New York Times deckt US-Luftangriff in Syrien ab

Am Montag veröffentlichte die New York Times auf ihrer Titelseite den Artikel „Fehlgeleiteter Luftangriff schwächt Friedensbemühungen in Syrien“, der den Luftangriffen, die amerikanische und verbündete Kampfflugzeuge zwei Tage zuvor geflogen hatten, uneingeschränkte Rückendeckung liefert. Bei diesen Angriffen wurden etwa 90 Soldaten der syrischen Armee getötet und über 100 weitere verwundet.

In dem Artikel heißt es: „Der versehentliche Bombenangriff der USA auf syrische Truppen am Wochenende hat Amerika in die Defensive gedrängt und untergräbt dessen Versuche, die Gewalt in dem Bürgerkrieg zu verringern und Wege für humanitäre Hilfe zu öffnen.“

Im zweiten Absatz erfährt der Leser, dass der „irrtümliche Bombenangriff“ enthüllt habe, „welche Schwierigkeiten das Weiße Haus damit hat, in einem komplexen Krieg eine einheitliche Strategie zu entwickeln.“

Und im vierten Absatz heißt es, der „fehlgeleitete Luftangriff“ habe „der russischen und der syrischen Regierung einen Vorwand für ihre Propaganda geliefert.“

Woher weiß die Times, dass der Luftangriff auf eine Stellung des syrischen Militärs nördlich des Flughafens Deir Ezzor nahe der syrisch-irakischen Grenze „versehentlich“, „irrtümlich“ oder „fehlgeleitet“ war? Sie nennt keine Beweise für diese Schlussfolgerung und kann weder Ergebnisse einer Untersuchung noch irgendwelche Fakten aus ihrer eigenen Berichterstattung zitieren.

Der Luftangriff war ein Unfall, ein Irrtum und ein Fehler, weil es die US-Regierung behauptet. Das muss offenbar reichen. Die drei Verfasser des Artikels halten es nicht für nötig, die Aussagen in irgendeiner Weise zu relativieren, zum Beispiel mit einer Formulierung wie „Regierungsvertreter behaupten, dass der Angriff ein Versehen sei“, oder gar gegenteilige Meinungen zu erwähnen.

Auch erhebt das angebliche Leitmedium nicht den geringsten Zweifel daran, dass die USA in der Lage waren, einen Stützpunkt, den das syrische Militär seit Jahren besetzt gehalten hat, mit einer Stellung des Islamischen Staates (IS) zu verwechseln. Ebenso wenig wirft sie die Frage auf, warum die hochmodernen Militärsatelliten und Überwachungsdrohnen keine korrekten Bilder des beabsichtigten Zieles geliefert haben.

Die IS-Truppen haben das Bombardement als Luftunterstützung für ihren eigenen Angriff auf den syrischen Stützpunkt genutzt und die Militärbasis überrannt. Das wird ebenfalls als „Unfall“ hingenommen.

Der gemeinsame Luftangriff australischer, britischer, dänischer und amerikanischer Luftstreitkräfte hat den seit einer Woche andauernden Waffenstillstand, der von US-Außenminister John Kerry und dem russischen Außenminister Sergei Lawrow in Genf ausgehandelt wurde, untergraben.

Dazu schrieb die New York Times: „Viele amerikanische Regierungsvertreter glauben, dass es den Russen mit dem Abkommen von Genf nie ernst war. Sie erklären, die Russen würden einen Grund suchen, um es zu torpedieren und den Status Quo zu wahren, in dem sie mehr Kontrolle über die Ereignisse in Syrien haben als alle anderen Mächte, außer vielleicht des Irans. Wenn es so ist, hat der versehentliche Luftangriff diesen Prozess für sie leichter gemacht.“

Dieser grundlose Luftangriff, bei dem 200 Soldaten der syrischen Regierung getötet und verwundet wurden und der in einem Land stattfand, in dem der US-Imperialismus eindeutig völkerrechtswidrige Militäroperationen durchführt, soll also laut dieser absurden These, die sich auf anonyme „amerikanische Regierungsvertreter“ beruft, vor allem Russland als Vorwand gedient haben, ein Waffenstillstandsabkommen außer Kraft zu setzen, das Moskau selbst vorgeschlagen hat. Mit anderen Worten, Putin ist an allem schuld, ganz gleich wie viele Fakten auf das Gegenteil verweisen.

