Perspektive

Nach dem Referendum in Großbritannien

Stoppt den Putschversuch gegen Corbyn!

Die Socialist Equality Party verurteilt die Putschversuche gegen Jeremy Corbyn als Vorsitzenden der Labour-Party. Dabei geht es nicht nur um das Recht von Hunderttausenden Labour-Mitgliedern, selbst über ihre Parteiführung zu entscheiden, sondern auch um einen weiteren Rechtsruck in der offiziellen Politik und damit um eine Gefahr für die gesamte Arbeiterklasse.

Die Putschpläne wurden von rechten Labour-Abgeordneten geschmiedet. Aber es steht außer Zweifel, dass ihnen Diskussionen in den höchsten Kreisen des britischen Staates vorangingen: den Geheimdiensten MI5 und MI6, dem Spionagezentrum GCHQ sowie zwischen britischen Stellen und dem US-Außenministerium bzw. der CIA.

Die Beteiligten haben die Legitimität von Corbyns Wahl zum Parteichef im September letzten Jahres nie akzeptiert. Sie betrachten ihn als Störenfried, der ungewollt durch das neue Wahlsystem aufstieg, das Ex-Parteichef Ed Miliband eingeführt hatte. (Damit wurden die Blockstimmen der Gewerkschaften durch individuelle Stimmen von Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern und einer neuen Kategorie von Labour-Anhängern ersetzt.) Die rechte Fraktion konnte sich nicht damit abfinden, dass Corbyn dann die Unterstützung von fast 90.000 Menschen gewann, weil er sich gegen Austerität und Militarismus aussprach.

Der unmittelbare Auslöser für das jetzige Vorgehen der Rechten ist der Schock über den Sieg der Austrittsbefürworter im Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens am 23. Juni. Die Spitzen des britischen Staats sind zu dem Schluss gelangt, dass angesichts der nun zu erwartenden globalen Verwerfungen und der tiefsten Krise der herrschenden Elite seit 1945 keinerlei oppositionelle Stimmungen gegen Austerität, Militarismus und Krieg mehr geduldet werden können.

Die Regierung der Konservativen steckt in der Krise. Premierminister David Cameron hat am Freitag seinen Rücktritt angekündigt, schon in wenigen Wochen soll ein Nachfolger gewählt werden. Der Wechselkurs des Pfunds ist in den Keller gestürzt, die EU droht zu zerreißen und es ist gut möglich, dass noch im Herbst vorgezogene Neuwahlen stattfinden. So sollen Möglichkeiten eröffnet werden, neue Regierungskoalitionen zu finden und das Ergebnis des Referendums doch noch umzukehren.

Washington ist direkt in die Beratungen involviert. Es fürchtet vor allem, dass der Brexit seine Pläne für militärische Aggressionen gegen Russland und China stören könnte. US-Außenminister John Kerry traf nach Diskussionen in Brüssel gestern in London ein. Laut der Financial Times drängte er beide Seiten [die EU und GB], den Schaden für die wirtschaftliche Stabilität und die Sicherheitszusammenarbeit möglichst gering zu halten.

Die Zeitung fügte hinzu, dass die Obama-Regierung große Anstrengungen unternehmen werde, die zunehmenden Interessengegensätze in Europa unter einen Hut zu bekommen, um die EU zu retten und zu verhindern, dass die Brexit Krise auf die Nato überspringt.

Es ist auffällig, dass sich Labour nach dem Referendum im freien Fall befindet, obwohl die Abstimmung eigentlich auf einen harten Fraktionskampf zweier gleichermaßen rechter Fraktionen der Tory-Party zurückging. Man hätte meinen können, dass die Labour Party, deren Mitgliedschaft mehrheitlich für den Verbleib in der EU stimmte, Neuwahlen fordern würde, um die Krise der Tories auszunutzen, die ganz offensichtlich ihre Basis nicht mobilisieren konnten.

Stattdessen hat die Mehrheit der Unterhausfraktion von Labour nichts Besseres zu tun, als sich zum Sturz ihres Vorsitzenden zu verschwören.

Am Nachmittag des 25. Juni (Freitag) – nur wenige Stunden, nachdem der Ausgang des Referendums bekannt geworden war – brachten Dame Margret Hodge und die Abgeordnete Ann Coffey einen Misstrauensantrag gegen Corbyn ein. Am Morgen des darauffolgenden Montags erklärte Schattenaußenminister Tom Watson, dass die Parlamentsfraktion der Labour Party Corbyn das Vertrauen entziehe und er zurücktreten sollte. Als die Labour-Abgeordneten noch am selben Tag über den Misstrauensantrag abstimmten, waren bereits zwei Drittel der Mitglieder des Schattenkabinetts zurückgetreten. Am nächsten Tag, so wurde kolportiert, würden 70 % der Labour-Abgeordneten Corbyn auffordern seinen Hut zu nehmen.

