Wie Marx21 und SAV die rechte Politik der Linkspartei unterstützen

Zwei pseudolinke Strömungen innerhalb der Linkspartei, Marx21 und Sozialistische Alternative (SAV), haben in den vergangenen Tagen Bilanzen des rot-roten Senats veröffentlicht, der von 2001 bis 2011 Berlin regierte. (1) Beide zeichnen ein verheerendes Bild der eigenen Partei. In den zehn Jahren, in denen Die Linke und ihre Vorgängerin PDS gemeinsam mit der SPD für die Berliner Landespolitik verantwortlich waren, griffen sie Sozialleistungen, Bildung, Gesundheit, öffentliche Arbeitsplätze und demokratische Rechte weit schärfer an, als jede andere, auch konservative Landesregierung.

„Dieses Bündnis war vermutlich tatsächlich das einzig vorstellbare, das einen solchen Sparkurs durchziehen und durchhalten konnte“, zitieren Lucia Schnell und Irmi Wurdack von Marx21 Die Zeit. Lucy Redler von der SAV gelangt zum Schluss: „Mit der Einbeziehung der PDS in die rot-rote Koalition gelang das, was durch eine Fortsetzung der Großen Koalition nicht möglich gewesen wäre.“ Es handle sich um „ein ähnliches Phänomen, welches bei der Einführung der Agenda 2010 durch die rot-grüne Bundesregierung deutlich wurde: [SPD-Kanzler] Schröder setzte durch, was [CDU-Kanzler] Kohl nicht gewagt hätte.“

Aus der verheerenden Bilanz des rot-roten Senats lässt sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Ohne mit der Linken zu brechen und sie politisch zu bekämpfen, kann keine einzige soziale Errungenschaft und kein einziges demokratisches Rech verteidigt werden. Dies umso mehr, als die Linke bei der Berlinwahl im September die Rückkehr in den Senat anstrebt, um – im Bündnis mit SPD und Grünen – ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse fortzusetzen. „Die grundlegende Politik von 2001 und 2011 wird noch heute gerechtfertigt und eine erneute Regierungsbeteiligung in ähnlich staatstragender Manier wird angestrebt“, gibt Redler unumwunden zu.

Doch Marx21 und SAV streben keinen Bruch mit der Linken an, sondern engagieren sich in ihrem Wahlkampf und kandidieren auf ihren Listen. Während in den zehn Jahren des rot-roten Senats 195.000 von 366.000 Wählern und 4.000 von 12.000 Mitgliedern der Linkspartei den Rücken kehrten, gingen sie den entgegengesetzten Weg und stiegen die Karriereleiter hoch.

Lucy Redler von der SAV war bei der Abgeordnetenwahl 2005 noch als Spitzenkandidatin der WASG Berlin gegen den rot-roten Senat angetreten. Sie hatte sich damals in Gegensatz zur Bundes-WASG gestellt, die bereits den Zusammenschluss mit der PDS zur Linkspartei vorbereitete. Der Grund dafür war, wie sie in ihrem jüngsten Artikel offen zugibt, der „starke Widerstand von Studierenden, LehrerInnen, den Charité-KollegInnen und Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes“ gegen die Politik von Rot-Rot.

Die WASG wollte verhindern, dass dieser Widerstand eine unabhängige politische Richtung einschlägt und der Kontrolle der Gewerkschaft Verdi entgleitet, die bei den Angriffen auf den Öffentlichen Dienst eng mit dem rot-roten Senat zusammenarbeitete. Kurz nach der Wahl löste sich die WASG Berlin dann auf und pochte an die Tür der Linkspartei. Inzwischen sitzt Redler in deren Bundesvorstand.

Auch Lucia Schnell und Irmi Wurdack, die den Artikel für Marx21 verfasst haben, spielen im Berliner Wahlkampf der Linken eine wichtige Rolle. Schnell ist Parteisprecherin in Neukölln und Wurdack Direktkandidatin im selben Bezirk.

