Filmbesprechung:

„All the way“ - Lyndon B. Johnson und die Bürgerrechtsbewegung

Der im US Bezahlfernsehsender HBO gezeigte Film von Jay Roach (Trumbo) All the Way, ist eine Adaption des ersten von zwei Stücken Robert Schenkkans über die Präsidentschaftszeit von Lyndon B. Johnson. Er umfasst die Zeit des ersten Amtsjahrs vom November 1963 – nach der Ermordung John F. Kennedys – bis November 1964. (Schenkkans The Great Society [Die große Gesellschaft] umfasst die Zeit vom November 1964 bis März 1968, als Johnson plötzlich verkündete, er wolle angesichts des vietnamesischen Widerstands gegen das amerikanische Militär und wegen der wachsenden Opposition im eigenen Land gegen den brutalen Krieg nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren.)

Glücklicherweise vermeidet All the Way ebenso wie der kürzlich gezeigte Film American Crime Story: The People v. O.J. Simpson die allgegenwärtige Identitätspolitik. Die Darstellung von Johnsons Kampf im Rahmen seines „Kriegs gegen die Armut“ sowie etliche herausragende schauspielerische Leistungen stellt einen ungewöhnlich erfolgreichen Versuch dar, amerikanische Geschichte oder zumindest einen kleinen Teil davon auf authentische Weise zu zeigen.

Allerdings fehlen in dem HBO Stück einige typische Ereignisse, wie z.B. die Darstellung des Austauschs von Argumenten im Kongress während der endlosen Debatten (Filibuster, d. h. Dauerreden) um die Civil Rights Bill Wahltests für Afroamerikaner für ebenso illegal erklärte wie die Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen wie Restaurants, Kinos, Hotels, Sportstadien, Bussen, Sanitäreinrichtungen und das Justizministerium ermächtigte dies auch überall durchzusetzen. und der Parteitag der Demokratischen Partei von 1964.

Nach der Ermordung Kennedys in Dallas kehren der neue Präsident (Bryan Cranston) und seine Frau, Lady Bird (Melissa Leo) nach Washington zurück. Trotz der Unsicherheiten die ihn verfolgen, die seiner schwierigen Jugend ebenso geschuldet sind wie den Vorbehalten vonseiten der Regierung der Kennedys (besonders von Robert Kennedy) – ist die erste Amtshandlung Johnsons als Präsident, eine Rede vor dem Repräsentantenhaus zu halten, in der er darauf drängt, die Bürgerrechtsgesetze zu verabschieden.

Johnsons Drängen traf im Kongress sowohl auf den Widerstand der Liberalen als auch der Konservativen. Das führte zu einem endlosen Filibuster im Senat. Auch Martin Luther King Jr. (Anthony Mackie) war zunächst gegen das Gesetz, weil es das Stimmrecht [für Afroamerikaner] nicht einschloss.

Der immer heftiger werdende Krieg in Vietnam trug ebenfalls dazu bei, dass der neu ins Amt gekommene Präsident um seine Aussichten fürchten musste, die Wiederwahl 1964 zu gewinnen. Johnson kämpfte heftig an beiden Fronten für die Sache der Bürgerrechte. Der Präsident erreichte schließlich die Unterstützung Kings, nachdem er ihm versichert hatte, dass das allgemeine Wahlrecht zwar nicht in das zur der Zeit verhandelte Gesetz, aber in seinen Krieg gegen die Armut eingeschlossen sei.

Als die Bürgerrechtsgesetze schließlich verabschiedet waren, holte Johnson bei der Präsidentschaftswahl 1964 einen erdrutschartigen Sieg über den rechten Republikaner Barry Goldwater. Johnson fürchtete jedoch, dieser Triumph könne ein Pyrrhussieg gewesen sein, denn die Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze hätte durchaus zur Folge haben können, dass der Süden für Generationen an die Republikaner fallen könnte.

