Osteuropa: Faschistische Bürgerwehren machen Jagd auf Flüchtlinge

Nach der Schließung der sogenannten Balkanroute im Frühjahr dieses Jahres sind die Flüchtlingszahlen dort inzwischen wieder leicht gestiegen. Täglich werden rund 250 Flüchtlinge meist mit Hilfe von Schleusern über die Route in Südosteuropa geführt. Im Grenzgebiet zu Ungarn sind hunderte Menschen gestrandet. Sie werden ohne jedes Verfahren nach Serbien und Kroatien abgeschoben.

Vertreter der Europäischen Union, wie Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, fordern die weitere radikale Abwehr von Flüchtlingen. Kurz erklärte Ende Juni: „Wenn sich jemand illegal auf den Weg nach Europa macht, muss er an der EU-Außengrenze gestoppt und am besten in das Transit- oder Herkunftsland zurückgebracht werden.“

In mehreren osteuropäischen Ländern haben sich rechtsextreme Milizen und Bürgerwehren gebildet, die diese Politik umsetzen, indem sie Flüchtlinge jagen, verprügeln und ausrauben. Die weit rechts stehenden Regierungen dieser Staaten unterstützen oder tolerieren die „Migrantenabwehr“ dieser Gruppen.

Selbst bürgerliche Medien müssen einräumen, dass die rechten Banden in enger Verbindung zu offiziellen Kreisen stehen. Spiegel Online zitierte bereits im April den tschechischen Politologen und Extremismusforscher Miroslav Mares von der Masaryk-Universität Brünn. Er bezeichnet die paramilitärischen Einheiten als „unkontrolliertes und gefährliches Phänomen“. „Die neuen Bürgerwehren haben den Bereich der Subkultur verlassen“, sagt Mares. „Sie sind gut organisierte, aktionsbereite politische Kräfte.“ Die meisten Staaten seien im Umgang mit diesen Kräften „untätig“.

In Bulgarien macht seit über einem Jahr die „Organisation zum Schutz der bulgarischen Bürger“ (OSBG) von sich reden. Sie jagt bei sogenannten „Waldspaziergängen“ im Grenzgebiet Flüchtlinge und übergibt sie der Grenzpolizei. Es sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen die Flüchtlinge zuvor misshandelt und ausgeraubt wurden. Von der Regierung forderte die Organisation öffentlich, dass sie ein „Kopfgeld“ von 25 Euro für jeden übergebenen Flüchtling ausschreibt.

Die rechten Bürgerwehren haben keine Sanktionen zu befürchten. Sie erhalten für ihre Straftaten im Gegenteil volle Unterstützung von staatlicher Seite. Der rechte Regierungschef Bojko Borissow dankte den „Migrantenjägern“ ausdrücklich: „Jegliche Unterstützung für die Polizei, den Grenzschutz und den Staat ist willkommen.“

Die Bürgerrechtsorganisation Helsinki-Komitee Bulgarien erstattete daraufhin Anzeige gegen Borissow wie auch gegen einige Privatmilizionäre. Margarita Iliewa, die Leiterin des Rechtsprogramms beim bulgarischen Helsinki-Komitee, sieht in den „islamophoben Hass-Verbrechen“ der Bürgerwehren eine Folge „jahrelanger xenophober Propaganda von ganz oben“.

In der Slowakei, die gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat, ist die Bekämpfung der Migration offizielle Politik. Premier Robert Fico erklärt unumwunden, „der Islam“ habe in der Slowakei keinen Platz, und lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen aus vorwiegend islamischen Ländern ab.

Die Polizei geht mit extremer Härte gegen Flüchtlinge vor. Im Mai wurde eine Frau aus Syrien an der slowakisch-ungarischen Grenze durch Schüsse verletzt. Wie die Nachrichtenagentur TASR berichtet, hatten Polizisten südöstlich von Bratislava vier Autos angehalten, in denen Flüchtlinge saßen. Eines der Fahrzeuge sei angeblich nur durch Schüsse zu stoppen gewesen.

