EU will „Migrationspartnerschaften“ mit afrikanischen Despoten

In der Flüchtlingspolitik lässt die Europäische Union alle menschenrechtlichen Hemmungen fallen. In einem von der EU-Kommission vergangene Woche vorgelegten Strategiepapier werden „Migrationspartnerschaften“ mit neun Herkunfts- und Transitstaaten in Afrika und dem Nahen Osten umrissen, die für die Kooperation bei der Flüchtlingsabwehr und der Rücknahme von Flüchtlingen belohnt werden sollen.

Ziel der als „compacts“ bezeichneten Abkommen „ist eine Bekämpfung von Fluchtursachen und ein Rückgang der irregulären Migration nach Europa“, wie EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt erklärte. Tatsächlich handelt es sich aber um ein Fluchtverhinderungsprogramm, mit dem vor allem die Flüchtlinge selbst bekämpft werden sollen. Die „Partner“ der EU sollen Fluchtrouten schließen, Flüchtlinge festsetzen und in die Herkunftsländer abschieben.

Schon die Liste der Länder, mit denen Abkommen geschlossen werden sollen, macht deutlich, dass die EU bei der Wahl ihrer Kooperationspartner nicht zimperlich ist. Avramopoulos nannte in dem Interview Jordanien, Libanon, Tunesien, Niger, Mali, Äthiopien, Senegal, Nigeria und Libyen. Hinzu kommt noch das EU-Projekt „Better Migration Management“ (Verbessertes Migrationsmanagement), mit dem die EU insbesondere die diktatorischen Regime im Sudan, Südsudan, Äthiopien, Somalia und Eritrea bei der Flüchtlingsbekämpfung mit technischer Ausrüstung unterstützen will. Es handelt sich also um die wichtigsten Herkunfts- und Transitstaaten für Flüchtlinge aus Afrika.

Die Vereinbarung, die die EU mit diesen Staaten treffen will, soll die jeweiligen Regierungen davon „überzeugen, dass sie illegale Migranten wieder zurücknehmen. Wir möchten zudem erreichen, dass diese Länder konsequent gegen Menschenschmuggler vorgehen und dass sie ihre Grenzen wirksam sichern“, erklärte Avramopolous gegenüber der Welt. Flüchtlinge als „illegale Migranten“ zu bezeichnen, hat sich mittlerweile in der EU eingebürgert, um diesen verzweifelten Menschen, die vor Verfolgung, Krieg und Elend fliehen, jedes Recht auf Schutz in Europa abzusprechen.

Um die Kooperation bei der Flüchtlingsbekämpfung sicherzustellen, will die EU im Gegenzug die finanziellen Hilfsleistungen für die für die „Migrationspartnerschaften“ vorgesehenen Staaten aufstocken. Sie stellt zudem den Ausbau der Handelsbeziehungen und Lockerungen der Visabestimmungen in Aussicht. Bis zum Jahr 2020 will die Kommission knapp 8 Milliarden Euro für das Programm bereit stellen.

„Wir schlagen eine Mischung positiver und negativer Anreize vor, um jene zu belohnen, die mit uns effizient zusammenarbeiten und um sicherzustellen, dass es Konsequenzen für diejenigen gibt, die das nicht tun“, sagte der Vizekommissionspräsident der Europäischen Union, Frans Timmermans vor dem Europaparlament in Straßburg. Timmermans erläuterte jedoch nicht, welche Nachteile kooperationsunwilligen Staaten angedroht werden.

Mit blankem Zynismus lobte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Gianni Pittella, die Vorschläge der EU-Kommission. Afrika dürfe „nicht zu einem Käfig werden, aus dem Migranten nicht herauskommen“ und die EU-Mitgliedsstaaten müssten dafür einen finanziellen Beitrag leisten. Dabei besteht der Plan der EU-Kommission genau darin, die Flüchtlinge um jeden Preis in Afrika festzusetzen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach gar von einer „kopernikanischen Wende“ in der EU-Politik.

Es ist atemberaubend, wie offen die Europäische Union ihre sonst so hoch gehaltenen „Werte“ und Grundsätze mit Füßen tritt. De facto macht die EU mit den Migrationspartnerschaften deutlich, dass sie nicht länger gewillt ist, sich an die international bindende Genfer Flüchtlingskonvention zu halten.

„Wir wollen versuchen, Ordnung in die Migrationsströme zu bringen“, sagte Timmermans und griff damit eine Formulierung auf der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf. Diese hatte bereits im April dieses Jahres das Ziel ausgegeben, „auch die Flüchtlingsroute von Libyen nach Italien zu ordnen und zu steuern, wie wir das bei der Türkei gemacht haben“.

Bereits der schmutzige Deal der EU mit der Türkei verstößt systematisch gegen die Rechte von Flüchtlingen. Sie werden in Griechenland inhaftiert und selbst Kinder werden unter katastrophalen Bedingungen in Internierungslagern gefangen halten. Die Türkei lässt an der Grenze auf syrische Bürgerkriegsflüchtlinge schießen und schiebt Flüchtlinge rücksichtslos in ihre Herkunftsländer ab.