Ein solcher Vorfall ist selbst in den unappetitlichen Annalen der Labour Party ohne Beispiel. Seit seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden hat Corbyn in jeder politischen Frage vor dem rechten Parteiflügel kapituliert: bei der Austeritätspolitik, der Nato-Mitgliedschaft, der Modernisierung der Trident-Atomraketen, dem Krieg in Syrien und der EU-Mitgliedschaft. Im Namen der Einheit der Partei berief er alle seine rechten Gegner in das Schattenkabinett. Immer wieder hatte er Forderungen zurückgewiesen, sie dieser Posten zu entheben. Und nun haben sie ihm mehrheitlich den Dolch in den Rücken gestoßen.

Bisher hat Corbyn die Forderung nach seinem Rücktritt abgelehnt, hält den Rechten aber immer noch den Ölzweig hin. Corbyn ist sich des pro-imperialistischen und rechten Charakters seiner Gegner völlig bewusst. Aber während einer Kundgebung zu seiner Verteidigung auf dem Parliament Square verlor er kein Wort über das Ergebnis des Referendums und erwähnte mit keinem Wort die Putschisten. Stattdessen bettelte er erneut um Einheit.

Das ist das Endergebnis einer monatelangen Entwicklung, in der Corbyn den Rechten immer wieder die politische Initiative überlassen hat. Doch die Revolte der Fraktion legt noch grundlegendere Probleme bloß als Corbyns Schwäche.

Die Socialist Equality Party solidarisierte sich letzten September mit den zahlreichen Menschen, insbesondere Jugendlichen, die Corbyns Bewerbung um den Parteivorsitz unterstützten. Sie forderte die Corbyn-Anhänger allerdings auf, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und sich vor allem über den pro-imperialistischen Charakter der Labour Party klar zu werden. Während die Pseudolinken die Illusion verbreiteten, dass die Labour Party durch Corbyns Sieg wieder zu ihrer reformistischen Vergangenheit zurückkehren und im Kampf gegen die Kürzungspolitik die Interessen der Arbeiterklasse vertreten könnte, erklärte die World Socialist Web Site: „Die Geschichte der britischen Labour Party begann nicht mit Blair. Sie ist seit mehr als einem Jahrhundert eine bürgerliche Partei und erwiesenermaßen ein Instrument des britischen Imperialismus und seines Staatsapparats. Ob unter Clement Attlee, James Callaghan oder Jeremy Corbyn: ihr wesentlicher Charakter hat sich nicht geändert.“

Der Putschversuch der Rechten bestätigt diese Einschätzung Labours als unverzichtbaren Teil des Staatsapparats.

Nach Corbyns Ernennung hatte die WSWS auf die Aussage eines „anonymen aktiven hohen Generals“ hingewiesen, dass es die reale Möglichkeit einer „Meuterei“ gegen Corbyn bestehe, sollte er jemals Premierminister werden. Nun ist die Bourgeoisie offenbar zu dem Schluss gelangt, dass es sinnvoller ist, Corbyn mithilfe der Labour-Unterhausfraktion loszuwerden, als mithilfe der Armee.

Großbritannien segelt in unbekannte Gewässer. Als wichtiger Pfeiler der bürgerlichen Herrschaft wird die Labour Party gefordert sein, bei der Verteidigung der strategischen Interessen der britischen Bourgeoisie eine Schlüsselrolle zu spielen. Womöglich wird sie dazu die Regierung übernehmen oder sich an einer nationalen Koalitionsregierung beteiligen. Mit Sicherheit wird sie Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen und die uneingeschränkte Beteiligung Britanniens an den Kriegsplänen der Nato unterstützen.

Der Leitartikel der Financial Times vom Montag schließt mit den Worten: „Labour muss jetzt handeln und Jeremy Corbyn loswerden.“ Das Sprachrohr des Finanzkapitals drängt die Abgeordneten, „der ganzen Arbeiterbewegung die Folgen des falschen Kurses deutlich zu machen, den sie eingeschlagen hat…. Nachdem sie den Dolch gezogen haben, dürfen die Labour-Abgeordneten jetzt nicht zurückschrecken.

Die SEP unterstützt jeden Versuch, die rechten Putschisten und ihre staatlich gelenkte Verschwörung für einen weiteren politischen Rechtsruck zu besiegen. Aber wir warnen die Arbeiter und Jugendlichen, die diesen politischen Kampf aufnehmen wollen, dass er innerhalb der Labour Party nicht zu gewinnen ist. Um den Kampf gegen die herrschende Klasse und ihre Lakaien kompromisslos bis zuende zu führen, muss eine neue, wirklich sozialistische Führung aufgebaut werden.

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