May Day 2016: Die Flüchtlingskrise und das Zeitalter des ununterbrochenen Kriegs

Julie Hyland, die stellvertretende Nationale Sekretärin der Socialist Equality Party (Großbritannien), hielt im Rahmen der internationalen Online-Maiversammlung des IKVI die folgende Rede.

Es gibt eine schreckliche Parallele zu unserer Maiveranstaltung im vergangenen Jahr. Vor wenigen Tagen wurde die Nachricht bestätigt, dass bis zu 500 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind. Sie waren auf dem Weg von Nordafrika nach Italien, als ihr Boot mitten in der Nacht auf hoher See kenterte.

Die Rede von Julie Hyland in Englisch

Kurz vor unserer letzten Maiveranstaltung hatte die Welt mit Entsetzen erfahren, dass 800 Migranten ihr Leben im Mittelmeer verloren hatten. Sie waren auf einem kleinen Fischerboot zusammengedrängt, das kurz vor der italienischen Insel Lampedusa versank.

Die damalige Tragödie schockierte die Welt und löste großes Mitleid aus. Doch über die jüngste Tragödie wurde kaum berichtet und sogar tagelang geschwiegen.

Das Schweigen war Absicht. Die Tragödie vor Lampedusa hatte ein Licht auf den menschlichen Preis des Zeitalters des ununterbrochenen Kriegs geworfen.

Das humanitäre Geschwätz, mit dem die imperialistischen Interventionen in Libyen, Syrien, Irak, Afghanistan und anderswo gerechtfertigt wurden, erwies sich als Lüge. Es geht nicht, wie behauptet, um den Schutz der Bevölkerung in diesen Ländern. Sondern diese fällt als Kollateralschaden den Bemühungen der imperialistischen Mächte zum Opfer, die Welt und ihre Ressourcen zwischen sich aufzuteilen.

Als Folge gibt es heute mehr Flüchtlinge auf der Welt als irgendwann zuvor in der Geschichte. Etwa 60 Millionen Menschen sind weltweit zur Flucht gezwungen worden. Einer von 122 Menschen auf der Erde ist damit Flüchtling. Die meisten sind nicht älter als 18 Jahre. Die große Masse der Geflüchteten hängt in den riesigen Flüchtlingslagern in Jordanien und der Türkei fest – und lebt dort unter schrecklichen Bedingungen.

Dies ist der Grund, warum in den 12 Monaten seit der Tragödie von Lampedusa mit aller Kraft versucht wurde, das Mitgefühl für Flüchtlinge und Migranten zu ersticken.

Das nimmt verschiedene Formen an. Die herrschende Elite und ihre Speichellecker in den Medien haben Zwischenfälle erfunden – wie die Kölner Sex-Attacken in der Silvesternacht – um rechte und faschistische Elemente zu stärken.

Dann wurde uns Frau Merkel als Schutzpatronin der Flüchtlinge und der „offenen Grenzen“ präsentiert. Aber ihre Methode, die sogenannte „Flüchtlingskrise“ zu lösen, hat sich als ebenso drakonisch erweisen, wie die ihrer Gegenspieler. Am deutlichsten zeigt dies der schmutzige Deal mit der türkischen Regierung, um Massenabschiebungen von Flüchtlingen aus Europa durchzuführen.

Natürlich sind Maßnahmen gegen Migranten keineswegs auf Europa beschränkt. In Amerika droht der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump, Muslimen die Einreise in die USA zu verweigern und eine Mauer entlang der mexikanischen Grenze zu errichten.

Doch was Trump androht, wird in Europa schon längst umgesetzt. Insgesamt werden derzeit Grenzzäune mit einer Gesamtlänge von 1.200 Kilometern gebaut – das entspricht in etwa der Hälfte der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko. Die Freizügigkeit, das Recht auf freie Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes, wird zumindest für die arbeitende Bevölkerung zunehmend außer Kraft gesetzt, da die nationalen Grenzen wieder hochgezogen und befestigt werden.

Das Recht auf Asyl existiert in Europa nicht mehr. Die EU deportiert Menschen massenhaft zurück in die Kriegsgebiete, aus denen sie geflohen sind. Von den angeblichen „Werten“ der EU, die nach dem Zweiten Weltkrieg verkündet wurden, ist nichts übrig geblieben.