Einen solchen Deal mit Libyen abzuschließen, wie es die EU-Kommission nun plant, wäre ein weiteres Verbrechen. In Libyen herrscht seit der 2011 von den USA geführten Militärintervention der Nato, um die Regierung von Muammar al-Ghadafi zu stürzen, ein blutiger Bürgerkrieg, der das Land politisch und ökonomisch in ein völliges Chaos gestürzt hat. Im Land gibt es drei Regierungen, von denen keine größere Gebiete kontrolliert. Eine jüngst von den imperialistischen Mächten eingesetzte „Einheitsregierung“ dient vor allem dem Zweck, eine weitere militärische Invasion der USA und ihrer europäischen Verbündeten vorzubereiten.

Erst jüngst hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International einen Bericht veröffentlicht, der willkürliche Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten durch die libysche Küstenwache belegt. Flüchtlinge, die auf dem Meer aufgegriffen worden waren, wurden geschlagen und beschossen und in libysche Haftzentren verschleppt, wo sie misshandelt und gefoltert wurden. Trotzdem will die EU Flüchtlinge dorthin abschieben.

Ein weiterer „Partner“ der EU ist die sudanesische Regierung von Omar al-Bashir, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen gesucht wird. Trotzdem soll sein Regime nun Fahrzeuge, Kameras, ein Flugzeug und weitere technische Infrastruktur bekommen, um die „Grenzinfrastruktur“ an den 17 Grenzübergängen des Landes zu verbessern, wie es in einem Dokument der EU-Kommission heißt.

Federführend beim Deal mit dem Sudan ist die deutsche Bundesregierung. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wies zwar einen Bericht des britischen Guardian zurück, dass die Bundesregierung die Ausrüstung der sudanesischen Sicherheitskräfte finanziere, unterschlug dabei aber, dass die staatliche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) diese Aufgabe bereits übernommen hat.

In Eritrea wiederum will die EU insbesondere das Justizwesen weiter ausbauen. Das Militärregime von Isayas Afewerki ist eine brutale Diktatur und wird von den Vereinten Nationen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Ein UN-Bericht kam zu dem Schluss, dass in dem Land seit 25 Jahren systematisch Menschenrechtsverbrechen verübt wurden. Oppositionelle werden dort willkürlich inhaftiert, gefoltert und getötet.

Kaum besser sieht es im Südsudan, in Äthiopien oder in Somalia aus, die Brüssel ebenfalls als Türsteher gewinnen will, die für die Europäische Union die Drecksarbeit bei ihrer gnadenlosen Abschottungspolitik erledigen.

Die Kehrseite dieser brutalen Flüchtlingspolitik außerhalb der EU liegt in der immer massiveren Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes in der Europäischen Union selbst. Die Europäische Rat für Justiz und Inneres hat fast zeitgleich zur Vorstellung der Migrationspartnerschaften die griechische Regierung aufgefordert, die Türkei als sicheren Drittstaat anzuerkennen und noch mehr Syrer dorthin abzuschieben.

Der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka stellte sich unterdessen hinter den Vorschlag des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz (beide ÖVP), Flüchtlinge im Mittelmeer abzufangen und entweder sofort abzuschieben oder auf Inseln im Mittelmeer zu internieren. Als Vorbild nannte er Australien, das Flüchtlinge in Lagern auf Inseln im Pazifik inhaftiert.

Am Sonntag erklärte der bulgarische Außenminister Daniel Mitow in der österreichischen Zeitung Die Presse die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) für obsolet. Er behauptete, „das Dokument wurde im Grunde für Menschen verfasst, die vor kommunistischen Regimen davonliefen. Es handelte sich dabei nicht um Menschenmassen“. Das ist eine dreiste Lüge. Mitow unterschlägt, dass die 1951 verabschiedete GFK vor allem eine Reaktion auf die Verbrechen des Nationalsozialismus war. Hunderttausende Menschen, vor allen Juden, flohen zwischen 1933 und 1945 in Europa vor dem Hitler-Regime. Da kein Land sie aufnehmen wollte, fielen sie schließlich der brutalen Vernichtungsmaschinerie der Nazis zum Opfer.

Heute werden in Europa wieder Zehntausende Flüchtlinge in Internierungslager festgehalten und als „illegale Migranten“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ denunziert. Der Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen, Said Raad al-Hussein, hat das Vorgehen der EU nun scharf kritisiert. Die Zahl der Inhaftierungen nehme auf „besorgniserregende“ Weise zu, selbst unbegleitete Minderjährige würden eingesperrt, erklärte al-Hussein in Genf anlässlich der Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des UN-Menschenrechtsrates. Die von der EU als „Hotspots“ bezeichneten Lager seien, „im wesentlichen riesige Zwangshafteinrichtungen“. Al-Hussein forderte die EU auf, die Inhaftierungen von Migranten statistisch zu erfassen: „Ich fürchte, diese Zahlen werden sehr schockierend sein“.

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