Anschlag von Ansbach: die tatsächlichen Ursachen der Gewalt

Der Selbstmordanschlag eines offenbar psychisch gestörten Menschen in Ansbach, der aus Syrien nach Deutschland geflüchtet war, wird von Politikern aller Parteien missbraucht, um gegen Flüchtlinge zu hetzen und die Staatsaufrüstung voranzutreiben. Über die tatsächlichen Ursachen der Gewalt herrscht hingegen Schweigen.

Am Montagabend zündete ein 27-jähriger Mann am Eingang eines Musikfestivals in der bayrischen Stadt Ansbach einen Sprengsatz, den er in seinem Rucksack verstaut hatte. Offenbar wollte der Täter auf das Festivalgelände, wurde aber am Eingang aufgehalten, weil er keine Eintrittskarte vorweisen konnte. Die Explosion tötete den Täter und verletzte 15 Menschen, vier davon schwer.

Die Ermittler gehen von einem Zusammenhang des Anschlags mit dem Islamischen Staat (IS) aus, weil entsprechendes Videomaterial auf dem Mobiltelefon des Täters und in seinem Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft in Ansbach gefunden wurde. Der IS selbst beanspruchte den Anschlag für sich und veröffentlichte ein Video, das wahrscheinlich den vermummten Täter zeigt, der sich zu der Terrororganisation bekennt und Anschläge ankündigt. Ob es sich tatsächlich um den Täter handelt, ist noch unklar.

In jedem Fall handelte es sich bei dem Täter um einen höchst labilen und verunsicherten Mann. Den Ermittlern zufolge hatte er bereits zwei Suizidversuche hinter sich und befand sich zeitweise in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Unabhängig davon, wie eng die Verbindungen zum IS letztendlich waren, weisen die bisherigen Erkenntnisse über den Hintergrund des Täters darauf hin, dass er durch seine Erfahrungen im Syrienkrieg, die Strapazen der Flucht und schließlich durch die unmenschliche Behandlung in Deutschland traumatisiert und möglicherweise radikalisiert wurde.

Die Bild-Zeitung berichtet, ihr liege der Asylantrag des Täters vor. Danach habe der Täter vor zwei Jahren unter dem Namen Mohammad D. in Deutschland Asyl beantragt. Er habe angegeben, seine Frau und Kinder seien in der syrischen Hauptstadt Aleppo durch Granaten getötet worden. Er selbst sei durch Granatsplitter verletzt worden.

Nach seiner Flucht aus Syrien kam er nach Bulgarien, wo er der Akte zufolge in Haft genommen wurde. Seine schweren Verletzungen blieben dort unbehandelt. Er stellte in Bulgarien einen Asylantrag und erhielt subsidiären Schutz. Anschließend soll er laut offiziellen Angaben nach Österreich weiter gereist sein, wo er erneut als Flüchtling registriert wurde. Als er schließlich in Deutschland ankam und Asyl beantragte, wurde der Antrag mit der Begründung abgewiesen, D. habe bereits Schutz in Bulgarien erhalten und müsse entsprechend der Dublin-III-Verordnung dorthin abgeschoben werden.

Die Abschiebung wurde wegen der Verletzungen und dann wegen der Suizidversuche mehrfach aufgeschoben, ohne dass D. allerdings eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden wäre. Wie fast 170.000 andere Menschen in Deutschland erhielt er nur eine Duldung. Permanent schwebte über dem ohnehin traumatisierten Mann das Damoklesschwert der Abschiebung.

Es ist möglich, dass sich einige seiner Darstellungen beim Asylverfahren noch relativieren oder als falsch erweisen. Doch es steht außer Frage, dass es die brutalen Kriege der westlichen Mächte im Nahen Osten sind, die den Nährboden für solche Taten schaffen. Die Kriege im Irak, in Libyen, im Jemen und in Syrien haben Städte in Schutt und Asche gelegt und ganze Gesellschaften zerstört. Terrormilizen wie der IS wurden von den USA und ihren Verbündeten systematisch aufgebaut und ausgerüstet, um den syrischen Machthaber Baschar al-Assad zu stürzen.

