Was der Putsch gegen Jeremy Corbyn über den Charakter der Labour Party sagt

Es ist gerade einmal zehn Monate her, dass Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der Labour Party gewählt wurde, weil er versprochen hatte, die Partei neu gegen Kürzungspolitik, Militarismus und Krieg auszurichten. Heute steht er als ein Mann da, den die Mehrheit der Labour-Parlamentsabgeordneten aus dem Amt werfen will.

Etwa 170 Parlamentarier und ein paar hundert Apparatschiks beteiligen sich an einem schmutzigen Komplott gegen den Willen von Hunderttausenden von Mitgliedern und Parteianhängern. Viele, vor allem junge Leute, sind der Labour Party beigetreten, weil sie wollten, dass Corbyn gewinnt.

Corbyn hatte angekündigt, eine neue Ära „freundlicher und behutsamer“ Politik einzuleiten und die Einheit der Partei zu erhalten. Aber seit seiner Wahl ist er in jeder einzelnen Frage, für die er einstehen wollte, vor seinen Widersachern zurückgewichen. Nicht zuletzt hat er im Referendum vom letzten Monat seine jahrzehntelange Gegnerschaft zur Europäischen Union (EU) fallengelassen. Jeder der Rückzüge Corbyns, jeder Appell an die Parteieinheit hat den rechten Flügel nur ermutigt und gestärkt, seine eigenen Anhänger jedoch demobilisiert.

Der Putsch gegen Corbyn wird von Leuten geführt, die als Labour-Abgeordnete hätten abgewählt werden sollen. Stattdessen hat er sie in sein Schattenkabinett aufgenommen. Hinter dem Putsch stehen frühere Parteiführer wie Neil Kinnock, Tony Blair und Gordon Brown, die aufs Engste mit dem Rechtskurs der Partei verbunden sind, den zu revidieren Corbyn versprochen hat.

Nichts wird diese Bande aufhalten. Das Nationale Exekutivkomitee (NEC) von Labour versuchte zunächst, Corbyn daran zu hindern, bei den Wahlen erneut zu kandidieren. Es verlangte, er müsse erst die Unterstützung eben der Abgeordneten gewinnen, die für seine Absetzung gestimmt haben. Als dieses Manöver fehlschlug, warteten die Mitglieder des NEC ab, bis die Anhänger Corbyns den Raum verlassen hatten und bestimmten dann, dass niemand, der der Partei seit Januar beigetreten war – es handelt sich um 130.000 Mitglieder – abstimmen dürfe. Ein obskures Gremium mit der Bezeichnung NEC Procedures Committee (Geschäftsordnungsausschuss) hat dieses Verbot dann auf alle der Partei angegliederten Gewerkschaftsmitglieder ausgeweitet.

Das NEC entschied auch, dass „aus Furcht vor Einschüchterung“ während der Auseinandersetzung um die Führung, keine Parteiversammlungen auf Wahlkreisebene stattfinden dürften. Um diesen unverfrorenen Versuch zu rechtfertigen, abweichende Meinungen zu unterdrücken und um Corbyns Kampagne zu sabotieren, werden Menschen, die ihr Leben lang gegen Rassismus und Sexismus eingetreten sind, als Mob von Rassisten diffamiert, die weibliche Parlamentsabgeordnete zu vergewaltigen drohen. Die ganze Hetzkampagne wird ausschließlich auf anonyme Tweets und Facebook Postings gestützt. Schreiberlinge wie John Harris vom Guardian behaupten über Corbyn-Anhänger, dass „Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus nie weit entfernt“ seien.

Das Procedures Committee durchforstet jetzt die Accounts der Labour-Mitglieder in den sozialen Medien nach Beweisen für die Erwähnung von Wörtern wie „Verräter“. Sie hoffen dadurch, 50.000 Mitglieder ausschließen zu können. Ganze Labour Ortsvereine wie Brighton oder der Bezirk Hove und Gorton wurden suspendiert. Die einzige Grundlage dafür waren Anschuldigungen von Parteimitgliedern, die gegen Corbyn sind.

Trotz alledem erklärte der wichtigste Verbündete Corbyns, Schattenschatzkanzler John McDonnell: „Die Partei wird sich nicht spalten“.

„Die Mitglieder der Labour Party sind Demokraten“, sagte er. „Wir werden eine demokratische Debatte führen. Sie wird einvernehmlich sein… Und wenn die Mitgliedschaft entschieden hat, wer sie führen soll, dann stehen wir gemeinsam hinter ihm.“

Weder Corbyn noch McDonnell sind so naiv zu glauben, dass der rechte Parteiflügel auch nur einen demokratischen Knochen im Leib hat. Sie wissen, weil es lang und breit berichtet wurde, dass ihre Gegner vorhaben, entweder die Partei erfolgreich zu säubern oder sie zu spalten und eine neue zu bilden, die fest zur Kürzungspolitik, zur Nato und zur Erneuerung der EU-Mitgliedschaft steht.

Corbyn wird dies nicht zugeben, weil er eher zulassen wird, dass seine Anhänger ausgeschlossen werden. Er wird sich lieber in sein Schwert stürzen als zu riskieren, dass sich der Würgegriff lockert, mit dem die Labour Party die Arbeiterklasse umklammert.