Viele Zuschauer, die an den rechten Kurs der amerikanischen Gegenwartspolitik gewöhnt sind, könnte die Darstellung der leidenschaftlichen Überzeugungsarbeit Johnsons für seinen beabsichtigten Krieg gegen die Armut ziemlich überraschen. In seiner Rede an die Nation im Januar 1964 erklärte Johnson zum Beispiel: „Diese Regierung erklärt heute, hier und jetzt, den bedingungslosen Krieg gegen die Armut in Amerika.“ Er fuhr dann fort: „Wir haben 1964 eine einzigartige Gelegenheit und die Pflicht zu beweisen, dass unser System erfolgreich ist … denn, wenn wir scheitern … dann wird uns die Geschichte hart dafür bestrafen.“

Statt sich auf die Identitäts- und Genderpolitik zu beziehen, die seit vier Jahrzehnten die Demokratische Partei beherrschen, fordert Johnson King auf, darüber nachzudenken, was ein derartiges Gesetz für die armen Kinder aller Hautfarben bedeuten würde. (In einer späteren Szene erzählt Johnson vor der Presse von seinen Erlebnissen, als er Ende der 1920er Jahre in ländlichen Gebieten im Süden von Texas mexikanische Kinder unterrichtete und wie begierig sie darauf waren, etwas zu lernen.)

Dass die herrschende Elite Amerikas, so sehr sie auch dazu gestoßen und gezogen werden musste, bereit war, die Bürgerrechtsgesetze in Kraft zu setzen, und einen Krieg gegen die Armut in Betracht zog, war möglich, weil der US-Kapitalismus weltweit die Vorherrschaft behaupten konnte. Noch 1964 kontrollierten die USA 40 Prozent der Industrieproduktion der Welt. Die Maßnahmen der Regierung Johnson waren das letzte Aufbäumen des amerikanischen Sozialreformismus.

Und letztlich kam sehr wenig dabei heraus. Die World Socialist Website erklärte im Januar 2014 zum 50. Jahrestag der Rede Johnsons an die Nation: „Der Krieg gegen die Armut kam niemals dem Ziel auch nur nahe, Armut und Hunger zu beseitigen. Er scheiterte, weil er die Grundlagen der Klassenherrschaft in oder außerhalb der USA nicht antasten durfte. Im Vergleich zum gesamten Reichtum der USA floss nur ein sehr dürftiger Teil der Ressourcen in dieses Programm, während Johnson zugleich die Steuern der Reichen senkte. Weit größere Mittel wurden in die amerikanische Kriegsmaschinerie [in Vietnam und anderswo] gesteckt.“ Heute befinden sich selbst die Bürgerrechtsgesetze wieder in einem Prozess des Niedergangs.

Es ist Schenkkan als Verdienst anzurechnen, dass er Johnson, einen schlauen, zynischen bürgerlichen Politiker in All the Way keineswegs heroisiert. So benutzt er eine grob sexistische Anekdote, um beim Deal mit King „zum Abschluss zu kommen“. Dies ist nur eine von vielen Episoden im HBO-Film, bei der sich Johnson vulgärer oder noch schlimmerer Ausdrücke bedient, um Unterstützung zu erhalten. Der von Cranston gespielte Johnson erweist sich als fähig, im gleichen Atemzug von sanften, anrührenden, herzzerreißenden Anekdoten zu Derbheiten überzugehen,was offenbar gut geprobt und ausgeführt wurde.

Frank Langella zeigt eine reife Leistung als Darsteller von Richard (Dick) Russell dem Demokratischen Senator von Georgia. Der 68jährige Russel ist hin- und hergerissen zwischen seiner jahrzehntelang praktizierten Haltung gegen die Bürgerrechte (auf der Grundlage seines Glaubens an die „Staatsrechte“ und die Werte der „alten [Jim Crow] Südstaaten“) und der Aufrechterhaltung seiner Rolle als Vaterfigur und Mentor Johnsons, der zu Russel „Onkel Dick“ sagte. Nachdem Johnson Anfang Juni 1964 die Gesetze unterzeichnet hatte, boykottierte Russel zusammen mit einigen anderen Senatoren der Südstaaten den Jahresparteitag der Demokraten.

