Perspektive

„Menschenrechts“-Propaganda soll Eskalation des Kriegs in Syrien den Weg ebnen

Film- und Fotoaufnahmen des fünfjährigen Omran Daqneesh sind derzeit in den Medien der USA und Westeuropas allgegenwärtig. Verbreitet wurden sie von Verbündeten der islamistischen „Rebellen“ in Syrien, die von der CIA unterstützt werden.

Man sieht den Knirps etwas benommen auf dem orangefarbenen Sitz eines neuen und gut ausgerüsteten Krankenwagens sitzen. Sein Gesicht ist mit Staub bedeckt und weist Flecken auf, die wie getrocknetes Blut aussehen. Angeblich stammen sie von einer Schnittwunde am Kopf. Das Video zeigt, wie er allein dort wartet, während mehrere Fotografen und Kameraleute Aufnahmen von ihm machen, die dann rund um die Welt gingen. Die Initiatoren dieser Aktion hatten eindeutig ein Gespür dafür, dass sich das Bild des kleinen Jungen mit dem Haarbüschel in der Stirn und dem bunt bedruckten T-Shirt gut vermarkten lässt.

CNN erklärte das Kind zum „Gesicht des syrischen Bürgerkriegs“ und die Moderatorin brach theatralisch in Tränen aus, als sie seine Geschichte erzählte. Die New York Times nannte ihn „das Symbol für das Leiden Aleppos“, und USA Today veröffentlichte eine kurze Notiz des Herausgebers mit folgendem Wortlaut: „Der syrische Junge heißt Omran. Werdet ihr jetzt aufwachen?“

Noch direkter wurde die britische Tageszeitung Telegraph mit der Überschrift: „Um der Kinder Aleppos willen müssen wir erneut versuchen, eine Flugverbotszone in Syrien durchzusetzen.“

Zu den übelsten Artikeln gehört, wie nicht anders zu erwarten, der von Nicholas Kristof in der New York Times. Er stellt zunächst einen Zusammenhang zwischen dem Schicksal syrischer Kinder und dem Tod seines Familien-Hundes her. Anschließend führt er die Äußerung von Außenminister John Kerry, der IS sei an einem Völkermord beteiligt, als Begründung dafür an, dass die USA die syrische Regierung mit Marschflugkörpern angreifen müsse – obwohl die syrische Regierung doch gegen den IS kämpft. Wie hier versucht wird, unter Anrufung der Menschenrechte jedem vernünftigen Gedanken den Garaus zu machen, ist durchaus atemberaubend.

Wir sind Zeuge einer sorgfältig inszenierten Kriegspropaganda, die die humanitären Gefühle der Bevölkerung ansprechen soll, um sie für eine erneute Eskalation der imperialistischen Gewalt im Nahen Osten einzuspannen. Ob die Szene mit Omran von den „Rebellen“ und ihren CIA-Helfern inszeniert wurde oder ob Washington und die konzerngesteuerten Medien das Leiden eines unschuldigen Kindes zynisch ausnutzen, bleibt offen.

Völlig unbestreitbar ist allerdings, dass der Öffentlichkeit die angebliche Sorge um dieses Kind mit eindeutigen, aber unausgesprochenen politischen und geostrategischen Motiven vorgespielt wird, die nichts damit zu haben, das Leben unschuldiger Kinder zu schützen. Kinder sind im Verlauf des letzten Vierteljahrhunderts zu Hunderttausenden durch US-geführte Invasionen, Bombardierungen und Stellvertreterkriege überall in der Region gestorben.

Das Bild von Omran wurde ausgewählt, weil es aus dem östlichen Teil von Aleppo stammt, wo etwa ein Sechstel der Bevölkerung der Stadt unter der Herrschaft der von den USA unterstützten islamistischen Milizen lebt. Die wichtigste dieser Milizen ist die Fatah-al-Sham-Front, die sich bis letzten Monat noch al-Nusra-Front nannte und der Ableger von al-Qaida in Syrien war.

Die syrischen Kinder, die von den „Höllenkanonen“ der al-Qaida-Milizen getötet wurden, die man wahllos in die von der Regierung kontrollierten westlichen Stadtviertel von Aleppo abgefeuert hat, haben nicht dieselbe Wirkung auf die Tränendrüsen von Leitartiklern und Fernsehmoderatoren. Das Gleiche gilt für die Bilder von jemenitischen Kindern, die von saudischen Luftangriffen hingemetzelt werden, bei denen Bomben aus den USA eingesetzt werden und die ohne logistische Unterstützung des Pentagon nicht möglich wären. Auch das entsetzliche Video von US-gestützten „gemäßigten“ syrischen „Rebellen“, die einem zehn Jahre alten palästinensischen Jungen den Kopf abschneiden, hat nur wenig Empörung ausgelöst.

