Türkische Luftangriffe fordern zivile Todesopfer in Syrien

Der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien geht weiter. Am Samstag begann die türkische Luftwaffe, die von Kurden kontrollierten Gebiete im Norden Syriens zu bombardieren. Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden mindestens 35 Zivilisten getötet.

Die USA haben den türkischen Einmarsch von Anfang an mit Luftangriffen und Militärberatern unterstützt. Sein offizielles Ziel ist die Vertreibung von Kämpfern des Islamischen Staates (IS) aus Dscharablus, einer der letzten Städte nahe der türkischen Grenze, die der IS noch kontrolliert. Das übergeordnete Ziel der Türkei ist es jedoch, die kurdischen Milizen, die bisher den Schutz der USA genossen, aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet zu vertreiben, das sie mittlerweile weitgehend kontrollieren. Die Türkei hofft, damit die Errichtung einer kurdischen Enklave in der Region zu verhindern.

Die USA unterstützen die Offensive der Türkei, um damit den Syrien-Krieg zu eskalieren und Bedingungen zu schaffen, unter denen das Regime von Baschar al-Assad in Damaskus gestürzt werden kann.

Ankaras Einmarsch verschärft den Bürgerkrieg. Dieser hat in den fünf Jahren seiner Dauer bereits eine halbe Million syrische Todesopfer gefordert und die Bevölkerung des Landes um über fünf Millionen dezimiert. Ein wichtiger Kriegstreiber sind die syrischen „Rebellen“, die von den USA und der Türkei unterstützt werden und die ihrerseits die kurdischen Einheiten bekämpfen.

Die Türkei hat erklärt, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) hätten eine Woche Zeit, sich auf das Ostufer des Euphrat zurückzuziehen. Doch nur wenige Stunden später eröffneten die syrischen „Rebellen“, hinter denen die Türkei steht, den Kampf gegen die YPG. Ein Sprecher der Freien Syrischen Armee erklärte am Wochenende, ihre Truppen hätten zehn Dörfer von YPG-Einheiten und vier vom IS erobert.

Die Türkei erklärte, sie habe fünfundzwanzig kurdische „Terroristen“ bei mehreren Bombenangriffen nahe Dscharablus getötet. Das türkische Militär soll auch für einen Granatenangriff auf die von Kurden dominierten Demokratischen Kräfte Syriens verantwortlich sein.

Die türkische Operation „Schutzschild Euphrat“ richtet sich eindeutig gegen die Kurden. Das wurde am Samstag klar, als Mitglieder der protürkischen syrischen „Rebellen“-Gruppe ein Video veröffentlichten, auf dem zu sehen ist, wie kurdische Gefangene in dem Dorf Yusuf Beg misshandelt werden. In dem Video werden sie als „Hunde der PKK“ (der Arbeiterpartei Kurdistans) bezeichnet.

Die Bereitschaft der USA, diese religiösen Sektierermilizen zu unterstützen, bringt zum Ausdruck, wie sehr sie die Bewohner der Region verachten, und demonstriert die Verlogenheit der Forderung, die USA müssten im Namen der „Menschenrechte“ aggressiver in den Konflikt eingreifen. Der Verrat Washingtons an seinen kurdischen Verbündeten zeigt, dass es ihm vor allem darum geht, seine eigene geostrategische Vorherrschaft im Nahen Osten zu konsolidieren. Zu diesem Zweck soll in Damaskus ein Marionettenregime eingesetzt werden.

US-Außenminister John Kerry hat am Freitag, nach einem Gespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow in Genf erklärt, die Kurden müssten weiterhin Bestandteil Syriens bleiben.

„Wir sind für ein vereintes Syrien. Wir sind gegen eine unabhängige Initiative der Kurden“, erklärte er, um hinzuzufügen, die Unterstützung der USA für die Kurden sei von Anfang an begrenzt gewesen. Nur 48 Stunden nach Beginn der türkischen Invasion sagte Kerry: „Wir verstehen, dass unsere Freunde in der Türkei in dieser Hinsicht empfindlich sind.“

Der Einmarsch eines Nato-Mitgliedsstaats im Norden Syriens erhöht die Gefahr eines direkten Zusammenstoßes zwischen Russland und den USA, mit unkalkulierbaren Folgen. Die Situation könnte rasch weitere imperialistische Großmächte einbeziehen.

