Wachsende internationale Spannungen beim G20-Gipfel

Nach der Finanzkrise von 2008 entwickelte sich die Gruppe der G20-Staaten, die zusammen für 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung verantwortlich sind, zum wichtigsten internationalen Wirtschaftsforum. Sie wurde mit dem erklärten Ziel gegründet, ihre Wirtschaftspolitik zu koordinieren, weltweites Wachstum zu fördern und angesichts der schwersten wirtschaftlichen Rezession seit der Großen Depression der 1930er Jahre eine Rückkehr zum Protektionismus zu verhindern.

Es ist bezeichnend für den Zustand der Weltwirtschaft, dass acht Jahre später während des zweitägigen Gipfeltreffens der Regierungschefs der G20-Staaten in Hangzhou keine koordinierten Maßnahmen zur Förderung der Weltwirtschaft beschlossen wurden, obwohl ihr diesjähriges Wachstumsniveau eines der niedrigsten seit dem offiziellen Ende der Rezession ist. Auch die Spannungen zwischen den Großmächten verschärfen sich und das Ausmaß protektionistischer Maßnahmen wächst.

Eines der größten Konfliktfelder ist die Frage der sogenannten Überkapazität in der Stahlindustrie. Die USA, Europa und Japan behaupten, China würde die Weltmärkte mit billigem Stahl überschwemmen, was zu Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen führe. China müsse daher Maßnahmen ergreifen, um seine Produktion zu verringern.

Die chinesische Regierung ist bereit, die Produktion bis 2020 um 100 bis 150 Millionen Tonnen zu senken, was etwa dreizehn Prozent ihrer Kapazität entspricht. Allerdings hält sie die niedrige weltweite Nachfrage für das Hauptproblem.

Der chinesische Präsident Xi Jinping und US-Präsident Barack Obama trafen sich am Samstag vor Beginn der offiziellen Veranstaltungen und diskutierten u.a. über die Stahlproduktion. Laut einer chinesischen Zusammenfassung der Diskussion anerkannten China und die USA beide „strukturelle Probleme“, darunter „überschüssige Kapazitäten in einigen Industriebereichen, die durch einen niedrigen globalen Wirtschaftsaufschwung und eine gedämpfte Marktnachfrage verschärft wurden.“ Beide Länder anerkannten auch, dass die „überschüssige Kapazität in der Stahlindustrie und anderen Branchen eine globale Frage ist, die eine globale Antwort erfordert.“ Ähnlich äußerten sie sich auch über die Aluminiumindustrie.

Noch starker als die USA beharrte die Europäische Union darauf, dass sich China den Forderungen nach einer Verringerung der Stahlproduktion fügen müsse. Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker erklärte, die G20 müssten „dringend eine Lösung finden“, und Peking müsse einer internationalen Überwachung seiner Industrie zustimmen. Er erklärte: „Es ist ein globales Problem, aber China hat besonderen Anteil daran, und darauf müssen wir eingehen.“

In den Diskussionen um den Entwurf des Abschlussstatements forderten die USA, die EU und Japan einen Bezug auf die Überproduktion in der Stahlindustrie. Vertreter der EU warnten, eine gegenteilige Entscheidung könne sich negativ auf Chinas Versuche auswirken, den Status als „Marktwirtschaft“ in der Welthandelsorganisation (WTO) zu erlangen. Peking ist sehr auf diesen Status aus, über den zum Ende des Jahres entschieden wird, weil er die Möglichkeiten anderer Länder begrenzt, gegen seine Handelspolitik vorzugehen.

Der erste Vorschlag lautete, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) solle eine solche Überwachung durchführen. Ein solcher Vorschlag erinnert an nichts weniger als an die Zeiten der imperialistischen Herrschaft über die Kolonien. Doch nachdem Indien mehrere Einwände erhoben und darauf hingewiesen hatte, dass weder es selbst noch China OECD-Mitglieder sind, wurde der Vorschlag abgeändert. Nun soll bis 2017 soll ein „globales Forum für überschüssige Stahlkapazität“ eingerichtet werden, wobei die OECD helfen soll.

In Wirklichkeit könnte der gesamte produzierte Stahl für dringend benötigte Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt benutzt werden. Dass die „Überkapazität“ der Stahlproduktion dennoch ein zentrales Thema beim G20-Gipfel ist, verdeutlicht die zunehmende Krise des Profitsystems.

Die Spannungen auf dem Gipfel blieben freilich nicht auf die Stahlproduktion oder die Beziehungen zwischen China und anderen Großmächten beschränkt.

Als Antwort auf die Kritik der USA an der Entscheidung der EU, Apple zur Nachzahlung von dreizehn Milliarden Dollar zu verurteilen, wies Juncker den Vorwurf zurück, Apple sei als amerikanisches Unternehmen gezielt ausgewählt worden. Er erklärte, frühere derartige Urteile hätten sich auch gegen europäische Unternehmen gerichtet: „Es handelt sich nicht um eine Entscheidung gegen die Vereinigten Staaten.“

Im Vorfeld des Urteils gegen Apple hatten Deutschland und Frankreich erklärt, dass bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA kaum eine Chance auf einen erfolgreichen Abschluss besteht. Der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte letzte Woche im ZDF-Sommerinterview erklärt, die Verhandlungen seien „de facto gescheitert“, weil sich die Europäer natürlich nicht den Forderungen der USA unterwerfen könnten.

