Die Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann und die Rolle von Verdi

Auf einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am Freitag erklärte Kaiser’s Tengelmann-Inhaber Karl-Erivan Haub mit unverhohlener Arroganz er gebe den Verhandlungspartnern noch zwei Wochen Zeit, bevor er die Zerschlagung des Unternehmens in Angriff nehme.

Der Milliardär Haub zählt zu den dreißig reichsten Deutschen und hat sich durch extreme Ausbeutung in seinen Läden ein Privatvermögen von über vier Milliarden Euro zusammengerafft. Sein selbstherrliches Auftreten ist ein Ergebnis seiner engen Zusammenarbeit mit Verdi-Chef Frank Bsirske. Haub weiß, dass er von Verdi, nichts zu fürchten hat.

Am Donnerstagabend (22. September) hatte Bsirske, die Eigentümer und Topmanager von Kaiser’s Tengelmann, Edeka, Rewe und Markant AG zu einem vertraulichen Gespräch nach Frankfurt geladen. Außer Karl-Erivan Haub für Kaiser’s Tengelmann kamen Marius Mosa (Edeka) und Alain Caparros (Rewe). Um Proteste der Beschäftigten zu verhindern, hielt Gastgeber Bsirske den Ort des Treffens streng geheim.

Diese Geheimverhandlungen sind Teil der Gewerkschaftsbemühungen den besten Weg für den Arbeitsplatzabbau zu finden und die Betroffenen so lange wie möglich ruhig zu halten. Verdi hat die Aufgabe übernommen, die reibungslose Abwicklung von Kaiser’s Tengelmann gegen die Mitarbeiter durchzusetzen.

Allein in NRW sind achtzig Filialen von Schließung bedroht und 3000 von 4000 Arbeitsplätzen gefährdet. Die Birkenhof-Fleischwerke in Viersen werden geschlossen. Die lukrativeren Kaiser’s-Tengelmann-Filialen in Berlin und München sollen zum Teil einzeln verkauft werden. Der Konzern hat noch rund 15.650 Mitarbeiter in 430 Filialen.

Nach der gestrigen Aufsichtsratssitzung und der angekündigten Fristverlängerung verbreiteten die Gewerkschaftsfunktionäre Zweckoptimismus. „Es gibt keine Zerschlagung“, behauptete das Betriebsratsmitglied Manfred Schick. Ohne weitere Einzelheiten zu nennen, fuhr er fort: „Es gibt eine Hoffnung, und es gibt eine reelle Chance zu überleben. Das ist wichtig.“ Das war das Einzige, was zu erfahren war. Alle Einzelheiten über Absprachen und Vereinbarungen wurden geheimgehalten.

Nun will Verdi den Runden Tisch mit den Konzernchefs fortsetzen und auch die kommenden Gesprächsrunden sollen protestfrei und vertraulich stattfinden. Man muss es deutlich sagen: Verdi organisiert hier eine regelrechte Verschwörung gegen die Beschäftigten. Ihre Funktionäre im Aufsichtsrat von Kaiser’s Tengelmann haben selbstverständlich sämtliche Informationen erhalten. Sie wissen über die Schließungs- und Entlassungspläne seit langem Bescheid, halten die Belegschaften jedoch bewusst im Dunkeln.

Verdi kennt die Stimmung unter den Beschäftigten sehr gut und weiß, wie sehr sich die Wut über Jahre hinweg aufgestaut hat. Die Arbeitsplätze im Einzelhandel zählen zu den am schlechtesten bezahlen, härtesten und anstrengendsten Jobs überhaupt. Hier sind Minijobs und befristete Arbeitsplätze gang und gäbe. Jeder Schritt der Beschäftigten wird streng kontrolliert, und auch Willkür und Verdachtskündigungen sind keine Seltenheit.

Das zeigte vor acht Jahren der „Fall Emmely“ beispielhaft: Die Kaiser’s-Kassiererin Barbara Emme, genannt „Emmely“, erhielt 2008 nach 31 Arbeitsjahren die Kündigung, weil sie angeblich zwei Bons im Wert von 1,30 Euro, die irgendwelche Kunden zurückgelassen hatten, selbst eingelöst haben sollte. Emmely wies alle Vorwürfe zurück und kämpfte jahrelang, schließlich erfolgreich, vor Gericht um ihren Arbeitsplatz. Letztes Jahr ist sie im Alter von 57 Jahren an Herzversagen gestorben.

