Rassenpolitik und die US-Wahlen

Anlässlich der Wahlparteitage der beiden großen kapitalistischen Parteien – der Republikanische hat am Montag begonnen – bemühen sich die beiden Parteien, allen voran die Demokratische Partei, und ein Großteil der Medien, die Hautfarbe als das vorrangige soziale und politische Problem in Amerika darzustellen.

Damit setzen die Demokraten ihre Jahrzehnte lange Politik fort, verschiedene Formen der Identitätspolitik basierend auf Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung etc. in den Vordergrund zu schieben. Seit dem Polizeimord an zwei Schwarzen, Alton Sterling in Louisiana und Philando Castile in Minnesota, sowie der Erschießung von fünf Polizisten in Dallas hat das einen neuen Höhepunkt erreicht. Die tödlichen Schüssen auf drei Polizeibeamte in Baton Rouge haben die Kampagne noch weiter angeheizt.

Mittwoch letzter Woche veranstaltete Präsident Barack Obama ein Treffen im Weißen Haus mit Vertretern der Polizei, Politikern und etablierten Führern von Menschenrechtsorganisationen wie Al Sharpton sowie bekannten Persönlichkeiten der Organisation „Black Lives Matter“ (Das Leben von Schwarzen zählt) wie DeRay McKesson. Er erklärte die Polizeigewalt zu einer Frage, die ausschließlich die Polizei und die „farbigen Gemeinden“ etwas angeht. Am darauffolgenden Abend hatte er den Vorsitz einer einstündigen Veranstaltung mit demselben Tenor, die von ABC News übertragen wurde.

Hier wird das Bild eines Landes gezeichnet, das durch Rassenfragen scharf polarisiert wird und in dem die weiße Bevölkerung voller Hass auf Schwarze ist. Diese Darstellung ist eine Lüge.

Was ist tatsächlich passiert? Die mörderischen Angriffe einer militarisierten Polizei, die nahezu mutwillig attackiert und tötet, ist wieder einmal auf einem Video festgehalten worden. Das hat zu großer Wut und Abscheu geführt und sich in Demonstrationen im ganzen Land mit Tausenden von Menschen aller Hautfarben und Volksgruppen niedergeschlagen. Amerika erlebt keinen rassistischen Lynchmob wie im Jim-Crow-Süden des letzten Jahrhunderts, sondern die Gewalt des kapitalistischen Staats und seiner Gesetzeshüter, die sich gegen das Anwachsen von Opposition und Widerstand in der Arbeiterklasse richtet.

Die Opfer der schrecklichen Morde in Louisiana und Minnesota waren schwarz. In der Woche zuvor ist jedoch ein Video aufgetaucht, das die nicht weniger brutale Erschießung eines unbewaffneten weißen Jugendlichen durch zwei Polizisten am 25. Juni in Fresno, Kalifornien, zeigt. Davon wurde am Mittwoch ein gesondertes Polizeivideo veröffentlicht. Es zeigt zwei Polizisten, die den 19 Jahre alten Dylan Noble an einer Ampel aus dem Verkehr winken und dann viermal auf ihn schießen, davon zweimal während er schon am Boden liegt und sich in Todesqualen windet. Dieser Mord wurde von den Medien weitgehend ignoriert und von Obama nicht erwähnt, weil er nicht in ihr rassistisches Narrativ passt.

Was nahezu alle Opfer von Polizeimorden (in den letzten 18 Monaten waren es mehr als 1.500) gemeinsam haben, ist ihre Klassenzugehörigkeit. Sie gehören zur Arbeiterklasse oder sind arm. Die Polizei dringt nicht in die Viertel der Reichen ein, egal ob sie schwarz oder weiß sind, und erschießt deren Einwohner.

Die Massenkämpfe der amerikanischen Arbeiterklasse haben in der Geschichte immer wieder gezeigt, dass sie mächtige Kräfte in Gang setzen, die ethnische und nationale Gegensätze überwinden und alle Teile der Arbeiter gegen den gemeinsamen Feind vereinen. Die amerikanische Kapitalistenklasse hat ihrerseits im Verlauf ihrer Geschichte aggressiv und gewalttätig auf alle Zeichen eines vereinten Kampfs der Arbeiterklasse reagiert. Rassismus und Rassenpolitik wurden seit dem 19. Jahrhundert als Instrumente des Klassenkriegs eingesetzt, um die Arbeiterklasse zu spalten.

