Kriegshetze und Geschichtsfälschung am 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht ohne Vorwarnung die Sowjetunion und begann einen Vernichtungskrieg, dem 27 Millionen Sowjetbürger zum Opfer fielen. Der 75. Jahrestag dieses historischen Verbrechens stand in Deutschland im Zeichen der Kriegsvorbereitungen der Nato gegen Russland. Während deutsche Panzer in Manövern wieder an die russische Grenze rollten, wurde der kriminelle Charakter des Überfalls auf die Sowjetunion relativiert und verharmlost.

Die Bundesregierung weigerte sich, irgendeine Form des offiziellen Gedenkens an eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu organisieren. Bundespräsident Joachim Gauck sah den Jahrestag des Überfalls nicht als Grund, nach Russland zu reisen. Stattdessen besuchte er Rumänien und Bulgarien.

In der einstündigen Debatte, die der Bundestag anlässlich des Jahrestags angesetzt hatte, wurden oberflächliche und leere Bekenntnisse zur deutschen Schuld an den Grauen des Ostfeldzugs von der aggressiven Rhetorik gegen Russland in den Schatten gestellt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) beschuldigte Russland, mit der Eingliederung der Krim die Schlussakte von Helsinki gebrochen zu haben. Er mahnte eine starke „Verteidigungsbereitschaft“ Deutschlands an und forderte, die „militärischen Fähigkeiten“ an die veränderte Sicherheitslage anzupassen.

Die Bremer CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann warf Russland vor, Krieg als Mittel der Politik zu betrachten. Deutschland müsse deshalb „verteidigungsbereit“ bleiben und brauche die Bundeswehr und die Nato. Der Linkspartei-Abgeordnete Gregor Gysi griff Russland wegen der „völkerrechtswidrigen Annexion der Krim“ an.

Ein Dreivierteljahrhundert nachdem der deutsche Imperialismus den europäischen Kontinent in Schutt und Asche legte, knüpfen die herrschenden Eliten wieder an ihre militaristischen Traditionen an. Dass sie dafür den Jahrestag des „Unternehmens Barbarossa“ nutzen, ist zynisch und kriminell.

Anfang 2014 hatten Steinmeier, Gauck und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen „das Ende der militärischen Zurückhaltung“ verkündet. Diese Rückkehr zu einer militärischen Großmachtpolitik erfordert, dass die monströsen Verbrechen des deutschen Imperialismus beschönigt werden. Deshalb wächst die Neigung zur Geschichtsklitterung.

So behauptete im Bundestag die Grüne Marieluise Beck gleich zu Beginn ihrer Rede, der Zweite Weltkrieg sei nicht allein von Deutschland, sondern durch den Einmarsch in Polen auch von der Sowjetunion begonnen worden.

Der CSU-Abgeordnete Alois Karl bezeichnet die Sowjetunion gar als „Aggressor“, der mit dem Nazi-Regime gemeinsame Sache bei der Aufteilung Mittel- und Osteuropas in Interessensphären gemacht habe. Dann zitiert er eine ältere Dame aus Lettland, laut der „beide aggressiven Regime“ für die Opfer in ihrem Heimatland verantwortlich seien.

Stalins Verbrechen werden benutzt, um die Kriegsschuld Deutschlands und den bestialischen Charakter des Vernichtungskriegs zu relativieren. Noch drastischer macht dies ein Artikel, der am 20. Juni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien. Nikolai Klimeniouk wirft Steinmeier darin vor, er spreche von einem „deutschen Tätervolk“, „als habe Nazi-Deutschland die friedliche Sowjetunion in einem geschichtslosen Raum außerhalb jeden Zusammenhangs überfallen“.

Schließlich macht Klimeniouk die Sowjetunion für die zivilen und militärischen Opfer des deutschen Angriffs verantwortlich. Der „hohe Blutzoll der UdSSR im deutsch-sowjetischen Krieg“ gehe „ebenso auf die Sowjetunion zurück wie auf den deutschen Aggressor“, schreibt er.

Der Autor verbindet diese atemberaubende Geschichtsfälschung direkt mit den Kriegsvorbereitungen gegen Russland, dem er vorwirft, es führe den „Großen Vaterländischen Krieg“ bis heute weiter. Deutschland dürfe seine Augen „vor dieser militärischen Aggression“ nicht verschließen. Es solle dem „Missbrauch der gemeinsamen traumatischen Geschichte“ nicht mehr tatenlos zusehen, fordert Klimeniouk.

