Bundestag verschärft Sexualstrafrecht

Am 7. Juli verabschiedete der Bundestag einstimmig eine massive Verschärfung des Sexualstrafrechts. Die Gesetzesnovelle ist der vorläufige Höhepunkt einer konzertierten Kampagne, ein emotional aufgeladenes Thema zu missbrauchen, um den Staat zu stärken und insbesondere gegen Flüchtlinge vorzugehen.

Die Neuregelung des Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches sieht vor, dass sexuelle Handlungen gegen den „erkennbaren Willen einer anderen Person“ mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden können. Erkennbar ist ein Wille demnach durch Äußerungen, aber auch durch Mimik.

Viele Medien haben diese Änderung mit der Begründung gerechtfertigt, bisher sei es nötig gewesen, dass sich ein Opfer aktiv zur Wehr setzt, damit der Tatbestand einer Vergewaltigung erfüllt ist. Das ist falsch. Tatsächlich musste bisher eine Nötigung vorliegen, also entweder Gewalt ausgeübt, mit Gefahr für Leib und Leben gedroht oder eine schutzlose Lage ausgenutzt werden. Das konnte auch bisher durch sogenanntes schlüssiges Handeln erfolgen, d.h. eine Nötigung lag bereits dann vor, wenn das Opfer aus Andeutungen, Gesten oder Blicken des Täters erkannte, dass ihm Gewalt droht, wenn es sich nicht fügt.

Die Änderung des Vergewaltigungsparagrafen zielt in eine andere Richtung. Eine zumindest ansatzweise objektivierbare Nötigung wird durch die diffuse Formulierung eines „erkennbaren Willens“ ersetzt. Es bleibt völlig unklar, wann ein Wille „erkennbar“ ist, wer diese Erkennbarkeit festlegt, und ob der Täter ihn erkannt haben muss.

Selbst der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, kritisierte gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung, das Gesetz sei nicht sorgfältig genug formuliert. Deshalb seien „erhebliche Probleme bei der Anwendung der neuen Vorschriften gerade in diesem sensiblen Gebiet des Strafrechts zu befürchten“.

Doch gerade in der Unbestimmtheit des Paragrafen liegt sein eigentlicher Sinn. „Der Heiko Maas ist ein Justizminister, der liebt höchst unbestimmtes Strafrecht“, kommentierte die linksliberale Strafrechtlerin Monika Frommel im Deutschlandradio Kultur. „Der Sache nach soll das gar nicht in eine Strafe münden, sondern er schafft Ermittlungsparagrafen.“ Die Ersetzung der objektivierbaren Nötigung durch die Übertretung des „erkennbaren Willens“ erleichtert aber nicht nur Anzeige und Ermittlung, sondern öffnet auch richterlicher Willkür Tür und Tor.

Neben der Schaffung eines solchen Gummiparagrafen weitet das neue Sexualstrafrecht auch Straftatbestände massiv aus. Gänzlich neu ist etwa der Straftatbestand der „sexuellen Belästigung“ in Paragraf 184 i. Wer einer anderen Person oberhalb der Kleidung an Hintern, Brust oder Genitalien fasst, ohne dass es zu einer sexuellen Nötigung kommt, kann nun zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Bisher wurde ein solches Verhalten höchstens als Beleidigung geahndet.

Besonders deutlich wird der Charakter der Strafrechtsverschärfung an zwei Zusätzen, die noch kurzfristig in das neue Gesetz aufgenommen wurden. Paragraf 184 j lautet nun: „Wer sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat umdrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch einen Beteiligten dieser Gruppe eine Straftat nach den Paragrafen 177, 184 i StGB begangen wird.“

Diese Regelung ist ein fundamentaler Angriff auf demokratische Grundrechte. Denn es geht hier nicht um vorsätzliche Mittäterschaft oder Beihilfe, die ohnehin schon strafbar sind. Es geht z.B. um einen Fall, in dem sich eine Gruppe zusammenschließt, um gemeinsam ein Smartphone zu stehlen. Während das Opfer umringt wird, begeht ein Mitglied der Gruppe ohne Wissen oder Billigung der anderen eine sexuelle Belästigung. Obwohl die anderen Mitglieder der Gruppe mit dieser Straftat nichts zu tun haben, sollen sie dafür belangt werden. Das ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, sondern erinnert eher an Sippenhaftung.

Der Bundestag hat die Neuregelung des Paragrafen 177 direkt mit dem reaktionären Ausweisungsrecht verbunden. Bereits im Februar dieses Jahres hatte er ein Gesetz zur leichteren Ausweisung von Flüchtlingen beschlossen, demzufolge bestimmte Straftaten unabhängig von der Höhe der verhängten Haftstrafe zu einem sogenannten schwerwiegenden Ausweisungsinteresse, also zur Abschiebung führen können.

Von Anfang an galt das auch für Jugendliche und insbesondere für Sexualstraftaten nach dem alten Paragrafen 177. Nun hat der Bundestag beschlossen, dass die Regelung auch für das geänderte Gesetz gelten soll. Da dieses aber nicht nur Nötigung, sondern auch weniger schwere Vergehen umfasst, genügt jetzt unter Umständen schon der aufgedrängte Kuss eines Jugendlichen für eine Ausweisung. Ein Diebstahl muss demgegenüber in Serie begangen werden, damit er zu einer Abschiebung führt.