Die Transpazifische Partnerschaft (TPP), ein Handels- und Investitionsabkommen mit zwölf Staaten aus der asiatisch-pazifischen Region, von dem China ausgeschlossen ist, wurde im Prinzip zwar abgeschlossen, doch besteht im amerikanischen Kongress noch Widerstand dagegen. Der Premierminister von Singapur, Lee Hsien Loong, warnte daher letzte Woche vor den Folgen eines Scheiterns der TPP. Die Obama-Regierung hatte deutlich gemacht, dass das Abkommen die wirtschaftliche Komponente ihres gegen China gerichteten „Pivot to Asia“ ist.

Lee erklärte, die japanische Regierung habe politisch schwierige Zugeständnisse bei der TPP gemacht, daher wäre ein Scheitern sehr schlecht für sie. Er verband das Thema Handel direkt mit dem Thema Krieg und erklärte: „Die Japaner leben in einer unsicheren Welt und sind vom atomaren Schirm der USA abhängig. Wenn es um Handelsbeziehungen geht, werden sie sagen, die Amerikaner konnten sich nicht wirklich durchsetzen.“ Lee sagte außerdem, ein Scheitern der TPP würde bedeuten, dass sich Japan überlegt, auf wen es sich verlassen kann, auch wenn das öffentlich nicht so gesagt würde.

Im Vorfeld des G20-Gipfels am Samstag waren Anzeichen zu erkennen, dass Japan eine selbstbewusstere Außenpolitik anstrebt. Bei einer Wirtschaftskonferenz in Wladiwostok, bei der es um die Förderung russischer Investitionen im unterentwickelten Fernen Osten ging, appellierte Premierminister Shinzo Abe direkt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er erklärte, die beiden Länder sollten gemeinsam an einem Friedensvertrag arbeiten und die Konfrontation beenden, die sie seit dem Zweiten Weltkrieg um umstrittene Gebiete austragen.

Abe bot an, jährliche Gipfeltreffen abzuhalten und Investitionen zu fördern, die sich an den Bedürfnissen Russlands orientieren. Die Financial Times schrieb über diese Initiative, sie „ragt unter den Regierungschefs der G7-Staaten heraus. Die meisten von ihnen haben sich von Putin distanziert, seit im Jahr 2014 wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland verhängt wurden.“

Laut der WHO wird das Volumen des Welthandels in diesem Jahr um nur 2,8 Prozent zunehmen und damit im fünften Jahr in Folge unter drei Prozent liegen. Das ist weniger als die Hälfte des Wachstums in den zwei Jahrzehnten vor 2008. Angesichts dieses deutlich verringerten Wachstums schwebte das Thema Protektionismus unheilvoll über dem Treffen.

Xi begann das Gipfeltreffen mit einem Aufruf an die Großmächte, sich dem Druck zum Aufbau von Handelsbarrieren zu widersetzen. Er forderte außerdem mehr Innovationen zur Förderung von Wirtschaftswachstum und eine verstärkte Zusammenarbeit zur „Verbesserung der Fähigkeit der Weltwirtschaft, Risiken zu widerstehen.“

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau erklärte im Vorfeld des Gipfels, die Regierungschefs der Welt müssten einer „eskalierenden Welle von Protektionismus“ entgegentreten, die sich sowohl im Brexit als auch in „protektionistischer Rhetorik in Wahlkämpfen“ äußere.

Auf einem Wirtschaftsforum in Hangzhou erklärte er: „Es scheint, dass der Marsch des Fortschritts ins Stocken geraten ist.“

Seit der Finanzkrise von 2008 haben alle Regierungschefs der Welt und sämtliche internationalen Wirtschaftsorganisationen die Beggar-thy-Neighbor-Politik kritisiert, die in den 1930ern eine erhebliche Rolle dabei spielte, die Bedingungen für den Zweiten Weltkrieg zu schaffen. Stets betonten sie, sie hätten die Lehren aus diesem Jahrzehnt gezogen.

Doch die Welle des Protektionismus hält an. Laut einem Bericht der WTO vom Juni haben die Handelseinschränkungen der G20-Staaten, vor allem der am stärksten industrialisierten Volkswirtschaften, das höchste monatliche Niveau seit Beginn der Finanzkrise erreicht.

Zugleich wird die Kriegsgefahr immer offensichtlicher. Bei seinem letzten Besuch in Asien als Präsident gab Obama eine seiner bisher kriegslüsternsten Erklärungen gegen China ab. Bezeichnenderweise erwähnte er darin nicht nur die Streitigkeiten um das Südchinesische Meer, sondern auch wirtschaftliche Fragen.

Er betonte, China müsse sich der internationalen Ordnung fügen, d.h. den Interessen der USA: „Wenn wir sehen, dass sie gegen internationale Regeln und Normen verstoßen, wie es im Südchinesischen Meer passiert ist, oder durch ihr Verhalten in wirtschaftspolitischen Fragen, waren wir sehr streng. Und wir haben angedeutet, dass das Folgen haben wird.“

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