Perspektive

Die Gefahr eines Weltkriegs:

Das große Tabuthema im US-Wahlkampf 2016

Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf geht keiner der beiden Spitzenkandidaten auf die wichtigste Frage ein: die Gefahr eines direkten Kriegs gegen Russland, China oder Nordkorea, alles Länder, die über Atomwaffen verfügen.

Weder Hillary Clinton von den Demokraten, noch der Republikaner Donald Trump erwähnen auch nur die Möglichkeit, dass der nächste US-Präsident einen solchen direkten Kriegseinsatz anordnen könnte. Dabei wird ein solcher Einsatz immer wahrscheinlicher.

Am vergangenen Samstag hat ein Einsatz der US-Streitkräfte in Syrien diese Gefahr erneut unterstrichen. Die USA haben einen Militärposten der syrischen Regierung bombardiert und dutzende syrische Soldaten getötet. Die Behauptung der USA, es habe sich um ein Versehen gehandelt, ist völlig unglaubwürdig.

Der Angriff richtete sich gegen eine bedeutende und allgemein bekannte Einrichtung des syrischen Militärs, nämlich den syrischen Luftwaffenstützpunkt Deir ez-Zor. Ein ähnlicher amerikanischer „Fehler“ könnte auch leicht zum Tod russischer Soldaten führen und eine umfassende militärische Konfrontation zwischen den beiden Mächten auslösen, die 93 Prozent der Atomwaffen der Welt besitzen.

Die wirtschaftshörigen amerikanischen Medien tragen aktiv zur Verschleierung der wachsenden Kriegsgefahr bei. Zwar führen amerikanische Truppen beinahe täglich Übungen an der russischen Grenze, in den Gewässern vor China und auf der koreanischen Halbinsel durch. Aber die Medien richten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf vergleichsweise triviale Fragen wie Clintons Lungenentzündung, Trumps Lügen über seine Rolle in der Obama-feindlichen „Birther“-Bewegung und die endlosen Spekulationen darüber, welcher Kandidat in der Schlammschlacht die Nase vorn hat. [Die „Birther“ behaupten, Obama sei gar kein US-Staatsbürger und habe deshalb gar nicht das Recht, Präsident zu sein.]

Eine der wenigen Ausnahmen, die das Schweigen über die Kriegsfrage durchbrechen, ist eine Kolumne des ehemaligen Verteidigungsministers Robert Gates in der Wochenendausgabe des Wall Street Journal. Gates, der unter George W. Bush und Barack Obama diente, überschrieb seinen Text mit den Worten: „Maßnehmen für den neuen Oberkommandierenden“.

Gates kritisiert Hillary Clinton für (rein verbale) Zugeständnisse an die Anti-Kriegsstimmung in der Bevölkerung und bezieht sich dabei vor allem auf eine Äußerung von ihr vom 7. September auf einem Forum in New York City. Dort hatte sie ausgeschlossen, amerikanische Bodentruppen nach Syrien oder in den Irak zu schicken. Das nennt Gates „eine politisch motivierte kategorische Festlegung, wie sie kein Präsident (oder Kandidat) treffen sollte“. Er rät Clinton, sich „nicht auf allgemeingültige Aussagen festzulegen, wenn es darum geht, wie sie mit China, Russland, Nordkorea, dem Iran und dem Nahen Osten umgehen wird“. Dann könnte er auch in Erwägung ziehen, sie zu unterstützen.

Gegen Trump äußert er sich allerdings wesentlich härter. Über ihn schreibt er, er sei „nicht zu retten. Er ist hartnäckig uninformiert über die Vorgänge in der Welt und hat keine Ahnung, wie unser Land und die Regierung geführt werden müssen. Er ist von seinem Charakter her völlig ungeeignet, unsere Männer und Frauen in Uniform zu führen. Er ist für den Posten des Oberkommandierenden nicht qualifiziert.“

In dieser Einschätzung stimmt Gates mit der Mehrheit des militärisch-geheimdienstlichen Apparats überein, die Trump in Anbetracht seiner schmeichelhaften Äußerungen über Präsident Wladimir Putin für unzuverlässig gegenüber Russland halten. Sie halten Trumps militaristische Ausfälle gegen den IS für heiße Luft. Clinton dagegen hat sich in ihren Augen über längere Zeit bewährt und schon mehreren Kriegen zugestimmt – in Bosnien, im Kosovo, im Irak, in Libyen und der noch andauernden Intervention in Syrien.