Die Ausweisungsregel liegt auf der Linie des gesamten Gesetzentwurfs. Es ging hier nie darum, Menschen vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Die Strafrechtlerin Monika Frommel hatte schon in einem Text vom Januar 2015 überzeugend dargelegt, weshalb das Strafrecht in diesem sensiblen Bereich auch für die Opfer gerade in Grenzfällen wenig hilfreich ist. Sie plädierte stattdessen für einen zivilrechtlichen Schutz und gegen eine Strafrechtsverschärfung.

Allgemeiner gesprochen lassen sich gesellschaftliche Probleme wie Kleinkriminalität, Gewalt auf der Straße oder sexuelle Übergriffe nicht durch höhere Strafen und Staatsaufrüstung lösen. Ihr Nährboden wird durch die Militarisierung und Brutalisierung der Gesellschaft geschaffen. Die wachsende soziale Ungleichheit und die immer aggressivere Kriegspolitik produzieren solche Täter.

Daher gehörte es seit jeher zur Spezialität der extremen Rechten, gerade emotional aufgeladene Themen zu nutzen, um die Probleme zu individualisieren und die Aufrüstung des Staatsapparats zu rechtfertigen. Die faschistische NPD führt regelmäßig Kampagnen unter dem Motto „Opferschutz statt Täterschutz“ oder „Höchststrafe für Kinderschänder“. Die rechtsradikale „Bürgerbewegung pro Deutschland“ greift die „Kuscheljustiz“ an und fordert Sicherheitsverwahrung für alle Sexualstraftäter.

Derartige Initiativen haben nun in breiten Teilen des politischen Establishments Einzug gehalten. Die Gesetzesverschärfung im Bundestag ist der vorläufige Höhepunkt einer konzertierten Kampagne, die rassistische Hetze gegen Flüchtlinge mit der Forderung nach einem starken Staat verbindet.

Ausgangspunkt waren die sogenannten „Ereignisse von Köln“, die von den Medien bewusst aufgebauscht wurden, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Nach wie vor gibt es keine Beweise, dass in der Silvesternacht vor dem Hauptbahnhof in Köln mehr geschah, als die Übergriffe, Diebstähle und Pöbeleien, die bei solchen Großveranstaltungen leider häufig stattfinden.

Auch ein halbes Jahr später stellt das BKA in einem Bericht fest, dass wegen den Ereignissen in Köln und ähnlichen Vorfällen in anderen Städten in sämtlichen angezeigten Fälle im gesamten Bundesgebiet nur 120 Verdächtige ermittelt worden sind. Von diesen 120 sind bisher nur vier verurteilt worden. Hinweise auf eine Verabredung zu den Taten konnte die Polizei nicht finden. Trotzdem behauptet das BKA, dass schätzungsweise 2000 Menschen an den Übergriffen beteiligt gewesen seien, von denen sich die Hälfte nicht länger als ein Jahr in Deutschland aufgehalten habe. Wie die Polizei die Aufenthaltsdauer von Menschen bestimmen will, die sie nicht identifizieren konnte, bleibt ihr Geheimnis.

Dennoch verbreiteten alle großen Zeitungen die BKA-Zahlen und zitierten den Chef der Behörde Holger Münch mit den Worten, es gebe „einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Phänomens und der starken Zuwanderung gerade in 2015“. Direkt nach der Silvesternacht hatten die gleichen Zeitungen rassistische Artikel und Karikaturen veröffentlicht, die sexuelle Übergriffe von schwarzen Männern auf weiße Frauen darstellen.

An der Kampagne hatten sich Vertreter sämtlicher Bundestagsparteien beteiligt. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, erklärte in Bezug auf Köln: „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“, und forderte damit die Abschiebung von straffälligen Flüchtlingen.

Der Grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, bemerkte gegenüber der Welt zum BKA-Bericht, die Übergriffe in Köln seien „etwas grundsätzlich anderes“ als ähnliche sexuelle Übergriffe auf dem Oktoberfest. Denn die Täter seien im Schutz großer Fluchtbewegungen nach Deutschland gekommen. „Die Silvester-Übergriffe haben etwas mit der Aufnahme von Flüchtlingen ohne Registrierung und Kontrolle zu tun“, sagte er. „Diesen Satz muss man aussprechen können, ohne dafür gleich zu hören zu kriegen: Dann geh doch zur AfD!“, so Palmer.

Angesichts dieser klaren Front wundert es nicht, dass das neue Gesetz vom Bundestag ohne Gegenstimme beschlossen wurde. Die Grünen und die Linkspartei enthielten sich. Als Grund nannten sie die beiden nachgeschobenen Änderungen, hinter die sie sich nicht offen stellen wollten. Die Verschärfung des Sexualstrafrechts befürworteten sie hingegen voll.

Tatsächlich haben beide Parteien in der gesamten Kampagne eine zentrale Rolle gespielt. Sie mobilisieren seit Jahren feministische Organisationen für die Verschärfung des Strafrechts. Mit dem neuen Gesetz werden allerdings nicht Frauenrechte gestärkt, sondern der Staatsapparat.

Dass bei dieser Gesetzesverschärfung sämtliche Parteien zusammengearbeitet haben, ist ein Ergebnis der wachsenden sozialen Spannungen. Die politische Elite reagiert auf die Zuspitzung der Klassengegensätze, indem sie zusammenrückt, alle Überbleibsel liberaler Gesinnung über Bord wirft und den Staat stärkt.

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