Viele der verzweifelten Menschen, die dieser Feuerhölle zu entkommen suchen, werden an der türkischen Grenze erschossen, ertrinken im Mittelmeer oder werden in Griechenland in Gefangenenlager gesperrt. Sollten sie doch nach Deutschland gelangen, werden sie in unmenschliche Lager gepfercht, die oft grundlegendste hygienische Standards missachten und eigentlich nur als Kurzzeitunterkünfte zugelassen sind. Sie sind endlosen Schikanen ausgesetzt und werden nicht selten in angebliche sichere Drittstaaten oder ihre Herkunftsländer deportiert.

Es ist diese wachsende Brutalität nach innen und nach außen, die Gewalt produziert, wie sie sich in dem Anschlag in Ansbach äußerte. Es ist daher bezeichnend, dass Vertreter sämtlicher Parteien, von der Linkspartei bis zur CSU und AfD, den Anschlag missbrauchten, um gegen Flüchtlinge zu hetzten und eine weitere Aufrüstung des Staatsapparats zu fordern.

Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, attackierte gleich am Montag Merkels Flüchtlingspolitik von rechts. Sie erklärte in einer Pressemitteilung: „Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte.“

Sie sprach sich für eine verstärkte Überwachung von Flüchtlingen aus und forderte die Bundesregierung auf, „das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten“. Am Dienstag kritisierte sie dann noch einmal nachdrücklich, dass die Polizei „weggespart und abgebaut“ worden sei.

Der grüne Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, erklärte auf Facebook, es sei unvermeidbar, dass Menschen sich fragten, „was es bedeutet, dass in Würzburg ein Afghane, in München ein Deutsch-Iraner und in Reutlingen ein Syrer mit Waffen auf Menschen los sind“. Sein Parteikollege, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hat bereits ein Sicherheitspaket über 30 Millionen Euro verabschiedet und schärfere Kontrollen von Flüchtlingen angekündigt.

Der CDU-Abgeordnete im Bundestag Armin Schuster wandte sich gegen die sogenannte Willkommenskultur, mit der Millionen Menschen ihre Solidarität mit Flüchtlingen zum Ausdruck gebracht hatten. „Wir brauchen eine Abschiedskultur“, sagte der Innenexperte. Sein Fraktionskollege Thorsten Frei sprach gar von einer „Abschiebekultur“ und brachte damit die menschenverachtende Haltung der herrschenden Eliten auf den Punkt.

Das gleiche gilt für den Berliner Innensenator Frank Henkel, der seit Monaten eine aggressive Law-and-order-Kampagne führt. „Wir haben offenbar einige völlig verrohte Personen importiert“, erklärte er.

Auch CSU-Chef Horst Seehofer will die Überwachung von Flüchtlingen intensivieren. Außerdem stellte er den Schutz vor Abschiebungen für Personen infrage, in deren Heimatländern Krieg herrscht. Seehofer kündigte die „signifikante Aufstockung“ der Polizei an.

Auch viele Medien stimmten in den Chor der Hetze ein. Jasper von Altenbockum argumentiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, es sei nicht weiter wichtig, was der Hintergrund der Gewalttaten sei. Wichtig sei nur, dass man nicht mehr so viele Flüchtlinge ins Land lasse und die Polizei stärke, auch wenn das auf Kosten der „Lebensqualität“ gehe.

Eine solch dummdreistes Plädoyer für einen Polizeistaat fand man bisher nur bei der extremen Rechten. Dasselbe gilt für viele der zitierten menschenverachtenden Kommentare. In der parteiübergreifende Front zur Staatsaufrüstung zeigt sich eine grundlegende gesellschaftliche Wahrheit: die Interessen der herrschenden Elite sind mit den Bedürfnissen der breiten Masse der Bevölkerung nicht mehr vereinbar.

Das zeigt sich am menschenverachtenden Umgang mit den Flüchtlingen besonders deutlich, ist aber nicht darauf beschränkt. Während eine schmale Elite sagenhaften Reichtum anhäuft, hat der Kapitalismus der Mehrheit nichts zu bieten als Armut und Krieg. Deshalb wird der Staat aufgerüstet und eine chauvinistische Hetze geschürt.

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