Die Times selbst deutet eine plausiblere Erklärung für die blutigen Ereignisse vom vergangenen Samstag an. Sie weist darauf hin, dass in Washington „viele dem Waffenstillstandsabkommen mit Skepsis begegnen“, und fügt hinzu: „Vor allem Verteidigungsminister Ashton B. Carter befürchtet, dass das Abkommen den Russen zu viel darüber verraten könnte, wie die amerikanischen Geheimdienste ihre Ziele aussuchen...“.

Der Artikel geht jedoch nicht darauf ein, wie heftig und entschlossen das Pentagon den Waffenstillstand ablehnt. Es ging nicht nur um Carters „Skepsis“. Hochrangige US-Befehlshaber stellten offen infrage, ob sie sich an ein Abkommen halten werden, das vom Präsidenten der Vereinigten Staaten bewilligt wurde.

Der Oberbefehlshaber des US Air Forces Central Command, Generalleutnant Jeffrey Harrigan, erklärte vor der Presse über das Abkommen: „Ich sage weder Ja noch Nein. Es wäre etwas verfrüht, sich direkt da hineinzustürzen.“

Auch der Militärgeneral Joseph Votel, Oberbefehlshaber des US Central Command, äußerte ähnliche Ansichten: „Wir müssen erst sehen, wie das funktioniert... wie es sich entwickelt... ob das Ganze wirklich aufgeht, weiß ich nicht.“

Die Times berichtet in ihrem Artikel auch nicht darüber, dass sich Obama am Freitag kurz vor dem Angriff mit seinem Sicherheitskabinett getroffen hatte, zu dem auch Kerry und Carter gehörten, und mit ihnen über die Krise diskutiert hatte, in der sich seine Regierung wegen des Waffenstillstands in Syrien befindet.

Angesichts dieser Fakten erscheint die Unterstützung der Times für die offizielle Darstellung der USA, der Luftangriff in Deir Ezzor sei ein „Unfall“ gewesen, eindeutig als Alibi für die Regierung, das die Fakten vertuschen soll.

Der Widerstand innerhalb des US-Militärs, der teilweise an Befehlsverweigerung grenzt, deutet auf ein wahrscheinlicheres Szenario hin: der Angriff war kein Unfall, sondern wurde vorsätzlich mit dem Ziel durchgeführt, das Abkommen zu sabotieren. In diesem Fall könnte das Militär entweder eigenmächtig oder aufgrund eines Kurswechsels der Obama-Regierung unter dem starken Druck des Militär- und Geheimdienstapparats gehandelt haben.

Der Widerstand richtet sich hauptsächlich gegen die unmittelbaren praktischen Folgen des Abkommens in Syrien. Washington hat sich verpflichtet, die sogenannte „gemäßigte Opposition“, die es bewaffnet und finanziert hat, von dem ehemals als al-Nusra-Front bekannten langjährigen al-Qaida-Ableger in Syrien zu trennen. Doch dies ist ein aussichtsloses Unterfangen, da die von den USA unterstützten Milizen stark in die al-Qaida-Kräfte eingebunden sind. Letztere bilden das Rückgrat in dem US-geführten Krieg, der vor allem einen Regimewechsel in Syrien erzwingen soll.

Entscheidender ist jedoch, dass die obersten Reihen der Militärführung jede Zusammenarbeit mit dem russischen Militär ablehnen, weil sie befürchten, dass es die Vorbereitungen der USA auf eine direkte Konfrontation mit Russland, der zweitgrößten Atommacht der Welt, gefährden könnte.

Zudem dient der Luftangriff einem eindeutigen Ziel, das von führenden Vertretern des herrschenden Establishments klar artikuliert wurde. Erst letzten Monat forderte der ehemalige CIA-Direktor Michael Morell Luftangriffe auf Syrien, um „Assad Angst einzujagen“ und „die Russen büßen zu lassen“, soll heißen, sie zu töten. Morell ist ein prominenter Unterstützer der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton.

