Polizeiaufmarsch in München – ein Angriff auf die Demokratie

Die PSG warnt vor den Konsequenzen des gigantischen Polizeiaufmarsches in München. Die Behörden haben den schrecklichen Amoklauf eines 18-Jährigen für eine riesige Notstands- und Bürgerkriegsübung genutzt, die die 1,5-Millionen-Stadt stundenlang in den Belagerungszustand versetzte und Angst und Schrecken verbreitete. Der 22. Juli markiert einen Meilenstein des Niedergangs der Demokratie in Deutschland.

Bisher gab es in Deutschland keinen Terroranschlag, der mit 9/11 oder den Attentaten von Paris und Nizza vergleichbar war. Diese Anschläge dienten der amerikanischen und der französischen Regierung als Vorwand, um einen gewaltigen Überwachungs- und Polizeiapparat aufzubauen, den permanenten Notstand auszurufen und ein Klima der Angst zu schüren, in dem die Sicherheitskräfte nach Belieben agieren können.

Die Lage ist dadurch nicht sicherer geworden, im Gegenteil. Vor allem die Kriege, die die USA unter dem Vorwand des „Kampfs gegen den Terror“ führen und an denen sich zunehmend auch Deutschland beteiligt, haben Länder wie Irak, Libyen und Syrien in Brutstätten von Terrornetzwerken verwandelt, in denen es bisher überhaupt keinen islamistischen Terror gab. Zudem gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen westlichen Geheimdiensten und islamistischen Terroristen, die von Verbündeten der Westmächte, wie Saudi-Arabien, Katar und der Türkei, unterstützt und finanziert werden.

Wirkliches Ziel der Staatsaufrüstung, die im Namen des „Kampfs gegen den Terror“ betrieben wird, ist die Arbeiterklasse und jegliche soziale und politische Opposition. Unter Umständen, unter denen sich die sozialen Gegensätze verschärfen, die Europäische Union auseinanderbricht und sich die nächste Finanzkrise ankündigt, bereiten sich die herrschenden Eliten auf heftige Klassenkämpfe vor. Der wachsende Militarismus nach außen geht mit der Militarisierung der Innenpolitik einher.

Hier hat Deutschland aus Sicht der Herrschenden viel nachzuholen. Nur in diesem Zusammenhang sind die Ereignisse von München und die Reaktionen darauf zu verstehen. Je mehr Einzelheiten ans Licht kommen, desto weniger stimmen sie mit dem offiziellen Narrativ überein, laut dem es um die Abwehr einer akuten Gefahrenlage ging.

Die Einzeltat eines Amokläufers wurde für denselben Zweck genutzt, wie in Frankreich und den USA die Terroranschläge. Die gesellschaftlichen Ursachen, die einen offenbar psychisch gestörten Jugendlichen zu solchen Gewalttaten treiben, werden ausgeblendet, und stattdessen eine Staatsaufrüstung vorangetrieben, die unweigerlich weitere Gewaltausbrüche provoziert.

Der Aufmarsch von Polizei und Spezialeinheiten, mit dem die Behörden auf den Amoklauf von David Ali S. im Olympia-Einkaufszentrum im Norden Münchens reagierten, ist in der jüngeren deutschen Geschichte beispiellos.

Die Polizei war mit allen verfügbaren Einsatzkräften, Unterstützung aus anderen Bundesländern sowie Antiterror-Einheiten der Bundespolizei und aus Österreich im Einsatz, insgesamt mit 2300 Mann. Über der ganzen Stadt kreisten Hubschrauber. Martialisch bewaffnete Polizisten und Panzerwagen beherrschten das Straßenbild.

Die Stadtverwaltung forderte die Bürger über das Smartphone-Warnsystem Katwarn auf, in ihren Wohnungen zu bleiben, und stellte den gesamten Verkehr bei U-Bahn, Straßenbahn und Bussen ein. Die Polizei rief Autofahrer auf, die Autobahnen in Richtung München zu verlassen, um anfahrenden Einsatzfahrzeugen die freie Durchfahrt zu ermöglichen. In mehreren Krankenhäusern wurde Katastrophenalarm ausgerufen. 18 Rettungshubschrauber aus ganz Bayern, Baden-Württemberg und Österreich standen bereit. Im Olympiapark wurde eine psychologische Betreuungsstelle für 350 Personen eingerichtet.