Die paramilitärische Organisation „Slovenskí Branci“ (Slowakische Rekruten) rekrutiert sich vorwiegend aus Teilen der Armee und der Polizei. Sie konnte ungehindert einen „Wachdienst“ vor einem Flüchtlingsheim im Grenzort Gabcíkovo einrichten und dort die Flüchtlinge schikanieren. Daniel Milo vom Innenministerium in Bratislava rechtfertigte im Deutschlandfunk die Haltung der Regierung mit den Worten: „Wir haben keine rechtliche Möglichkeit dies zu verhindern. Die Einschränkung der individuellen Freiheit hatten wir im Kommunismus, und das will wirklich niemand mehr.“

Am engsten sind die Verbindungen zwischen rechtsradikalen Milizen und der offiziellen Politik in Ungarn. Hier haben die Milizen Zehntausende Mitglieder, werden staatlich unterstützt und haben weitreichende polizeiliche Befugnisse. Menschenrechtsorganisationen haben das ungarische Innenministerium aufgefordert, Vorwürfe zu untersuchen, wonach sowohl die Polizei als auch eine Bürgerwehr, die an der Grenze patrouilliert, Menschenrechtsverletzungen verübt haben.

Im Dorf Ásotthalom, nahe der ungarisch-serbischen Grenze, ist seit 2013 László Toroczkai Bürgermeister, der offen faschistische Ansichten vertritt und der rechtsextremen Jobbik-Partei nahesteht. Er organisierte voriges Jahr eine professionell ausgerüstete „militante Bürger- und Feldwache“, die dem Staat bei der Abschottung der Grenze gegen Flüchtlinge assistiert. Toroczkai ist Gründungsmitglied der „Ungarischen Garde“, der größten paramilitärischen Gruppe in Ungarn. Sie gilt als militärischer Arm der Jobbik.

Gemeinsam mit rund zwei Dutzend „besorgten Bürgern“ zieht der Bürgermeister durch das Dorf, um Flüchtlinge einzufangen. „Gesunde Spaziergänge“ nennen die Mitglieder der Bürgerwehr ihre Rundgänge, an denen sich Soldaten, Polizisten und Jobbik-Mitglieder beteiligen.

Der Bürgerbund (Fidesz) von Premierminister Victor Orban arbeitet eng mit Jobbik zusammen. Seine Regierung hat die Flüchtlingspolitik des Landes jüngst nochmals verschärft. Aufgegriffene Flüchtlinge, die zumeist versuchen, von Serbien in die Europäische Union zu gelangen, werden unmittelbar nach Serbien oder Kroatien abgeschoben. Nachdem Ungarn bereits im letzten Jahr als erstes Land die sogenannte Balkanroute abgeriegelt hatte, existieret das Asylrecht in Ungarn mittlerweile faktisch nicht mehr.

In den baltischen Staaten ist eine besonders krasse Zunahme rechter, paramilitärischer Einheiten zu verzeichnen, obwohl in Lettland, Litauen und Estland jeweils nur wenige hundert Flüchtlinge aufgenommen wurden. In Estland wurde Anfang des Jahres ein Ableger der Gruppe „Soldiers of Odin“ gegründet. Sie rechtfertigt ihre Hatz auf Migranten als „Präventivmaßnahme“ gegen Terrorismus. Die Gruppe steht im Verdacht, in Verbindung zu einem Brandanschlag im Dorf Vao im vergangenen Jahr zu stehen. Dort wurde im einzigen Flüchtlingsheim des Landes Feuer gelegt.

Auch hier tragen die Regierungsparteien die Verantwortung für das Anwachsen ultrarechter Tendenzen, die ungehindert von der Polizei Flüchtlinge jagen. Im vergangenen Monat haben die Regierungsparteien in Litauen sich auf ein Abkommen geeinigt, das vorsieht, keine weiteren Flüchtlinge aufzunehmen. Die Regierung von Algirdas Butkevicius hat sich bislang nur zur Aufnahme von 1100 Flüchtlingen verpflichtet.

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