Die von Melissa Leo dargestellte Lady Bird ist sowohl Unterstützerin als auch Kritikerin der Entscheidungen und des Verhaltens ihres Ehemanns, was im Wesentlichen dem entspricht, was historisch von ihrer Rolle als Ehefrau und First Lady überliefert ist.

Das Fernsehdrama porträtiert Johnsons gut dokumentierte Fähigkeit, Menschen zu benutzen, die er offensichtlich nicht leiden konnte. So schmeichelt er sowohl dem Chef der Autoarbeitergewerkschaft (UAW) Walter Reuther (Spencer Garrett) als auch dem FBI-Direktor Edgar Hoover (Stephen Root), um sie dazu zu bringen, etwas zu tun, was wiederum King dazu bringen würde, die Bürgerrechtsgesetze zu unterstützen.

Beide zeigen eine gewisse kaltherzige Freude daran, Johnsons Befehle auszuführen. Das trifft ganz besonders auf den von Root gespielten Hoover zu. Er späht nicht nur Kings außereheliche Beziehung aus, sondern schickt das Belastungsmaterial auch an King, zusammen mit einem Brief, den er in einem Stadium eines beinahe Deliriums diktiert hat. Darin fordert er den Führer der Bürgerrechtsbewegung auf, sich wegen seiner Unmoral selbst umzubringen.

Einige Rezensenten haben All the Way gelobt, weil der Film ein historisch korrekteres Bild der Unvollkommenheit von Martin Luther King, einschließlich dessen außerehelicher Beziehung, liefere sowie seiner Bereitschaft, wenn nötig seine Prinzipien zugunsten von Kompromissen aufzugeben. Sie gehen davon aus, dass dies Lob verdiene. Aber es ist viel wichtiger zu begreifen, was King gesellschaftlich und historisch repräsentierte, als die Stärken und Schwächen seiner Persönlichkeit aufzuzeigen. Er war ein Pazifist, kein Sozialist oder Revolutionär und er brach nie mit dem Zweiparteiensystem. Dennoch brachte ihn sein mutiger Widerstand gegen die soziale Ungleichheit und den imperialistischen Krieg in Vietnam in Konflikt mit den Mächtigen in Amerika.

Anthony Mackies Interpretation von King lässt die Leidenschaft vermissen, die man aus seinen Reden und Auseinandersetzungen mit der Presse kennt. Vielleicht ließ King wirklich seine leidenschaftliche Seite zurücktreten, wenn er verhandelte und Treffen hinter verschlossenen Türen abhielt, aber dieser Rezensent findet das nicht sehr glaubwürdig.

Die Charakterisierung von Hubert H. Humphrey durch Bradley Whitford lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Den Vizepräsidenten und ehemaligen Senator von Minnesota als kaum mehr als einen Laufburschen für Johnson zu porträtieren, ist zwar soweit korrekt. Aber es gibt Momente in All the Way, wie die Szene, in der der Präsident Humphrey informiert, dass sie jetzt genügend Stimmen im Kongress zusammen hätten, um die Civil Rights Bill durchzubringen. Da kann man sich vorstellen, dass der wirkliche Humphrey bei dieser Gelegenheit geradezu kindliche Begeisterung zeigte, aber das kommt im Film nicht herüber.

Außerdem gibt es noch einige kleinere Probleme wie die geringe Zeit, die den Debatten eingeräumt wird, die im Kongress für oder gegen die Civil Rights Bill geführt werden und die noch kürzere Zeit, die dem Parteitag der Demokraten von 1964 gewidmet ist (sowie die nachlässige Nutzung ausschließlich des Archivmaterials von diesem Ereignis).

Dennoch verdient All the Way Lob, weil der Film authentisch einige der wichtigen Themen des ersten Regierungsjahrs von Johnson aufgreift. Es ist zu hoffen, dass die Ausstrahlung dieses Stücks zusammen mit dem positiven kritischen Echo auf American Crime Story: The People vs. O.J. Simpson, andere Sender und Künstler zu ähnlichen Versuchen ermutigen wird.

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