Das gilt seit dem Beginn des modernen industriellen Kapitalismus in den USA und dem ersten Massenkampf der Arbeiterklasse, dem großen Eisenbahnerstreik von 1877. Eine Untersuchung über den Streik und über St. Louis, die Stadt, in der er ausbrach, stellt fest:

„Bei einer frühen Streikversammlung fragte der schwarze Sprecher in einer redegewandten Ansprache, ob die Weißen bereit wären, die Forderungen der schwarzen Arbeiter zu unterstützen. Als Antwort erhielt er ein widerhallendes ,Das werden wir!‘. Einer der fünf ersten Mitglieder des Exekutivkomitees war ein Schwarzer.“ („Class, Skill and Community in the St. Louis General Strike of 1877“, David Roediger, Journal of Social History, Winter, 1985, S. 225)

Die Behörden schickten daraufhin schwarze Soldaten, um die Streikenden anzugreifen.

Henry Ford benutzte dieselbe Taktik bei seinem erfolglosen Versuch, den Streik der Gewerkschaft United Auto Workers 1941 zu brechen, die für die Anerkennung der Gewerkschaft in seiner riesigen River Rouge-Fabrik in Detroit kämpfte. Ford holte afroamerikanische Arbeiter aus dem Süden, um sie als Streikbrecher einzusetzen. Sozialistische Militante in der Gewerkschaft hatten sich jedoch mutig für die Rechte der schwarzen Autoarbeiter eingesetzt und auf der Notwendigkeit bestanden, sich über ethnische Trennungen hinweg zu vereinen. Das war ein wichtiger Faktor für den Sieg in diesem Streik.

In den 1950er-Jahren haben sich McCarthy-Red-Baiters (Kommunistenverfolger) aus dem Norden mit den Anhängern der Rassentrennung aus dem Süden zusammengetan, um eine Hexenjagd auf diejenigen zu veranstalten, die sie „Kommunisten“ nannten, weil sie für ein Ende der Apartheid und für die Vereinigung der weißen und schwarzen Arbeiter im Süden kämpften.

Malcolm X wurde im Jahr 1965 genau zu dem Zeitpunkt ermordet, als er den rassischen Nationalismus und Separatismus der Black Muslims und von Elijah Mohammed angriff. Drei Jahre später wurde Martin Luther King, Jr., ermordet, kurz nachdem er zur Unterstützung der Müllfahrer von Memphis eingegriffen und zu einem Marsch der Armen aufgerufen hatte. Er sprach davon, eine neue Partei der Arbeiter zu gründen.

Das Thema, das die Vorwahlen beider Parteien in diesem Jahr dominiert hat, wenn auch in unterschiedlicher Weise, ist die massenhafte Wut und Abscheu gegenüber dem gesamten politischen Establishment. Die herrschende Elite war geschockt und beängstigt angesichts der massiven Unterstützung unter Arbeitern und speziell unter Jugendlichen für den Herausforderer von Hillary Clinton, Bernie Sanders. Sanders nannte sich selbst einen Sozialisten und konzentrierte seine Kampagne auf soziale Ungleichheit und die Vorherrschaft der Wall Street über das politische System. Die dreizehn Millionen Stimmen für Sanders haben gezeigt, dass die Fragen, die Arbeiter und Jugendliche wirklich betreffen, Klassenfragen sind, die sich um das bestehende Wirtschaftssystem drehen und nicht um Fragen von Hautfarbe und Geschlecht.

Das fiel mit wachsenden Anzeichen für ein Wiederaufleben des Klassenkampfs zusammen, darunter der 54 Tage währende Streik der Verizon-Arbeiter, die Proteste der Lehrer und die wilden Streikaktionen in Detroit und anderen Städten sowie die Proteste in Flint gegen die Bleivergiftung des Trinkwassers.