Die Sicherheitskräfte sprachen von einer „Terrorlage“ und rechtfertigten den Großeinsatz damit, dass möglicherweise mehrere Täter an dem Anschlag beteiligt und nun in der Stadt unterwegs seien – was sich als falsch herausstellte. Sie stützten sich dabei auf vage Aussagen von Zeugen, die gesehen hatten, wie ein Auto schnell vom Anschlagsort wegfuhr.

Inzwischen weiß man, dass die Sicherheitskräfte weit mehr über die Hintergründe des Amoklaufs wussten, als sie offiziell zugaben. So hatte der Vater des Täters seinen Sohn bereits kurz nach der Tat auf einem Video erkannt, das im Internet kursierte, und sich bei der Polizei gemeldet. Auch ein Freund erkannte ihn aufgrund seines schleppenden Gangs und informierte die Polizei.

Zweieinhalb Stunden nach dem Amoklauf erschoss sich David Ali S. dann in der Nähe des Tatorts vor den Augen der Polizei. Diese Information, die die Lage beruhigt hätte, veröffentlichte die Polizei aber erst am folgenden Tag. „Gegen 20:30 Uhr“, heißt es in einer Polizeimitteilung vom Samstag, „hatte eine Streife der Münchner Polizei nördlich des Olympia-Einkaufszentrums Kontakt zum mutmaßlichen Täter. Als Reaktion auf die Ansprache der Beamten zog er unvermittelt seine Schusswaffe, hielt sie sich an den Kopf und erschoss sich.“

Anstatt den Großeinsatz zurückzufahren, weitete die Polizei ihn nach dem Selbstmord des Täters aus. Eine Viertelstunde danach sprach sie erstmals von einer „Terrorlage“. Es folgten Falschmeldungen über weitere Anschläge und Panikausbrüche an mehreren Orten der Stadt. Sie waren vor allem eine Folge des Polizeieinsatzes selbst. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, trug „zur Verunsicherung in München bei, dass viele Polizisten in Zivil, aber sichtbar bewaffnet unterwegs waren – und von Passanten für Terroristen gehalten wurden“.

Vage Gerüchte über mögliche weitere Täter können einen derart massiven Einsatz nicht rechtfertigen. In München hatte es schon früher Terroranschläge mit vielen Opfern gegeben – 1970 gegen ein Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde, 1972 gegen die israelische Olympiamannschaft und 1980 gegen das Oktoberfest –, doch nie hatten die Sicherheitskräfte derart massiv reagiert.

Man kann daraus nur den Schluss ziehen, dass der Amoklauf als Vorwand diente, seit langem vorbereitete Notstandspläne in die Tat umzusetzen und den Ausnahmezustand zu proben.

Dafür wurden nicht nur die Sicherheitskräfte mobilisiert, sondern auch die Medien. ARD und ZDF, die sich sonst selbst bei dramatischen Ereignissen auf einen 15-minütigen „Brennpunkt“ beschränken, schalteten auf Nonstop-Berichterstattung um. Sogenannte „Terrorexperten“ kommentierten das Geschehen, und die Moderatoren verwandelten jedes Gerücht in eine Tatsache. Tagesthemen-Moderator Thomas Roth sprach bis tief in die Nacht von bestätigten Berichten, dass mindestens drei Täter in der Stadt unterwegs seien, obwohl selbst die Polizei einschränkte, es seien möglicherweise bis zu drei Täter unterwegs.

Auch internationale Politiker, allen voran US-Präsident Obama, ergriffen früh das Wort, um ihre Solidarität gegen den vermeintlichen Terror-Anschlag zu bekunden.

