Hautfarbe und Geschlecht in den amerikanischen Präsidentschaftswahlen

Die Präsidentschaftswahlen in den USA sind in neues Stadium getreten, seitdem die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton und der Unternehmer Donald Trump die Mehrheit der Vorwahlen für sich entschieden haben und damit ihre Nominierung sicherten. Nicht nur der Charakter beider Kandidaten, sondern auch ihre politischen Positionen haben sich nun deutlich heraus kristallisiert.

Bisher war die tiefgreifende Opposition gegen soziale Ungleichheit und die zunehmende antikapitalistische Stimmung in der Bevölkerung ein entscheidendes Element in den Vorwahlen. Das drückte sich in der Unterstützung für Bernie Sanders aus, der sich selbst als „demokratischer Sozialist“ bezeichnet. In seiner Wahlkampagne verurteilte er die „Milliardärsklasse“ und rief zur „politischen Revolution“ auf. Die Hauptursache für diese politische Radikalisierung liegt in den Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 2008. Seitdem hat eine Neustrukturierung der Klassenbeziehungen mit verheerenden Folgen für das Leben von Millionen von Menschen stattgefunden.

Die herrschende Klasse und insbesondere das Establishment der Demokratischen Partei ist weniger besorgt über den Aufstieg von Donald Trump als über die breite Unterstützung für Sanders. Diese hat zu einer politischen Krise für Clinton geführt und ihre geplante Nominierung ernsthaft gefährdet. Die zunehmende Unterstützung für Sanders war ein Schock für das gesamte politische Establishment, einschließlich Sanders selbst und die von der Wirtschaft kontrollierten Medien. Sie machte deutlich, dass sich eine Wählerschaft für antikapitalistische, sozialistische Ideen entwickelte.

Es gibt eine breite Übereinstimmung über beide Parteien hinweg, dass die Klassenfragen, die von Sanders Wahlkampfteam aufgeworfen wurden, bei den Präsidentschaftswahlen begraben werden müssen. Auf der höchsten Ebene des politischen Establishments wurde die Entscheidung getroffen, die Aufmerksamkeit auf Fragen von Hautfarbe und Geschlecht zu lenken. Dazu gehört auch, solche Probleme bewusst zu provozieren. Die Öffentlichkeit soll damit von der grundlegenderen wirtschaftlichen Spaltung der Gesellschaft abgelenkt werden. Die Demokraten werden das mit einer extrem rechten Kampagne verbinden, die das Ziel hat, Unterstützung von Teilen der Republikaner zu gewinnen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Clinton mit ihren engen Verbindungen zur Wall Street, zum Militär und den Geheimdiensten besonders fähig und zuverlässig ist, wenn es um Krieg im Ausland und den Angriff auf die Arbeiterklasse im eigenen Land geht.

Clinton gab in ihrer Siegesrede am letzten Dienstag die Richtung vor. Ihrer Rede war ein Video vorgeschaltet, dass ihre Kandidatur als den Höhepunkt eines über zwei Jahrhunderte gehenden Kampfes für Frauenrechte darstellt, der bis zu den ersten Bewegungen für die Einführung des Frauenwahlrechts zurückreicht.

Auch Bernie Sanders äußerte sich während seiner Gespräche mit Obama, Vizepräsident Biden und Führern der Demokraten im Senat. Bei seiner Rede vor dem Weißen Haus, machte er deutlich, dass er vorhat, eng mit Clinton zusammenzuarbeiten, was er schon zu Beginn seiner Wahlkampagne versprochen hatte. Er verurteilte Donald Trump und erklärte: „Es ist mir unbegreiflich, und ich sage das in aller Aufrichtigkeit, dass die Republikanische Partei im Jahr 2016 einen Präsidentschaftskandidaten hat, der Fanatismus und Diskriminierung zu den Grundpfeilern seines Wahlkampfs macht.“

Es war auffällig, dass Sanders Trump nicht als Milliardär angriff und seine Opposition mit seiner Kampagne gegen die Vorherrschaft von „Millionären und Milliardären“ in der amerikanischen Politik verband. Stattdessen bezog er sich ausschließlich auf Trumps Attacken gegen mexikanische Einwanderer, Muslime, Frauen und andere Gruppen, die sich durch Religion, Hautfarbe, Sprache oder Geschlecht auszeichneten und nicht durch ihre Klassenzugehörigkeit.

Die außergewöhnliche Intervention von Vizepräsident Joe Biden in die Auseinandersetzung um ein Sexualdelikt an der Universität von Stanford ist Teil dieser Bemühungen, die Identitätspolitik zum Zentrum des Wahlkampfs zu machen. Letzte Woche unterstützte Biden die Kampagne eines Stanford-Professors, die den Zweck verfolgt, den Richter abzuberufen, der das Urteil gegen den angeklagten 20-jährigen Studienanfänger aus Stanford gefällt hatte. Dieses sei zu milde gewesen.

