Was steckt hinter der Kampagne gegen Erdogan?

Seit dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli kennt das Kesseltreiben gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kein Halten mehr. Führende deutsche Politiker fordern harte Maßnahmen gegen die türkische Regierung und den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Linkspartei und Grüne verlangen Wirtschaftssanktionen gegen Ankara. Die einflussreichen Medien veranstalten ein wahres Trommelfeuer gegen den „Sultan vom Bosporus“ (Bild-Zeitung).

Gleichzeitig verdichten sich Informationen über die Beteiligung der USA und möglicherweise anderer Länder am Putschversuch. Das mediale Trommelfeuer macht deutlich, dass sich die Regierungen in Washington, Berlin und anderen Nato-Staaten nicht damit abgefunden haben, dass der Staatsstreich fehlgeschlagen ist. Sie bereiten das nächste Stadium der Operation „Regime-Change“ in der Türkei vor.

Erdogan hat auf den gescheiterten Putschversuch mit autokratischen Maßnahmen reagiert. Er hat Zehntausende, die er als Verräter und Gegner bezeichnet, aus dem Staatsdienst entlassen oder verhaften lassen und versucht, seine persönliche Herrschaft zu stärken. Aber es geht bei dem gegenwärtigen Mediengeschrei nicht um die Verteidigung der Demokratie in der Türkei. Vielmehr soll eine gewählte Regierung gestürzt und aus dem Weg geräumt werden, weil sie den Kriegsplänen Washingtons und Berlins im Wege steht.

Die Situation erinnert fatal an den Beginn der Ukraine-Krise im Winter 2013/14. Der damalige Präsident in Kiew, Viktor Janukowitsch, galt als Verbündeter von Moskau und stand der Einkreisung Russlands durch die Nato im Weg. Als sich Janukowitsch im November 2013 weigerte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, begannen die Medien eine lautstarke Kampagne gegen das „undemokratische und korrupte“ Regime in Kiew. In Wahrheit ging es um die Begrenzung des russischen Einflussgebiets und die Ausdehnung des EU/Nato-Bereichs bis an die russische Westgrenze.

Die USA und Deutschland förderten systematisch die Pro-EU-Opposition, die Demonstrationen gegen Janukowitsch organisierte. Sie stützten sich dabei nicht nur auf rechte Oligarchen, wie Julia Timoschenko, sondern auch auf offen faschistische Parteien wie Swoboda und auf paramilitärische Milizen wie den Rechten Sektor.

Gestützt auf diese faschistischen Kräfte organisierten sie einen Putsch und brachten ein neues Oligarchen-Regime unter Poroschenko und Jazenjuk an die Macht, das den Osten des Landes in einen Bürgerkrieg stürzte, die Gefahr eines Kriegs mit Russland heraufbeschwört und eng mit Washington und der EU zusammenarbeitet. Die soziale und politische Lage der ukrainischen Bevölkerung hat sich seitdem dramatisch verschlechtert.

Nun ist die Türkei an der Reihe. Erdogans eigenwillige nationalistische Politik, mit der er die Herrschaft seiner rechten islamistischen Partei AKP abzusichern versucht, hat bereits öfter zu Spannungen mit Washington und Berlin geführt. 2003 untersagte Ankara den USA, den Irak von türkischem Boden aus anzugreifen. 2010 lehnte es die Bemühungen der USA um UN-Sanktionen gegen den Iran ab. Und 2013 schockte es die USA und die Nato mit der Ankündigung, es wolle ein chinesisches Raketenabwehrsystem kaufen.

Mit dem Krieg in Syrien verschlechterten sich die Beziehungen weiter. Die Türkei setzte auch noch auf die Milizen des Islamischen Staats, um das syrische Regime zu stürzen, als die USA bereits eine Kehrtwende vollzogen hatten und begannen, den IS zu bombardieren. Während Washington eng mit den kurdischen Milizen in Syrien zusammenarbeitet, die ihrerseits mit der PKK verbündet sind, fürchtet Ankara eine Stärkung der Kurden und greift sie politisch und militärisch an.

In Deutschland gab es, vor allem aus rechten Kreisen, heftige Opposition gegen den Flüchtlingsdeal, den Bundeskanzlerin Merkel im Namen der EU mit Erdogan aushandelte. Dahinter steckten Befürchtungen, eine zu große Abhängigkeit von Ankara könnte ein Hindernis für die zunehmend aggressive Verfolgung deutscher Interessen im Nahen Osten sein. Als Erdogan Ende Mai Ministerpräsident Ahmet Davutoglu aus dem Amt drängte, der als Gewährsmann für enge Beziehungen zur EU galt, löste das in Berlin Empörung aus.

Als sich Erdogan dann Ende Juni in Moskau für den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs im November letzten Jahres entschuldigte, wieder enge Beziehungen zu Russland anknüpfte und andeutete, er könnte auch seine Haltung zum Iran und zur syrischen Regierung verbessern, läuteten in Washington die Alarmglocken.