Die entscheidende Lehre, die aus den bitteren Erfahrungen der Amtszeit Corbyns und dem Putsch gegen ihn gezogen werden muss, ist, dass die Labour Party nicht reformierbar ist.

Corbyn ist nur der letzte einer ganzen Reihe von „Linken“, deren Rolle es ist, den wirklichen Charakter der Labour Party zu verschleiern. Auch sein Lehrmeister Tony Benn gehört dazu.

Von ihrer Entstehung an verteidigte die Labour Party den Kapitalismus gegen die Gefahr, die ihm von Seiten der Arbeiterklasse drohte. Auf einer Versammlung am 8. Juli zur Mobilisierung der Parliamentary Labour Party (PLP, Labourfraktion im Unterhaus), gegen Corbyn, gab Kinnock dies praktisch zu. Er sagte den Abgeordneten: „1918 trafen [die Parteiführer] angesichts der Russischen Revolution eine bewusste ideologische Entscheidung: Sie wollten nicht den Weg des Syndikalismus einschlagen, sie wollten nicht den Weg der Revolution einschlagen. Das war damals wirklich eine Frage. Sie wollten den parlamentarischen Weg zum Sozialismus beschreiten...

Weil wir eine demokratische sozialistische Partei sind, die sich dem parlamentarischen Weg zur Macht verpflichtet hat, ist es entscheidend und unausweichlich, dass der Führer der Partei von einem erheblichen Teil, wenn nicht von der Mehrheit derjenigen unterstützt wird, die sich dem Wähler gestellt haben, um sich zu Gesetzgebern wählen zu lassen. Das ist der Weg, für den sich die Leute entschieden haben, die die Partei gegründet haben.“

Kinnock beharrte darauf, dass nur wer den Parlamentsabgeordneten – nicht den Labour-Mitgliedern – genehm ist, ein Recht auf die Führung habe. Denn Labour-Abgeordnete haben immer gemeinsam mit der Gewerkschaftsbürokratie die Funktion einer Polizei in der Arbeiterklasse ausgeübt und darüber gewacht, dass sich sozialistische und revolutionäre Stimmungen nicht ausbreiten.

Wenn dies für die Zeit um 1900 zutraf, dann sind es politische Hirngespinste zu behaupten, dass die Labour-Abgeordneten ein Jahrhundert später die Wünsche ihrer Mitgliedschaft beherzigen würden. Schließlich haben sie zwei Weltkriege unterstützt, den Generalstreik von 1926 und zahllose andere Arbeitskämpfe verraten, bevor sie in den 1980er Jahren stramm nach rechts marschiert sind.

Die Entstehung von „New Labour“ Mitte der 1990er Jahre war nicht einfach das Ergebnis subjektiver Machenschaften von Blair und Brown, die durch einen Corbyn an der Parteispitze und die Rekrutierung neuer Mitglieder rückgängig gemacht werden könnten. Vielmehr handelt es sich um eine Manifestation der weltweiten Reaktion der sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien auf die Globalisierung der Produktion. Sie gaben ihre reformistische Politik auf, die auf nationaler Regulierung der Wirtschaft beruhte und verschrieben sich dem freien Markt, der Privatisierung und der systematischen Erosion von Löhnen und Arbeitsbedingungen im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Labour-Abgeordnete sind gut bezahlte Repräsentanten der Kapitalistenklasse und verfügen oft über enge Beziehungen zu den Sicherheitsdiensten des Vereinigten Königreichs oder der Vereinigten Staaten. Zum Beispiel hat WikiLeaks aufgedeckt, dass die Labour-Abgeordnete Ruth Smeeth eine „streng geschützte“ US-Informantin sei. Sie hatte kürzlich behauptet, Corbyn mache die Labour Party „für Juden unsicher“.

Angesichts der akuten Krise des britischen Imperialismus und des drohenden Auseinanderbrechens der EU, setzte die Clique um Blair nach dem Referendum vom 23. Juni über den Austritt aus der EU ihren vorgefassten Plan um, Corbyn loszuwerden. Denn beide Entwicklungen gefährden die Nato und die Pläne der USA, militärisch gegen Russland und China vorzugehen.

Was die Herrscher Großbritanniens angeht, so ist sogar jemand, der sich so loyal verhält wie Corbyn, in einem so hohen Amt nicht länger zu dulden. Es könnte nämlich sein, dass er linke, antikapitalistische Stimmungen breiter Schichten weckt, die er nicht mehr kontrollieren könnte. Für die Rechten geht es nicht allein darum, Corbyn zu besiegen, sondern darum, eine politische Offensive gegen die Arbeiterklasse vorzubereiten.

Deshalb bedarf es für einen Sieg über die Verschwörer um Blair mehr als des Bemühens darum, Corbyns Wiederwahl zu sichern. Es bedeutet vielmehr, dass Arbeiter und Jugendliche sich mit der revolutionären internationalistischen Perspektive vertraut machen müssen, gegen die Labour in seiner gesamten Geschichte gekämpft hat. Diese Perspektive vertritt das Internationale Komitee der Vierten Internationale. Das bedeutet, sich dem Aufbau einer wirklichen Arbeiterpartei zu widmen.

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