Der haarsträubende Widerspruch zwischen ihrer Kritik der Bilanz des rot-roten Senats und ihrer Unterstützung für eine Fortsetzung derselben Politik spricht Bände über die politische Rolle von Marx21 und SAV. Sie unterstützen Die Linke nicht trotz, sondern wegen ihrer rechten Politik. Beide Artikel zeigen, dass sie sich über den rechten, arbeiterfeindlichen Kurs der Linken im Klaren sind. Sie wissen, dass diese die Arbeiterklasse lähmt, schwächt und der AfD den Boden bereitet.

So schreiben Schnell und Wurdack: „Mit einer möglichen Regierungsbeteiligung [der Linkspartei] droht zudem noch eine viel größere Gefahr als 2001 oder 2007, nämlich eine Schwächung im Kampf gegen die AfD und andere Rassisten, die den Mangel an Wohnraum, die unzureichende soziale Absicherung und Lohndumping gegen die Geflüchteten wenden wollen.“

Trotzdem tun sie alles, um die Linke zu stärken, und verbreiten wider besseres Wissen die Illusion, diese könne in ein Instrument des sozialen Widerstands verwandelt werden. Die Widersprüche, in die sie sich dabei verwickeln, werden dabei immer augenscheinlicher, ihre Versuche, die Öffentlichkeit zu täuschen, immer fadenscheiniger.

Der Artikel von Marx21 beginnt mit einem langen Sündenregister der rot-roten Koalition. Er schildert den Berliner Bankenskandal, in dessen Verlauf das Land „ca. 15 Milliarden Euro“ bezahlte und „4.000 Beschäftigte“ entließ, um die Berliner Bankgesellschaft „und ihren Schrottimmobilienfonds vor dem Bankrott zu retten“. Ein Volksbegehren, das sich gegen die Rettung der Spekulanten durch öffentliche Gelder wandte, ließ der rot-rote Senat nicht zu.

Es folgt eine Beschreibung der Sparorgie nach dem Motto „Sparen, bis es quietscht“: „Rot-Rot kürzte über zehn Jahre hinweg die jährlichen Ausgaben des Landes Berlin um fast vier Milliarden Euro. Die Kosten trug die Bevölkerung.” Betroffen waren, so Marx21, unter anderem der Öffentliche Dienst, der soziale Bereich sowie Bildung und Gesundheit.

Eingangs behaupten die Marx21-Autorinnen noch, eine Fortsetzung dieses Kurses könne verhindert werden, indem Die Linke eine Regierungsbeteiligung ablehne und sich von vornherein auf die Rolle der Opposition beschränke. „Im Fazit sprechen wir uns dafür aus, dass es wirksamer ist, in der Opposition den Aufbau von Bewegungen gegen Kürzungen, für soziale Verbesserungen und für eine linke Flüchtlingspolitik mit voranzubringen.“

Dabei versuchen sie nicht zu erklären, wie eine Partei, die sich an der Regierung als verlässliche Interessenvertreterin der herrschenden Klasse erweist, in der Opposition den Widerstand gegen dieselben Interessen organisieren kann. Doch am Schluss ihres langen Artikels geben sie selbst diesen Vorbehalt auf. „Es wäre im Wahlkampf falsch, eine Regierungsbeteiligung der Linken von vornherein auszuschließen“, schreiben sie.

Der Artikel endet mit einem bedingungslos Loblied auf die Linkspartei: „Die Linke ist die einzige politische Partei mit einem größeren gesellschaftlichen Einfluss, die das Potenzial hat, Protest gegen die kapitalistische Profitlogik und gegen Krieg und Rassismus zu artikulieren und Menschen für den Widerstand von unten zu organisieren. … Trotz der gravierenden Schwächen in der Positionierung des Landesverbands Berlin ist es wichtig, sich mit viel Energie in den Wahlkampf einzubringen und zur Wahl der Linken zu mobilisieren. Sie ist die einzige Partei, die linke Antworten auf die kapitalistische Krise gibt und der in Berlin dominierenden SPD eine Alternative von links entgegenstellen kann.“

Ähnlich argumentiert Lucy Redler von der SAV. Auch sie legt ein langes Sündenregister des rot-roten Senats vor, das von der „Privatisierung von über 100.000 Wohnungen“ über den „Stellenabbau im öffentlichen Dienst von 35.000 Stellen“, die „Absenkung der Löhne und Gehälter im Öffentlichen Dienst“, „Lohn- und Gehaltskürzungen und Ausgründungen in öffentlichen Betrieben“, die „Reduzierung der Personalausstattung an Schulen und Abschaffung der Lernmittelfreiheit“ bis zum „Ausbau von Überwachung“ reicht.