Der amerikanische Imperialismus ist nicht bereit, eine derartige strategische Umorientierung in der Region zu dulden. Seit dem gescheiterten Militärputsch erhöht daher Washington den Druck auf Ankara. Die Bundesregierung unterstützt das Vorgehen der US-Regierung, verfolgt dabei aber eigene Ziele.

So kommt es, dass ein bewaffneter Umsturzversuch durch die zweitgrößte Armee der Nato, mit der sowohl die amerikanischen wie die deutschen Streitkräfte eng zusammenarbeiten, keinen ernsthaften Protest auslöste. Im Gegenteil. Nach dem gescheiterten Militärputsch wird der Druck auf die Regierung, die den Umsturzversuch nur knapp überstand, von allen Seiten verstärkt. Offensichtlich haben Washington und Berlin ihre Pläne für einen „Regime-Change“ nicht aufgegeben.

Als am vergangenen Sonntag 40.000 in Deutschland lebende Türken zu einer Großkundgebung in Köln versammelten, um die Niederlage der Putschisten zu feiern, war kein deutscher Politiker bereit, dort zu sprechen. Stattdessen wurde anfangs erwogen, die Kundgebung „aus Sicherheitsgründen“ zu untersagen. Schließlich wurde sie unter drastischen Auflagen zugelassen.

Präsident Erdogan, der die Putschnacht nur knapp überlebte, durfte keine Videobotschaft an die Kundgebungsteilnehmer richten. Das Bundesverfassungsgericht, das sonst Monate für seine Urteile braucht, schmetterte in einer Eilentscheidung einen Antrag der Veranstalter ab. Zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster willkürlich entschieden, das deutsche Versammlungsrecht erlaube keine Zuschaltungen von auswärtigen Rednern.

Die politische Feindschaft gegen eine Kundgebung, die sich ausdrücklich gegen einen Militärputsch richtete, war bemerkenswert. Es gab fünf Gegenkundgebungen – von der extremen Rechten bis zu einem Bündnis der Jugendorganisationen der SPD, der Grünen, der Linkspartei und der FDP, das unter der Parole „ErdoWahn Stoppen“ gegen eine gewählte Regierung demonstrierte, die gerade einen Putschversuch überstanden hatte.

Seitdem nimmt die Kampagne gegen die türkische Regierung zu. Dabei wettern nicht nur die traditionell rechten Schreiber der FAZ, der Welt und der Bild-Zeitung gegen Erdogan, sondern auch die ehemals gemäßigteren der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und der taz. Vor allem Vertreter der Linkspartei und der Grünen überbieten sich mit giftigen Tiraden gegen den türkischen Präsidenten.

Charakteristisch ist eine Kolumne, die Klaus Staeck unter der Überschrift „Türkei – Professioneller Gegenputsch“ in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte. Der SPD-Funktionär und Grafikdesigner, der in den 1970er Jahren wirkungsvolle Wahlplakate für Willy Brandt entwarf („Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“) und bis vor einem Jahr Präsident der Akademie der Künste in Berlin war, schäumt regelrecht gegen Erdogan.

Er beklagt das Scheitern des Umsturzversuchs und bezeichnet die Putschisten beschönigend als „Rebellen“. Staeck schreibt: „Ohne auf die Motive der Rebellen einzugehen, wurde das Erdogan-Regime von Politik und Medien sofort der Solidarität der ‚Freien Welt‘ versichert: Stabilität und Nato seien in Gefahr. Als ob es jenseits allen Werte-Geschwurbels in und mit der Türkei noch viel zu verteidigen gäbe.“ Dann betont er, mit dem Kampf gegen das Militär sei der Weg in die Diktatur geebnet worden.

Staeck spricht für eine ganze Schicht wohlhabender Vertreter der Kulturschickeria, die angesichts der Rückkehr des deutschen Militarismus mit einem Wortschwall humanitärer Phrasen ins Lager imperialistischer Großmachtpolitik schwenken.

Eine besondere Rolle in dieser Truppe des humanitären Menschenrechtsimperialismus spielt die Linkspartei. Ihre Vertreterin im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Sevim Dagdelen, forderte von Kanzlerin Merkel „mehr Härte“ gegen Erdogan. Mit Blick auf die Kundgebung am Sonntag in Köln sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung, es könne „nicht nur um ein Zuschaltverbot bei Demonstrationen gehen. Wir brauchen wegen seiner brutalen Verfolgungspolitik mit Folter und Massenverhaftungen in der Türkei endlich Sanktionen gegen Erdogan. Seine Konten müssen gesperrt werden.“

Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, forderte die EU auf, sich nicht länger von der Türkei erpressen zu lassen. Der „Amoklauf Erdogans gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ müsse umgehend gestoppt werden.

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