Politik der Gewalt, wie jedes europäische Land.“

Wenn man gegen den Terror des Islamischen Staates (IS) sei, müsse man erst einmal die Wurzeln des Problems erkennen. „Der IS wäre gar nicht so stark geworden, wenn keine Waffen dorthin geliefert worden wären“, gibt Mohamed zu bedenken. Den westlichen Ländern gehe es nicht um den Kampf gegen den IS, „sondern ums Öl“.

Mohamed und sein Freund Anwar (26), der in Aachen studiert, verfolgen die Entwicklung in ihrem Heimatland Ägypten mit Sorge. „Leider hat die Revolution nicht zu den Zielen geführt, die wir erhofft haben. Mittlerweile hat die Armee immer mehr Kontrolle übernommen,“ erklären sie.

Unter dem Diktator Al-Sisi würden die Waffen gegen die eigene Bevölkerung gewandt, sagt Anwar und berichtet, dass Freunde und Bekannte von ihnen grundlos verhaftet worden seien. Eine ägyptische Freundin, die Kindern auf der Straße geholfen habe, sei bei einer Polizeikontrolle festgenommen worden, weil sie nur einen US-amerikanischen Pass habe vorweisen können. Jetzt müsse sie dafür drei Jahre im Gefängnis sitzen. „Das ist eine von tausend Geschichten, die hier nicht bekannt sind.“

Auch in Bezug auf Ägypten sei die deutsche Politik reinste Heuchelei, so Mohamed. „Gleich nach dem Absetzen von [Staatspräsident Mohamed] Mursi haben sie in Deutschland den Putsch kritisiert. Und jetzt macht die deutsche Regierung den Handschlag mit dem Diktator.“

Mit der derselben Heuchelei begegne die Regierung den Flüchtlingen. Sie behaupte, es kämen zu viele Flüchtlinge nach Deutschland. Dabei hätten die arabischen Nachbarländer Syriens viel mehr Menschen aufgenommen. Die Flüchtlinge seien „Opfer des Systems“, sagt Mohamed. „Sie leiden unter den Folgen der amerikanischen und europäischen Kriege.“ Am schlimmsten treffe es diejenigen, fügt er nachdenklich hinzu, „die nicht genug Geld haben, um einen Fluchthelfer zu bezahlen“ und die in den verwüsteten Regionen ausharren müssen.

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