Deutlicher kann man nicht formulieren, dass die Geschichtsfälschung der Rechtfertigung des deutschen Militarismus dient. Klimeniouk greift dabei ebenso wie einige Redner im Bundestag auf Lügen zurück, die bisher äußerst rechten, revanchistischen Strömungen vorbehalten waren.

In der Nachkriegszeit war von rechten Kreisen der Nazi-Mythos gepflegt worden, der deutsche Überfall sei einem unmittelbaren Angriff der Sowjetunion zuvorgekommen. Nachdem die Geschichtsforschung diese These als völlig haltlos zurückgewiesen hatte, löste Ernst Nolte 1986 mit der Behauptung, der Vernichtungskrieg sei eine verständliche Reaktion auf die Gewalt der Bolschewiki gewesen, den Historikerstreit aus. Auch Nolte wurde gründlich widerlegt.

Wenn nun behauptet wird, die Sowjetunion sei ebenso wie Nazi-Deutschland ein Aggressor gewesen, knüpft das an diese Mythen an.

Im rassistischen Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion drückten sich die historischen Interessen des deutschen Imperialismus und des internationalen Kapitalismus aus, die die Sowjetunion zerstören und „Lebensraum im Osten“ schaffen wollten. Hitlers Vernichtungswille, den er schon 1926 in „Mein Kampf“ formuliert hatte, ist minutiös dokumentiert.

Stalins Politik zielte dagegen, anders als die Hitlers, nicht auf imperialistische Eroberungen. Hinter Stalins Politik stand die Furcht der konterrevolutionären Bürokratie, das sowjetische Proletariat könnte sich gegen ihre Herrschaft erheben. Das Stalin-Regime hatte bereits 1937–38 im Großen Terror das Offizierskorps der Roten Armee und die Führer der Oktoberrevolution von 1917 liquidiert und die Sowjetunion damit empfindlich geschwächt.

Es stützte die Verteidigung der Sowjetunion nicht mehr auf die internationale Arbeiterklasse, sondern auf Bündnisse mit imperialistischen Mächten – erst mit Frankreich und England und dann, als diese in München Hitler nicht entgegen traten, mit Nazi-Deutschland. Stalins Pakt mit Hitler desorientierte die internationale Arbeiterklasse und erleichterte Deutschland den seit lange geplanten Angriff auf die Sowjetunion.

Trotzdem leistete die Rote Armee nach anfänglichen Rückschlägen heroischen Widerstand. Sie verkörperte den antifaschistischen Widerstand der sowjetischen Massen und der internationalen Arbeiterklasse, der durch die stalinistischen Verbrechen geschwächt wurde. Sie brach der Wehrmacht schließlich das Rückgrat und trug die Hauptverantwortung für Hitlers Niederlage.

Knopp, Baberowski und Neitzel

Doch um die heutigen Kriege der Bundeswehr zu rechtfertigen, wird diese historische Wahrheit angegriffen. Im öffentlich rechtlichen Fernsehen hat Guido Knopp diese Aufgabe übernommen. Der rechtslastige Historiker und Publizist, der unter anderem beim Geschichtsrevisionisten Werner Maser studierte, ist seit langem für seine Geschichtsklitterung im Zweiten Deutschen Fernsehen bekannt.

Am 19. Juni widmete er nun seine Sendung im Nachrichtenkanal Phönix dem Thema: „Unternehmen Barbarossa – Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg?“ Dazu lud er die beiden rechten Historiker Jörg Baberowski und Sönke Neitzel sowie Kristiane Janeke ein.

Baberowski gehört zu den wichtigsten Vertretern des Geschichtsrevisionismus. Schon im Februar 2014 hatte er im Spiegel erklärt: „Nolte wurde unrecht getan, er hatte historisch recht.“ In seinem eigenen Werk impliziert er, dass Stalin einen Angriff auf Deutschland ins Auge gefasst habe und dass Stalin und seine Generäle der Wehrmacht die Methoden des Vernichtungskriegs aufgezwungen hätten.

Auch Neitzel relativiert die Verbrechen des deutschen Militarismus. So behauptete er im Januar 2014 in der Tageszeitung Die Welt, Deutschland habe im Ersten Weltkrieg defensive Ziele verfolgt.