Als „Erfolge“ von Rot-Rot kann Redler lediglich „die Abschaffung des Sitzenbleibens“, die „Einführung des Berlin-Passes“ für Bezieher von Transferleistungen, die „Kennzeichnungspflicht für Polizisten“ sowie die Einführung eines „Öffentlichen Beschäftigungssektors (ÖBS)“ anführen. Wobei sie zugeben muss, dass der ÖBS 35.000 reguläre Arbeitsplätze durch 7.000 Zwangsarbeitsjobs zu Niedriglöhnen ersetzte.

Redler bliebt jede Erklärung schuldig, weshalb sie heute im Vorstand der Partei sitzt, die für all diese Angriffe verantwortlich ist. Stattdessen beendet sie ihren Artikel mit dem banalen Satz: „Verbesserungen wurden in der Vergangenheit und werden in Zukunft nicht durch geschicktes Regierungshandeln, sondern durch Druck von unten durchgesetzt.“

In Wirklichkeit können Verbesserungen nur erkämpft werden, wenn die Arbeiterklasse vom Einfluss aller bürgerlichen Parteien, einschließlich der Linken und der SPD, bricht, einen unabhängigen politischen Kampf führt und für ein internationales sozialistisches Programm eintritt.

Die nationalen Reformprogramme sind angesichts der Globalisierung und der weltweiten Krise des Kapitalismus bankrott. Die ehemaligen reformtischen Parteien sind weit nach rechts gerückt und gegenüber jedem „Druck von unten“ immun. Das beweist nicht nur die Bilanz des rot-roten Berliner Senats, sondern auch die von Syriza in Griechenland. Als die griechische Arbeiterklasse am 5. Juli 2015 das Sparprogramm der EU in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit ablehnte, reagierte die griechische Schwesterpartei der Linken, indem sie ein weit härteres Sparprogramm vereinbarte.

Pseudolinke Organisationen wie Marx21 und SAV spielen eine Schlüsselrolle dabei, diese Politik abzudecken und die Entwicklung einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse zu unterdrücken. Sie verschaffen der Linkspartei nicht nur ein pseudolinkes Feigenblatt, sondern würgen auch jeden sozialen Widerstand ab. So haben die Gewerkschaftsfunktionäre der SAV dafür gesorgt, dass die Arbeitskämpfe gegen die Sparpläne des Senats beim Klinikum Charité und den Berliner Verkehrsbetrieben in einer Sackgasse endeten.

Beide Organisationen sind Bestandteil internationaler Tendenzen, die in anderen Ländern eine ähnliche Rolle spielen. Die SAV ist Mitglied des Committee for a Workers’ International (CWI) und Marx21 ist aus der International Socialist Tendency (IST) hervorgegangen.

Die World Socialist Web Site charakterisiert diese Organisationen seit langem als „Pseudolinke“. Dieser Begriff „bezeichnet politische Parteien, Organisationen und theoretische/ideologische Tendenzen, die populistische Parolen und demokratische Phrasen benutzen, um die sozioökonomischen Interessen privilegierter und wohlhabender Schichten der Mittelklasse zu fördern“, schreibt David North im Vorwort zu seinem Buch „Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken“, das dieses Phänomen einer sorgfältigen Analyse unterzieht.

Sie vertreten nicht die Interessen der Arbeiterklasse, sondern wohlhabender Mittelschichten, die sich unter dem Druck wachsender Klassengegensätze nach rechts bewegen. Deshalb unterstützen sie die Linke umso heftiger, je offener sich deren rechter Charakter zeigt. Wer nicht bereit ist, Sozialabbau, Armut, Staatsaufrüstung und Militarismus hinzunehmen, muss am 18. September in Berlin die Partei für Soziale Gleichheit wählen und ihren Aufbau unterstützen.

Anmerkung

1)LINKE in Berlin: Eine linke Koalition für eine gerechtere Stadt?“ von Lucia Schnell und Irmi Wurdack und „Normale kapitalistische Entwicklung von Lucy Redler

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