Die Zunahme von Klassenbewusstsein und antikapitalistischen Stimmungen drückte sich in der massenhaften Unterstützung für Sanders aus, obwohl dieser sich bemühte, die Opposition wieder in die Kanäle der demokratischen Partei zu lenken. Die Demokratische Partei und das Wahlkampfteam von Clinton reagierten auf diese Stimmungen mit hektischen Aktivitäten, um „das Thema zu wechseln“ und überschwemmten die Bevölkerung mit politischen Themen wie Geschlecht, sexuelle Orientierung und vor allem Hautfarbe.

Wenn man sich die wichtigsten sozialen und politischen Themen ansieht, die in den letzten Monaten vom Weißen Haus, den Demokraten und den Medien in den Vordergrund gestellt wurden, dann wird der besonders bewusste Charakter dieser Kampagne und ihr direkter Zusammenhang mit der Wahlkampagne von Hillary Clinton deutlich.

Innerhalb der letzten drei Monate hat sich die Obama-Regierung in Auseinandersetzungen über den Zugang von Transgendern zu öffentlichen Toiletten und den Ausgang eines Prozesses über sexuellen Missbrauch an der Universität Stanford eingemischt und diese als entscheidende politische Tagesfragen dargestellt.

Jetzt, wo Sanders offiziell seine Wahlkampagne eingestellt hat und Clinton unterstützt, sieht es so aus, als hätten sich die Demokraten auf die Hautfarbe als wichtigste Identitätsfrage geeinigt, um die grundlegenden Klassenfragen von wirtschaftlicher Ungleichheit und der Kriminalität der Wall Street zu begraben. Geschlecht bleibt natürlich immer noch ein Thema, vor allem weil Clinton sich als die erste weibliche Präsidentschaftskandidatin einer der großen Parteien präsentiert.

Eine solche Politik ist eng mit den Interessen bestimmter privilegierter kleinbürgerlicher Schichten verbunden, die keine Gleichheit wollen, sondern eine für sie vorteilhaftere Verteilung des Reichtums innerhalb der obersten zehn Prozent. Sie werden exemplarisch vertreten von der Führerin der Bewegung „Black Lives Matter“ DeRay McKesson. Sie verließ das Treffen mit Obama im Weißen Haus am Mittwochabend, lobte den Präsidenten und betonte die Notwendigkeit, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. McKesson wurde kürzlich zur Personalleiterin der städtischen Schulen von Baltimore ernannt, ein Posten, der ein Einkommen von 165.000 Dollar im Jahr mit sich bringt.

Heute gibt es objektive Bedingungen in den Vereinigten Staaten und weltweit, wie sie niemals zuvor existiert haben, um die Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf zur Verteidigung der demokratischen und sozialen Rechte zu vereinen. Alle Teile der Arbeiterklasse sind in jedem Land mit einem massiven Niedergang des Lebensstandards und der sozialen Bedingungen konfrontiert.

Was sind die zentralen Fragen bei den Wahlen von 2016? Erst letzte Woche wurde ein Bericht veröffentlicht, der zeigt, dass in 25 der am weitesten entwickelten Volkswirtschaften der Welt, darunter auch in den USA, Zweidrittel der Bevölkerung mit sinkenden oder stagnierenden Löhnen konfrontiert sind.

Die Bedingungen für die breite Masse der schwarzen und hispanoamerikanischen Arbeiter sind schlechter als vor 50 Jahren. Mittlerweile haben die verheerenden Folgen des Bankrotts des amerikanischen Kapitalismus, speziell seit dem Finanzcrash von 2008, drastische Auswirkungen für weiße Arbeiter. Eine ganze Reihe von Berichten zeigen steigende Sterblichkeitsraten, eine sinkende Lebenserwartung und vorzeitige Todesfälle durch Alkoholismus. Dabei trifft die weißen Arbeiter der Einbruch ihres Lebensstandards am stärksten.

Gleichzeitig hat die Konzentration von Reichtum und Einkünften bei dem obersten 1 Prozent, und noch präziser bei den obersten 0,01 Prozent, unter Obama zugenommen.

Der Kampf gegen Polizeibrutalität und die Gewalt des kapitalistischen Staats, wie auch der Kampf gegen alle Formen von Rassismus und Diskriminierung, hängt aufs Engste mit dem Kampf gegen Klassenausbeutung, soziale Ungleichheit und das kapitalistische System zusammen, das ihre Ursache ist. Das erfordert die Vereinigung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines revolutionären, antikapitalistischen und sozialistischen Programms.

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