Der Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth, ein Verfechter der „Menschenrechtspropaganda“, die der US-Imperialismus für seine Interventionen im Nahen Osten nutzt, äußerte sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ähnlich zustimmend zu dem Luftangriff: „Ist der Tod der 80 syrischen Soldaten ein Signal der USA an Assad wegen seiner tödlichen Unnachgiebigkeit?“

Wenn man untersucht, wie die New York Times den Luftangriff in Syrien abdeckt, sollte man sich daran erinnern, dass die Zeitung der Regierung vor knapp einem Jahr fast die gleichen Dienste erwiesen hat. Am 3. Oktober 2015 wurde ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen (MSF) im afghanischen Kunduz durch einen US-Luftangriff zerstört. Während MSF und Überlebende des Angriffs den USA vorwarfen, es habe sich um ein vorsätzliches Massaker gehandelt, erklärte die Times unter Berufung auf Quellen aus der US-Regierung, die Ursachen für das Massaker seien „fehlerhafte Entscheidungen“ und unzureichende Geheimdienstinformationen gewesen.

Die Reaktion der Times auf den Luftangriff in Syrien entlarvt, in welchem Ausmaß sich die Zeitung zum Propagandaorgan der US-Regierung und einem führenden Befürworter ihrer militaristischen Politik macht. Die Zeitung war 2003 auch unmittelbar daran beteiligt, die amerikanische Bevölkerung für den illegalen Angriffskrieg gegen den Irak zu mobilisieren. Ihre damalige Korrespondentin Judith Miller hatte Lügen über nicht existierende Massenvernichtungswaffen verbreitet. Auch nach der Enthüllung dieser Lügen hat sich an der Rolle der Times nichts geändert. Die Berichterstattung der Times stimmt heute vielmehr noch deutlicher mit der Politik der Regierung überein.

Wie konkret diese Beziehung zwischen Journalismus und Politik ist, verdeutlicht eine genauere Betrachtung der ersten zwei Namen in der Verfasserzeile des Artikels. Der erste, David E. Sanger, ist Chefkorrespondent in Washington. Neben seiner 30-jährigen Karriere als Times-Journalist hatte Sanger auch Zeit, als Lehrbeauftragter für Öffentlichkeitsarbeit an der Kennedy School of Government der Harvard-Universität zu arbeiten, einer Akademie für führende politische und militärische Funktionäre. Zum Lehrpersonal gehörten auch Politiker wie Ashton Carter und die amerikanische UNO-Botschafterin Samantha Power, die jetzt eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der amerikanischen Strategie in Syrien spielen. Sanger ist außerdem Mitglied der Thinktanks Council on Foreign Relations und der Aspen Strategy Group, in denen hochrangige Funktionäre aus Regierung, Militär und Geheimdiensten sowie Vorstandschefs gemeinsam über die Strategie des US-Imperialismus diskutieren.

Der zweite Verfasser ist Mark Mazzetti, Korrespondent für nationale Sicherheit. Im Jahr 2011 erlangte er eine gewisse Bekanntheit, weil er der CIA heimlich einen Artikel der New York Times-Kolumnistin Maureen Drowd über die Ermordung von Osama bin Laden zugespielt hatte. Er legte einen Zettel mit der Aufschrift bei: „Das kam nicht von mir... bitte nach dem Lesen löschen. Kein Grund zur Sorge!“

Mit anderen Worten, diese Autoren sind vollständig in den Staat integriert und verteidigen dessen Interessen. Die Presse galt in den bürgerlichen Revolutionen des achtzehnten Jahrhunderts als „Vierter Stand“, der als Wächter fungierte und eine kritische Haltung zur Regierung und ihren Vertretern einnahm. Diese Auffassung von der Presse ist in den Redaktionsstuben der New York Times tot.

Der neue Redakteur für das Editorial, James Bennet, gehört zu den führenden Kräften, die den ständigen Rechtsruck der Zeitung anleiten. Er hat Verbindungen zur herrschenden Elite und den obersten Rängen der Demokratischen Partei. Sein Vater ist ehemaliger Vorsitzender der CIA-Tarnorganisation USAID, und sein Bruder ist Senior Senator in Colorado.

Unter der Leitung solcher Journalisten ist die Times zum wichtigsten Werkzeug der Desinformation und Propaganda des amerikanischen Staatsapparates und zu einem wichtigen ideologischen Instrument in der Vorbereitung auf einen Weltkrieg geworden.

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