Die Diskussion auf Phönix gestaltete sich entsprechend. Gleich zu Beginn stellte Moderator Knopp in Frage, dass der Ostfeldzug ein geplanter Vernichtungskrieg war – eine Tatsache, die seit den Nürnberger Prozessen auch juristisch aktenkundig ist.

„War das der Vollzug von Hitlers lang gehegtem Plan von Lebensraum nach Osten oder reagierte er vor allen Dingen auf die Kriegslage?“, fragte Knopp. „Ein Stück weit war es beides“, antwortete Neitzel. „Es ist immer die Frage, ob wir wirklich daran glauben, dass Hitler einen Plan hatte.“

Dann machte Knopp die Sowjetunion für die Vernichtungsmethoden der Nazis mitverantwortlich und fragte: „Barbarossa war ja von Anfang an als Vernichtungsfeldzug konzipiert, aber so lange er dauerte brutal geführt wurde dieser Krieg ja letzten Endes auch von beiden Seiten. Eine blutige Spirale der Gewalt. Haben beide Seiten sich da auch wechselseitig aufgestachelt?“

„Unbedingt“, antwortete Baberowski und fügte später hinzu: „Das Interessante ist, dass die Bolschewiki, das hatten sie ja schon während der Besetzung Polens gezeigt, dass sie mit ganz ähnlichen Methoden im rückwärtigen Gebiet vorgingen. Eingebildete Feinde zu deportieren, Kollektive zu stigmatisieren, ganze Gruppen von Menschen aus der Gesellschaft auszusondern. Das war auf eine andere Weise schrecklich, aber es folgte sozusagen der gleichen Logik, dem gleichen Prinzip.“

Baberowski setzte das Vorgehen der Roten Armee mit der rassistische geplanten Vernichtung der europäischen Juden gleich: „Um das an einem Beispiel deutlich zu machen: als die Wehrmacht Rastow am Don eroberte 1941 wurden alle Juden der Stadt ermordet. Als wenig später die Rote Armee für kurze Zeit die Stadt wieder einnahm, wurden alle Deutschen und Minderheiten, die im Verdacht standen, mit den Deutschen zu kollaborieren, umgebracht. Also nicht nach sozialen, sondern nach ethnischen Kriterien.“

Neitzel griff diesen Punkt auf und behauptete sogar, die Sowjetsoldaten hätten den Nazis in ihrer Vernichtungsstrategie als Vorbild gedient. „Und zum Teil sagte ja sogar Goebbels: wir müssen von der Roten Armee lernen… Die Art und Weise, wie die Rote Armee Krieg führte, da gab es Wahrnehmungen, heute würden wir sozusagen von Transfergeschichte sprechen, also wie die das machen, so radikal, so müssen wir das eigentlich auch machen.“

Die Diskutanten trieben diese unverschämte Geschichtsklitterung schließlich bis zur Behauptung, man müsse den „Mythos“, die Rote Armee habe Osteuropa und Deutschland befreit, „widerlegen“. „War das eine Befreiung?“, fragte Knopp. „Massenhafte Vergewaltigung, Ersetzung einer Diktatur durch eine andere. Also nicht nur im Baltikum, auch in der DDR. Kann man da wirklich objektiv von Befreiung sprechen? Manche behauten ja, die Befreiung begann erst am 9. November 1989.“

„Wir haben für uns entschieden, in der Selbstrepräsentation unseres Staates, dass wir das als einen Akt der Befreiung verstehen wollen“, erklärt Baberowski. „Der Historiker ist derjenige, der den Mythos widerlegt. Wir sind nicht dazu da, Geschichtsbilder von Regierungen oder Gesellschaften zu bestätigen. Und dann würde man sagen: Befreiung ja, für KZ-Insassen ja. Von Nazis nicht, davon gab es ja ziemlich viele. Da würde man sagen, die waren nicht befreit, vergewaltigte Frauen auch nicht.“

Mit Vergewaltigungen durch die Rote Armee will Baberowski also den „Mythos“ widerlegen, diese habe Europa vom Nazi-Terror befreit. Dieses Argument und viele andere, die in der Phönix-Sendung, im Bundestag und in der FAZ aufgebracht wurden, sind aus rechtsextremen Zirkeln hinreichend bekannt. Sie werden jetzt beworben, um die Verbrechen des deutschen Imperialismus reinzuwaschen und neue Krige vorzubereiten.

Loading