Aber das wichtigste Element in Gates’ Kolumne ist seine stillschweigende Prämisse, dass die Vereinigten Staaten sich unaufhaltsam auf dem Weg zum Krieg befinden. Er schreibt: „Man käme nicht auf die Idee, wenn man nur den Präsidentschaftswahlkampf betrachten würde, aber die erste ernste Krise, die unser neuer Präsident wird meistern müssen, wird wahrscheinlich eine außenpolitische sein. Die Liste der möglichen Anlässe ist lang, länger als 2008.“ Dann zählt er eine ganze Reihe potentieller militärischer Konflikte auf: mit China im Südchinesischen und im Ostchinesischen Meer, mit Russland in der Ukraine, im Baltikum oder Syrien, mit Nordkorea und dem Iran und mit einem „Nahen Osten in Flammen“, darunter Syrien, Irak und Libyen.

„Jede dieser Herausforderungen könnte den Einsatz des amerikanischen Militärs erfordern, der mächtigsten [Streitkräfte], die die Welt je gesehen hat“, schreibt der Ex-Pentagon-Chef. Mit anderen Worten: Gates geht davon aus, dass der nächste Präsident das US-Militär gegen die Atommächte Russland oder China in den Kampf schicken wird. Außerdem wäre auch ein militärisches Eingreifen gegen Nordkorea möglich, das ebenfalls Atomwaffen besitzt, und gegen den Iran, ein Land mit siebzig Millionen Einwohnern, das größer ist, als der Irak und Syrien zusammen.

Gates gewährt einen Einblick in die Diskussionen, die im ganzen amerikanischen Militär und außenpolitischen Establishment geführt werden. Diese Kreise gehen wie selbstverständlich davon aus, dass US-Truppen in nächster Zeit großflächige Militäroperationen durchführen werden. Es handelt sich dabei nicht etwa um Guerillakriege oder Terrorismusbekämpfung, sondern um eine Kombination aus Land-, See-, Luft-, Cyber- oder sogar Atomkrieg.

Diese Diskussion wird immer verantwortungsloser geführt, was in weiterer Kommentar unterstreicht. Er ist am letzten Wochenende auf der Website des Magazins Newsweek unter der effekthascherischen Schlagzeile erschienen: „Sollten wir Kim Yong-Un mit Atomwaffen vernichten, bevor er uns angreift?“

Der Autor Michael O’Hanlon ist ein langjähriger außenpolitischer Analyst der Brookings Institution, einem wichtigen Thinktank der Demokratischen Partei. O’Hanlon war für den Irakkrieg und unterstützt heute Hillary Clinton. Als das Weiße Haus kurzzeitig erwog, von der nuklearen „Erstschlag-Strategie“ Abstand zu nehmen, argumentierte eine Gruppe bei der Brookings Institution dagegen und schrieb: „Nordostasien könnte ein Sonderfall sein, wenn man die nordkoreanischen Atomwaffen berücksichtigt.“

O’Hanlon beteuert, er sei gegen einen nuklearen Erstschlag gegen Nordkorea, allerdings aus rein praktischen Gründen, nämlich wegen der hohen Überlegenheit der USA und Südkoreas bei konventionellen Waffen. Aber allein die Tatsache, dass eine solche Debatte im Nationalen Sicherheitsestablishment der USA stattfindet, ist alarmierend.

Nicht ein einziger unter tausend Amerikanern weiß, dass die führenden Außenpolitiker der Demokratischen und der Republikanischen Partei aktiv über einen Atomkrieg diskutieren, und zwar nicht als hypothetische Möglichkeit, sondern als praktische Frage, die sich aus der Konfrontation mit Russland und China ergibt. Das ist das unvermeidliche Ergebnis der Entwicklung des amerikanischen Imperialismus der letzten 25 Jahre, in denen er nahezu ununterbrochen Krieg geführt hat.

Die World Socialist Web Site hat immer wieder erklärt, dass sich die Kriegsgefahr aus der Natur des kapitalistischen Weltsystems entwickelt. Der US-Imperialismus ist die gefährlichste Kraft auf dem Planeten, weil er den Niedergang seiner ökonomischen Position in der Weltwirtschaft mit seiner militärischen Überlegenheit auszugleichen versucht. Die einzige Möglichkeit, eine Katastrophe für die gesamte Menschheit abzuwenden, ist die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Um diesen Kampf voranzubringen, tritt die Socialist Equality Party mit eigenen Kandidaten bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 an – Jerry White kandidiert für das Präsidentenamt und Niles Niemuth als Vizepräsidentschaftskandidat. Außerdem lädt die SEP am 5. November zu einer Konferenz unter dem Motto „Sozialismus versus Kapitalismus und Krieg“ in Detroit ein. Wir fordern alle Leser auf, die Kampagne der SEP zu unterstützen, zu den Wahlversammlungen im ganzen Land zu kommen und an der Konferenz in Detroit teilzunehmen.

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