Es gibt keinen Grund für die Teile der US-Regierung in ein strafrechtliches Verfahren auf lokaler Ebene einzugreifen. Biden hat keine derartige Sorge im Fall der zahllosen Opfer des mit Blei vergifteten Trinkwassers von Flint in Michigan erkennen lassen, oder im Fall der zahllosen Opfer von Polizeimorden in den USA. Ganz zu schweigen von denjenigen, die durch die militärische Gewalt der USA im Nahen Osten ausgebombt, verbrannt oder zu Flüchtlingen gemacht wurden.

Biden, der im Namen des Establishments der Demokratischen Partei handelt, kalkuliert, dass mit dem baldigen Ende der Sanders-Kampagne, die große Unterstützung unter Jugendlichen an den Universitäten hatte, eine neue Grundlage geschaffen werden muss, um Studenten für die Demokraten und Clintons Präsidentschaftskampagne zu gewinnen. Clinton wird in weiten Kreisen als korrupte Personifizierung des politischen Status quo verachtet. Das ist der Grund für die gezielten Bemühungen, rechte Propaganda in Zusammenhang mit Fragen des Geschlechts zu verbreiten.

Eine dreiste Argumentation für den Vorrang von Hautfarbe und Geschlecht gegenüber Klassenfragen kommt vom Publizisten der New York Times Paul Krugman, der die Kampagne von Clinton unterstützt und den Anhängern von Sanders nur Spott entgegenbringt. In einem Artikel von Samstag mit der Überschrift „Hillary und die Horizontalen“ definiert Krugman als „horizontale Ungleichheit“ die Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die auf Hautfarbe, Geschlecht usw. basieren. Der Gegensatz dazu ist für ihn die Klassenungleichheit (die er „individuelle Ungleichheit“ nennt), die anhand der wirtschaftlichen Position oder des Einkommens bemessen wird. Er erklärt: „Ob es uns gefällt oder nicht, die horizontale Ungleichheit, vor allem die Rassenungleichheit, wird die Wahlen bestimmen.“

Krugmann beschreibt Sanders Kampagne gegen wirtschaftliche Ungleichheit als „Wunschtraum“, weil sie Krugmans Ansicht nach die Tatsache ignoriert, dass die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten unwiederbringlich aufgrund unterschiedlicher Hautfarbe gespalten ist. Er behauptet: „Sich selbst zumindest teilweise als Mitglied einer [ethnischen] Gruppe zu definieren, ist Teil der menschlichen Natur.“ Seiner Überzeugung nach hat sich die Republikanische Partei lange Zeit nur halten können, weil sie „den Weißen in der Arbeiterklasse einredete, sie befände sich im Belagerungszustand und sämtliche Regierungsprogramme wären Geschenke an die anderen“.

Der Publizist der Times ignoriert die Tatsache, dass die Unterstützung für Sanders selbst eine Widerlegung seiner Charakterisierung der Arbeiterklasse ist. Er ignoriert außerdem den starken Rechtsruck der Demokratischen Partei, die schon lange ihr reformistische, liberale Programm mit begrenzten Zugeständnissen an die Arbeiterklasse aufgegeben hat, welches sie noch zwischen 1930 und 1960 vertrat. Stattdessen werden verschiedene Formen der Identitätspolitik gefördert, die vor allem Teile der gehobenen Mittelschicht begünstigt.

Krugman verteidigt die Wirtschaftspolitik der Obama-Regierung. Deren Gesundheitsprogramm stellt er eine Reihe mit dem New Deal aus den 30er Jahren und dem Programm der Great Society aus den 60er Jahren. In Wirklichkeit ging es darum, die Kosten für die Gesundheitsversorgung von den Unternehmen auf die Arbeiter zu verlagern. Krugman vertuscht bewusst die Ursache für Trumps Anziehungskraft auf manche Arbeiter: die Rolle der Obama-Regierung als Speerspitze der Großkonzerne bei der Zerstörung von Arbeitsplätzen, Löhnen und dem Lebensstandard.

Stattdessen behauptet er, die Wahlkampagne 2016 „wird vor allem eine Wahl sein, in der es um Identität geht“. Er fährt fort: „Der Republikanische Präsidentschaftskandidat repräsentiert nicht viel mehr als die Wut der Weißen über eine sich verändernde Nation. Und er tritt einer Frau gegenüber – ja, Geschlecht ist eine weitere wichtige Dimension in dieser Frage –, die ihre Nominierung genau denjenigen Gruppen verdankt, die seine Unterstützer hassen und fürchten.“

Trump liegt bei den Umfragen bei 43 Prozent. Zu behaupten, das sei der Maßstab für „die Wut der Weißen“ ist eine politische Verleumdung der Arbeiterklasse, ganz zu schweigen von der mathematischen Unsinnigkeit. Die Wahrheit ist, dass die arbeitende Bevölkerung sowohl Trump als auch Clinton aus gutem Grund verachtet. Sie sind die unpopulärsten Politiker, die jemals im Kampf um die Präsidentschaft gegeneinander angetreten sind. Ihre Kandidatur ist ein Gradmesser für die Isolation und den Bankrott der Finanzaristokratie der USA.

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