Als Kerry und Lawrow bei ihren Gesprächen auf keinen gemeinsamen Nenner kamen, erlaubte sich der russische Außenminister einen Seitenhieb auf den amerikanischen und türkischen Einfall und wies darauf hin, dass nur Russland und der Iran mit Erlaubnis der syrischen Regierung in Syrien aktiv seien. Alle anderen Parteien des Konflikts verstießen gegen die Souveränität Syriens, so Lawrow.

Der Pressesprecher des Weißen Hauses Josh Earnest versuchte am Freitag auf einer Medienkonferenz, Russland und die syrische Regierung für die anhaltende Gewalt im Land verantwortlich zu machen, obwohl die US-Armee die jüngste Eskalation der Türkei unterstützt. „Solange Russland bereit ist, die mörderischen Taktiken des Assad-Regimes zu unterstützen, die oft das Leben unschuldiger Frauen und Kinder kosten, wird eine politische Lösung schwer zu erreichen sein“, erklärte Earnest. Er fügte hinzu, Russlands Vorgehen fördere „den Extremismus“ in Syrien.

Auf die Frage, ob jetzt sogenannte Schutzzonen in Syrien geschaffen würden, erklärte Earnest, das sei für die Obama-Regierung keine Option, weil es zusätzliche Militärkräfte erfordern würde. Das ist jedoch nicht glaubwürdig. Die Washingtoner Regierung steht hinter der türkischen Operation, die das Ziel einer von türkischen Truppen kontrollierten Zone in Nordsyrien verfolgt.

Auch in der Türkei breitet sich die Gewalt weiter aus. Am Freitag wurden bei einem Bombenanschlag von PKK-nahen Aufständischen elf türkische Polizeibeamte getötet und 78 Menschen verwundet. Am Sonntag schossen PKK-Rebellen eine Granate auf den Flughafen Diyarbakir ab und in der Provinz Hakkari wurden ein türkischer Soldat und zehn PKK-Kämpfer bei Gefechten getötet.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte auf einer Kundgebung im grenznahen Gaziantep, die türkische Intervention werde lang und blutig sein. Er deutete an, Ankara mache keinen Unterschied zwischen den YPG in Syrien und der PKK, mit der sich die Regierung seit letztem Jahr faktisch im Krieg befindet. Er versprach, den Islamischen Staat auszulöschen und erklärte: „Wir stehen auch der PYD [Partei der Demokratischen Union], dem syrischen Flügel der separatistischen Terrororganisation, mit der gleichen Entschlossenheit gegenüber … Wir werden weitermachen, bis wir diese Terrororganisation entwurzelt haben.“

Die amerikanischen Medien schweigen fast völlig über die dramatische Eskalation in Syrien. Keiner der beiden großkapitalistischen Kandidaten erwähnt in seinem Präsidentschaftswahlkampf auch nur das Thema. Am Wochenende konzentrierte sich die Berichterstattung auf Vorwürfe, das Assad-Regime habe Fassbomben auf eine zivile Wohngegend in jenem Teil Aleppos abgeworfen, den die „Rebellen“ halten. Die Ermordung von Zivilisten durch türkische Streitkräfte wurde fast völlig ausgeblendet.

Die Demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, die die Unterstützung des Militär- und Geheimdienstapparats genießt, lässt keine Zweifel an ihrer Bereitschaft aufkommen, die US-Militärintervention nach der Wahl im November auszuweiten, selbst wenn das eine direkte Konfrontation mit Russland bedeuten würde. Das Institut Center for a New American Security forderte eine künftige US-Regierung auf, Militärschläge gegen Assads Truppen zu genehmigen. Mitbegründerin dieser Denkfabrik ist Michele Flournoy, eine ehemalige Beamtin des Verteidigungsministeriums, die als künftige Verteidigungsministerin unter Clinton im Gespräch ist.

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