Die Kaiser’s-Tengelmann-Beschäftigten leisten tagtäglich harte Arbeit, während sich ihre Bedingungen seit Jahren verschlechtern. Schon seit fünf Jahren hat Verdi ihnen den Verzicht auf fünfzig Prozent des Weihnachts- und Urlaubsgeldes aufoktroyiert.

Die wachsende Konkurrenz im Einzelhandel wird gnadenlos auf die Beschäftigten abgewälzt. Wie Branchenkenner ausgerechnet haben, könnte der stationäre Handel wegen des Online-Handels und der schrumpfenden Kaufkraft bis zum Jahr 2020 um rund vierzig Milliarden Euro schrumpfen. Die Kaiser’s-Tengelmann-Kette, die nicht so günstig einkaufen kann wie die riesigen Konzerne Edeka, Rewe, Lidl und Aldi, erleidet seit einigen Jahren Verluste in Millionenhöhe.

Durch das Abstoßen der Kette hofft Unternehmenschef Haub, den Verlustbringer loszuwerden; gleichzeitig spekuliert er darauf, dass Edeka die Filialen in die Tochter Netto eingliedern wird, an denen wiederum Haub selbst beteiligt ist.

Die Gewerkschaftsfunktionäre verschleiern diese nackten Profitinteressen und nutzen ihre betrieblichen Vertretungen um alle Proteste unter Kontrolle zu halten und für einen reibungslosen Geschäftsablauf zu sorgen.

Eine besondere Rolle spielt Frank Bsirskes Kollegin Stefanie Nutzenberger, im Verdi-Bundesvorstand für den Handel zuständig. Sie sitzt selbst im Aufsichtsrat von Rewe. Sie kann jetzt am Runden Tisch auch Rewe die Gelegenheit verschaffen, bei Kaiser’s Tengelmann zum Zuge zu kommen und sich einige der gutgehenden Filialen unter den Nagel zu reißen.

Derweil schürt der Berliner Betriebsratsvorsitzende Volker Bohne weiter die Illusion, dass die Konzerne alle Arbeitsplätze retten könnten. Am Freitagmorgen sagte er im Berliner Radiosender rbb, er setze nach wie vor auf eine Komplettübernahme des Konzerns durch Edeka. „Dass die Teilnehmer gesagt haben, sie treffen sich wieder, ist ein positives Zeichen.“

In Wirklichkeit ist der ursprünglich geplante Verkauf der Gesamtkette an Edeka längst Makulatur. Zunächst sprach sich die Monopolkommission dagegen aus, und das Kartellamt legte ein Veto ein. Als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) das Verbot durch eine Ministererlaubnis außer Kraft setzte, klagten dagegen Rewe und Markant AG und erwirkten vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, dass die Ministererlaubnis ausgesetzt wurde.

Momentan strengt Sigmar Gabriel die Durchsetzung der Ministererlaubnis vor dem Bundesgerichtshof (BGH) an, obwohl der Konzernchef Haub darauf erklärtermaßen nicht mehr warten will.

Gabriel geht es nicht um die Interessen der Kassiererinnen oder anderer Arbeiter, sondern um die Stärkung der Gewerkschaft. Wäre die Ministererlaubnis in Kraft getreten, so wären auf fünf Jahre hinaus alle Entscheidungen über das Schicksal der Kaiser’s-Tengelmann-Filialen und ihrer Beschäftigten an die Zustimmung der Verdi- und NGG-Betriebsräte geknüpft. Diese hatten in den letzten Wochen schon Tarifverträge mit Edeka ausgehandelt, in denen sie Versetzungen, einer Verschlechterung von Bedingungen und der Schließung der Fleischwerke Birkenhof in Viersen zugestimmt hatten.

Sigmar Gabriel will die Gewerkschaften stärken, weil er sie als wichtige Partner einer möglichen rot-rot-grünen Regierung sieht, die die Politik des Sozialabbaus und der militärischen Aufrüstung fortsetzen wird, die vor 15 Jahren mit der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder begonnen wurde.

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