Hinter der neu aufgelegten Propagandakampagne stehen zwei treibende Kräfte. Erstens und ganz unmittelbar ist die „Rebellen“-Offensive, die von den USA und ihren regionalen Verbündeten mit Waffen ausgerüstet und finanziert wird, ins Stocken geraten. Sie sollte die Belagerung Ost-Aleppos durch die Regierung brechen und den Krieg gegen die Zivilbevölkerung des Westteils der Stadt forcieren. Doch die syrische Armee, unterstützt durch russische Luftangriffe, macht wieder bedeutende Bodengewinne. Daher rühren die neuerlichen Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand.

Von weiterreichender Bedeutung ist der zweite Faktor: Russland, Iran, China und die Türkei haben begonnen, in Bezug auf den fünf Jahre alten Krieg der USA für einen Regimewechsel in Syrien enger zusammenzuarbeiten. Der Iran hat letzte Woche Russland erlaubt, iranische Stützpunkte zu benutzen, um syrische Ziele anzugreifen, und Peking hat eine Aufstockung der Militärhilfe für Damaskus angekündigt. Unterdessen hat der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan nach dem gescheiterten, US-unterstützten Militärputsch die Annäherung sowohl an Moskau als auch an Teheran gesucht.

Washington betrachtet diese potentielle Partnerschaft mit zunehmender Besorgnis. Es sieht darin ein Hindernis für sein Bestreben, die Vorherrschaft über den Nahen Osten mit seinen riesigen Energievorräten zu gewinnen. Die US-Regierung kann eine solche Herausforderung nicht hinnehmen und wird unweigerlich eine militärische Reaktion vorbereiten. Zu diesem Zweck wurde die „humanitäre“ Propagandakampagne gestartet, um die syrischen „Kinder zu retten“ – und Washingtons mit al-Qaida verbündete Stellvertreter gleich mit.

Die Methoden, die bei dieser Kampagne benutzt werden, sind gelinde gesagt abgedroschen. Vor 25 Jahren wurde der erste Golfkrieg gegen den Irak mit dem im Kongress vorgetragenen Schauermärchen vorbereitet, irakische Invasionstruppen hätten in kuwaitischen Krankenhäusern Brutkästen gestohlen und Frühchen sterben lassen. Die angebliche Augenzeugin dieser Gräueltat, eine Frau, die sich als Krankenschwester ausgab, wurde später als die Tochter des kuwaitischen Botschafters und als Mitglied der Königsfamilie des Emirats entlarvt. Die ganze Geschichte war ein einziger Propagandaschwindel.

In den Jahren darauf verhängten die USA Strafsanktionen gegen den Irak, die eine halbe Million irakischer Kinder das Leben kosteten. Die damalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, gab dazu den infamen Kommentar von sich: „Dieser Preis war es wert.“ Hunderttausende weitere Menschen wurden bei den nachfolgenden US-Kriegen in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien getötet.

In einer Bilanz dieser 25 Jahre von Gewalt und Blutvergießen heißt es in dem neu erschienenen Buch A Quarter Century of War: The US Drive for Global Hegemony, 1990-2016 von David North:

„Der Umfang der Militäroperationen wurde kontinuierlich ausgeweitet. Neue Kriege wurden begonnen und die alten weitergeführt. Die zynische Beschwörung der Menschenrechte wurde benutzt, um Krieg gegen Libyen zu führen und 2011 das Regime von Muammar al-Gaddafi zu stürzen. Derselbe scheinheilige Vorwand wurde benutzt, um den Stellvertreterkrieg in Syrien zu organisieren. Die Folgen dieser Verbrechen hinsichtlich der Verluste an Menschenleben und des menschlichen Leids sind unabsehbar.

Das letzte Vierteljahrhundert von US-angestifteten Kriegen muss als Abfolge zusammenhängender Ereignisse verstanden werden. Die strategische Logik des US-Strebens nach globaler Vorherrschaft geht über die neokolonialen Operationen im Nahen Osten und Afrika hinaus. Die anhaltenden regionalen Kriege sind Bestandteil der rasch eskalierenden Konfrontation der Vereinigten Staaten mit Russland und China.“

Die momentane Propagandaflut, die eine unmittelbar bevorstehende Eskalation der US-Intervention in Syrien ankündigt, droht, diese Konfrontation und damit auch die reale Gefahr eines globalen Atomkriegs zu verstärken.

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