Olympiade in Rio: Diktatur-Methoden leben wieder auf

Als die Olympischen Spiele 2016 am 5. August in Rio de Janeiro eröffnet wurden, spielte sich vor aller Augen eine symbolträchtige Szene ab.

Führende, ganz in Weiß gekleidete Weltsportler begleiteten unter dem Applaus der Zuschauer die olympische Fahne mit den fünf Ringen zum Fahnenmast. Unmittelbar vor dem Hissen der Fahne verwandelte sich die Szenerie, und alle Sportlerinnen und Sportler übergaben ihren Platz an einen brasilianischen Soldaten in Kampfmontur und Tarnanzug.

Die Militarisierung der Olympiade ist heute für jede Art sportlicher Großereignisse in aller Welt bezeichnend. Sie geht Hand in Hand mit Angriffen auf demokratische Grundrechte und dem Aufmarsch von Polizei, Armee und Sicherheitsdiensten, um Arbeiter und Jugendliche in Schach zu halten.

Schon Stunden vor der Eröffnungsfeier wurde das ganze Gelände um das berühmte Maracanã-Fußballstadion herum mit Metallzäunen und Polizeistaffeln abgesperrt und war nur noch für Eintrittskarten-Inhaber zugänglich.

Außerhalb der Absperrungen fanden nördlich und südlich des Stadions zwei Demonstrationen statt. Demonstranten verteilten Flugblätter, in denen die Vertreibung und der Ausschluss von 70 000 Anwohnern und die militärische Besetzung der Stadt angeprangert wurde. Ein Flugblatt war mit „Jogos da Exclusão” (Exklusions-Spiele) überschrieben. Darauf war jede Gegend, aus der die Bewohner vertrieben worden waren, besonders hervorgehoben. In diesen Stadtvierteln sind besonders viele Soldaten konzentriert.

Die Online Publikation Intercept Brazil berichtete, dass die Polizei am Platz Praça Saens Peña in der Nähe des Maracanã-Stadions die Demonstranten schon vor Beginn der Protestveranstaltung einzuschüchtern begann. Sie richtete Kessel ein, wo sie offenbar willkürlich Personen herausgriff und durchsuchte.

Andere Sicherheitsleute schirmten diese Vorgänge vor Publikum ab. Das Ganze wirkte wie ein sorgfältig geplantes Manöver. Der Intercept-Reporter schrieb: „Die Ankunft einer großen Zahl von Sicherheitskräften schuf ein gespanntes Klima“, und es sei zu Provokationen gekommen.

Hunderte von Demonstranten in Rio und auch in São Paulo protestierten nicht nur gegen Polizeiunterdrückung, sondern verurteilten auch die Geldverschwendung für die Olympiade und die Polizeiaufmärsche, denn gleichzeitig warten Lehrer und andere öffentliche Bedienstete auf ihre Löhne, die Infrastruktur zerfällt und für den Wohnungsbau sind keine Mittel vorhanden.

Berittene Polizei stoppte die Demonstration an der Praça de Saens Peña und führte sie vom Maracanã-Stadion weg. Hubschrauber kreisten über ihren Köpfen. Eine Gruppe von Demonstranten, die der Polizei entwischte, wurde eingeholt und angegriffen.

Nichts davon ist völlig neu. Schon vor zwei Jahren, bei der Fußballweltmeisterschaft, machte Rio de Janeiro den Eindruck einer besetzten Stadt. (Während des WM-Endspiels wurden Demonstranten eingekesselt, von der Polizei angegriffen und stundenlang festgehalten.)

Die Olympischen Sommerspiele 2012 in London präsentierten eine Stadt im Belagerungszustand. Zwischenzeitlich hat es immer wieder internationale Großereignisse gegeben, zum Beispiel Fußballmeisterschaften, Baseball Welt-Cups, Besuche von Papst Franziskus usw. Sie alle vermitteln den Eindruck einer immer umfassenderen Polizei- und Militärbesatzung. Die rund hunderttausend Sicherheitskräfte in Rio sind etwa das Doppelte der Einsatzkräfte, die 2012 London kontrollierten.

Ein Umstand fällt bei beiden Olympiaden ins Auge: Sowohl der britische als auch der brasilianische Sicherheitsapparat arbeiten eng mit dem amerikanischen Polizei und Militär zusammen.

Am Tag vor der Eröffnungsfeier hatten Menschenrechtsorganisationen an die Regierung appelliert, demokratische Rechte zu schützen. „Die Augen der Welt ruhen auf diesem Land, auf dieser Stadt. Deswegen ist es wichtig, dass Grundrechte auch ernst genommen und auf der Straße respektiert werden.“

Aber schon die Eröffnungstage der Sommerspiele zeigen, dass die Behörden auch gegenüber harmlosen Protesten Null Toleranz aufbringen. So werden Menschen, die Plakate gegen den aktuellen Interimspräsidenten Michel Temer hochhalten, aus den Stadien hinausgeworfen.

Das Vorgehen ruft Erinnerungen die Methoden wach, die während der 21-jährigen Diktatur (1964-1985) in Brasilien angewandt wurden. Damals wurden demokratische Rechte unausgesetzt angegriffen, und täglich kam es zu blutiger polizeilicher Unterdrückung. Auch heute wieder sind die demokratischen Grundrechte in Brasilien wie anderswo kaum mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind.

Die Olympischen Sommerspiele finden unter Bedingungen der politische Krise statt: Dazu gehören die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT), der Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras, sowie Bestechungen im Zusammenhang mit der Olympiade selbst. Schon vor Monaten wurden Sondergesetze verabschiedet, um die Proteste während der Spiele zu begrenzen und strenger zu bestrafen. Alle politischen Parteien haben dem zugestimmt.

Das Allgemeine Olympia-Gesetz verbietet Transparente und Plakate, die „anstößige Botschaften“, Proteste oder Parodien enthalten. Polizei und Militär haben die Erlaubnis, eigenmächtig und ohne Gerichtsurteil zu entscheiden, wer ein Terrorist ist und wer nicht. Daher dürfen sie auch straflos Demonstranten festnehmen, brutal behandeln und einsperren, und das alles unter dem Vorwand des Kampfs gegen den Terrorismus.

Das Olympische Komitee für die Spiele von Rio hat diese Repression mit der Begründung abgesegnet, es sei notwendig, die Stadien den Großsponsoren, darunter General Electrics, CocaCola, Samsung, Dow Chemicals und McDonalds, so „sauber“ zu überlassen, wie sie es für ihr Geld erwarten.

Die Olympischen Spiele und die daran anschließenden Paralympics enden am 18. September. Die Proteste der Bevölkerung werden bis dahin anhalten und auch danach noch weitergehen.

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