Die Reaktion auf den Amoklauf in München erinnert stark an das Vorgehen der amerikanischen Behörden nach dem Anschlag auf den Marathonlauf in Boston vor drei Jahren. Sie verhängten damals über die ganze Stadt den Belagerungszustand. Die World Socialist Web Site kommentierte das mit den Worten:

„Die Ereignisse in Boston haben den Modus Operandi für die Einführung diktatorischer Herrschaftsformen in den USA gelegt: Die Gewalttat eines desorientierten und unzufriedenen Individuums, das möglicherweise von Elementen innerhalb des Staates unterstützt wird, wird zum Terroranschlag erklärt. Daraufhin wird der Belagerungszustand verhängt, demokratische Rechte werden ausgesetzt und Militär und Polizei übernehmen die Kontrolle.

Alle staatlichen Organe sind so tief in diese Pläne verwickelt, dass es für die Einführung diktatorischer Herrschaftsformen gar nicht nötig wäre, das äußere Erscheinungsbild der Politik stark zu ändern. Weder müsste der Präsident gestürzt, noch der Kongress aufgelöst werden. Diese Institutionen würden bereitwillig ihre zugewiesenen Rollen spielen, und der Oberste Gerichtshof würde den Aufbau einer Militärdiktatur absegnen.

Die Medien würden einfach weiter das tun, was sie jetzt schon tun: den Staat verteidigen, die notwendigen Vorwände liefern und gleichzeitig die Bevölkerung in Angst und Panik versetzen.“

Seit dem Amoklauf von München überschlagen sich führende Politiker mit Forderungen nach einer weiteren Aufrüstung des Staatsapparats. An vorderster Stelle steht dabei der Ruf nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Das Grundgesetz hatte einen solchen Einsatz als Schlussfolgerung aus den Verbrechen der Nazis strikt verboten. Die Notstandsgesetze von 1968 ließen ihn dann wieder zu, aber nur im „Fall des inneren Notstands“, das heißt in einer Bürgerkriegssituation. Nun soll er zur Regel werden.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen teilte am Sonntag mit, „solange das Ausmaß des Anschlages am Freitag nicht klar war“, habe sie „eine Feldjäger-Einheit der Bundeswehr in München in Bereitschaft versetzt“. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) trat für den Einsatz der Bundeswehr im Falle „einer großflächigen, schweren Terrorlage“ ein, und sein bayerischer Amtskollege Joachim Herrmann (CSU) ergänzte, „Bedenken aus historischen Gründen“ seien überholt.

Auch die Linkspartei schließt sich dem Ruf nach Staatsaufrüstung an. Nachdem am Sonntag in Ansbach ein weiterer Anschlag stattfand – ein Selbstmordtäter zündete eine Bombe und verletzte mehrere Menschen –, machte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht in einer Pressemitteilung die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel dafür verantwortlich.

„Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“, erklärte Wagenknecht. Die Bundesregierung sei „jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten“.

Die Vehemenz und das Tempo, mit dem der Staatsapparat mit Unterstützung sämtlicher Parteien aufgerüstet wird, verheißen nichts Gutes. Sieben Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Diktatur lassen die herrschenden Kreise die demokratischen Grundsätze wieder fallen, zu denen sie sich damals – nicht zuletzt um die eigene Haut zu retten – widerstrebend bekannt hatten.

Die PSG weist den Aufbau eines Polizeistaats energisch zurück. Er ist untrennbar mit der Rückkehr des Militarismus verbunden, den die Bundesregierung energisch vorantreibt, seit sie vor zweieinhalb Jahren das „Ende der militärischen Zurückhaltung“ verkündete. Die Wiederbelebung des Militarismus ist ihre Antwort auf die explosiven gesellschaftlichen Spannungen, auf die sich verschärfende ökonomische Krise und auf die wachsenden internationalen Konflikte.

Die PSG tritt zur Berliner Abgeordnetenhauswahl im September an, um der Opposition gegen Krieg, Diktatur und Sozialabbau eine politische Perspektive zu geben. Nur eine internationale, sozialistische Bewegung gegen den Kapitalismus kann den drohenden Rückfall in Krieg, Diktatur und Barbarei verhindern. Wir rufen alle, die dagegen kämpfen wollen, auf, den Wahlkampf der PSG nach Kräften zu unterstützen.

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