Stattdessen erinnert Europa wieder an die 1930er Jahre: Die Opfer von Krieg und Verfolgung werden in provisorischen Lagern zusammengepfercht, ohne ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, ohne sanitäre Anlagen. Züge spucken die Geflüchteten an den Grenzen aus, wo sie mit Knüppeln, Gummigeschossen und Tränengas empfangen werden. Lagerinsassen werden Nummern auf den Arm gestempelt. Boote werden aufgehalten, abgedrängt und versenkt.

In Fischernetzen verfangen sich Leichen von Kindern, deren Namen keiner kennt. In nur einem hastig ausgehobenen Massengrab auf einem Friedhof bei Izmir liegen die sterblichen Überreste von etwa 400 Flüchtlingen, die meisten nicht identifiziert. 60 Prozent sind Frauen und Kinder. Die Inschriften auf ihren Gräbern wiederholen sich – geboren in Syrien, ertrunken im Mittelmeer, begraben in der Türkei.

Trotzdem stimmte das britische Parlament in der vergangenen Woche gegen eine Resolution, die nur 3.000 allein reisenden Kindern, die derzeit in Flüchtlingslagern oder irgendwo auf den Straßen Europas leben, eine Aufnahme in Großbritannien ermöglicht hätte. Kurz zuvor hatten sich die europäischen Führer mit Obama getroffen, um ihre Pläne für eine erneute Militärintervention in Libyen abzustimmen. Zu diesen Plänen gehört auch, die Opfer der Aggression massenhaft in Internierungslager zu stecken.

Wie ist solch ein Rückschritt möglich auf einem Kontinent, der die Schrecken des Nationalismus, des Fremdenhasses und des Kriegs doch nur allzu gut kennt?

Politisch spielen hier die Pseudolinken die wichtigste Rolle. Jahrzehnte lang hatten sich diese Organisationen zum Antirassismus bekannt. Nun fordert Professor Slavoj Žižek, Star des postmodernistischen Irrationalismus, die Militarisierung der europäischen Grenzen. Er verlangt, Europa solle nicht länger seinen liberalen Träumen anhängen, dass verschiedene Kulturen nebeneinander existieren könnten.

Žižek ist nur ein Beispiel für das, was die WSWS als Verwandlung der pseudolinken Ideologen in offene Anhänger der Rechten bezeichnet hat. Diese üblen politischen Elemente repräsentieren die Interessen einer gut gestellten Mittelschicht und wenden sich immer offener gegen die Arbeiterklasse.

Žižek Vorschläge werden von seinen politischen Ebenbildern in der griechischen Syriza-Regierung verwirklicht. Diese setzen im Auftrag der EU die Zwangsdeportationen und Gewaltmaßnahmen gegen Flüchtlinge um.

Dasselbe geschieht in Spanien, wo Podemos das Deportationsabkommen der EU mit der Türkei abgenickt hat. Ohne ihre Unterstützung wäre der EU-Türkei-Deal nicht zustande gekommen, denn er brauchte die Zustimmung sämtlicher Mitgliedstaaten.

So sind die pseudolinken Koalitionen in Griechenland und Spanien praktisch und politisch für die Massendeportationen verantwortlich, die von Menschenrechtsorganisationen als Verletzung des Völkerrechts verurteilt werden.

In Deutschland veranlasst der thüringische Ministerpräsident von der Linkspartei, Bodo Ramelow, Massendeportationen von Flüchtlingen, die größtenteils vom Balkan kommen. In diesem Jahr sind bereits 460 Menschen deportiert worden, viele wurden mitten in der Nacht von der Polizei aus dem Schlaf gerissen.

Und in Großbritannien zeichnet sich ein Konsens zwischen Corbyns Labour Party und ihren pseudolinken Unterstützern ab, dass die Freizügigkeit eingeschränkt werden muss.

Diese Organisationen sind in vollem Umfang mitverantwortlich für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nun in Europa begangen werden.

Am Schicksal von Migranten und Flüchtlingen zeigt sich auf schreckliche Weise die Barbarei und Irrationalität des kapitalistischen Profitsystems. Ihre Verteidigung ist der Prüfstein der sozialistischen Bewegung. Sie ist nur durch den Aufbau einer Massenbewegung gegen imperialistische Kriege und Militarismus möglich, die sich auf die Arbeiterklasse stützt. Dies ist die Aufgabe, die sich das IKVI mit dieser Maiveranstaltung setzt. Ich appelliere an euch alle, euch diesem wichtigen Kampf anzuschließen.

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