IWF-Treffen im Zeichen einer „existenziellen Krise“

Am Wochenende fand in Washington das Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) statt, diesmal nicht inmitten einer akuten Krise, wie etwa 2009 während des globalen Finanzcrashs oder 2012 während der Gefährdung des Euro. Dafür traten weitaus tiefer liegende Probleme zutage.

Die Financial Times sprach im Zusammenhang mit dem Treffen der Finanzminister und Zentralbanker von einer „existenziellen Krise“. Diese äußere sich in der Angst vor zunehmendem Protektionismus und Zerwürfnissen in der Weltwirtschaft und vor der Ablehnung der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unter breiten Massen der Weltbevölkerung, besonders in den Industrienationen.

All dies fassten die Teilnehmer unter der deutschen Bezeichnung „Trump-Angst“ zusammen. In Anlehnung an den Bösewicht aus den Harry-Potter-Romanen bezeichneten sie Trump als den „Voldemort“ der Weltwirtschaftsordnung, dessen Name nur im Flüsterton hinter verschlossenen Türen ausgesprochen wird.

Trump ist jedoch nur ein, wenn auch besonders widerwärtiger, Ausdruck des Zerfalls der Wirtschaftsordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, und der Verwerfungen, die dies in der offiziellen Politik auslöst.

Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, sprach zwar einige Probleme an, benannte aber nicht einmal ansatzweise irgendwelche Lösungen. Sie erklärte in ihrer Eröffnungsrede, die Industrienationen steckten weiterhin in „einem Kreislauf aus niedrigem Wachstum, geringen Investitionen und niedriger Inflation“ fest. In den Schwellenländern beschleunige sich zwar das Wachstum, doch die niedrigen Rohstoffpreise machten den Rohstoffexporteuren zu schaffen.

Weiter erklärte sie: „Kurz, das Wachstum war zu lange zu niedrig, und es haben zu wenige davon profitiert.“ Die sozialen und politischen Folgen der starken Ungleichheit würden „nur allzu offensichtlich“.

Der Handel sei zum Spielball der Politik geworden, und die Anhänger wirtschaftlicher Integration und Kooperation befänden sich „in der Defensive“.

Sie berief sich auf die Prinzipien, auf deren Grundlage der IWF 1944 inmitten der Verwüstungen durch die Große Depression und den Zweiten Weltkrieg gegründet worden war, und erklärte: „Wenn die Gründer heute hier wären, dann würden sie sich sicherlich Sorgen machen. Ihrer gemeinsamen Überzeugung nach waren Handel und Offenheit von Vorteil für diejenigen, die sich dazu bekannten. Sie waren sich einig, dass der Schlüssel zur Stabilität der Weltwirtschaft in einem multilateralen Dialog liegt... Heute werden diese Prinzipien auf die größte Probe seit Jahrzehnten gestellt.“

Suma Chakrabarti, Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, schloss sich Lagardes Äußerungen über die Gefährdung der Gründungsprinzipien des IWF an und erklärte: „So etwas wie die heutige Skepsis gegenüber diesen Grundwerten habe ich noch nicht erlebt.“

Der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers thematisierte am Montag in einer Kolumne der Financial Times einige der tiefgreifenden Probleme der globalen wirtschaftlichen und politischen Ordnung. Die Atmosphäre der IWF-Tagung fasste er mit den Worten zusammen, sie sei zum einen vom „Gespenst der säkularen Stagnation und des unzureichenden Wirtschaftswachstums“ geprägt, zum anderen „von zunehmendem Populismus und der globalen Desintegration“. Die „allgegenwärtige Befürchtung“ bestehe darin, dass „traditionelle Führungspersönlichkeiten die Kontrolle verlieren und die Weltwirtschaft in unerforschte und gefährliche Gewässer segelt“.

Summers vertritt seit einigen Jahren die Ansicht, dass die Finanzkrise zwar ein ernstes Problem sei, aber nicht der tiefere Grund für die derzeitige „säkulare Stagnation“. Dieser Begriff, der in den 1930er Jahren geprägt wurde, bezeichnet einen Zustand, in dem Investitionen und Wirtschaftswachstum dauerhaft gering sind. In den niedrigen Zinsen sieht Summers einen Ausdruck eines grundlegenderen Problems: dass unverhältnismäßig mehr gespart als investiert werde. Dieser Sparüberhang, dessen Entstehung bis in die 1980er Jahre zurückreiche, sei der wesentliche Grund dafür, dass die Konjunktur nach dem Crash von 2008 entgegen aller Prognosen nicht wieder in Gang gekommen sei.

„Nach sieben Jahren des übertriebenen Optimismus“, so Summers in seiner Kolumne, „greift die Erkenntnis um sich, dass die Herausforderungen weniger eine Nachwirkung der Finanzkrise sind, sondern eher auf tiefe strukturelle Veränderungen der Weltwirtschaft zurückgehen.“

Auch wenn Summers darauf keinen Bezug nimmt, erinnern seine Äußerungen an die Wirtschaftskommentare der 1920er Jahre. Damals hieß es, mit einer richtigen Geldpolitik könnten die Bedingungen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wiederhergestellt werden. Doch entsprechende Versuche scheiterten. Die Wirtschaftskrise verschärfte sich, mündete in die Große Depression und führte letzten Endes zum Zweiten Weltkrieg. Bereits der Erste Weltkrieg war Ausdruck eines Zusammenbruchs der kapitalistischen Weltwirtschaft, dessen Vorbedingungen in der vorangegangenen geschichtlichen Periode entstanden waren.

Im Hinblick auf die aktuelle Lage sieht Summers „zunehmend Grund zu bezweifeln, dass die Industrienationen in den Genuss angemessener Zinssätze kommen, die gleichermaßen den Anlegern, der finanziellen Stabilität und dem Wirtschaftswachstum nutzen. Die Sparquote ist viel zu hoch, die Investitionsquote zu gering und die Stagnation säkular, nicht vorübergehend“.

Es sei nicht verwunderlich, dass die Wähler ärgerlich werden, wenn das Wirtschaftswachstum seit Jahren zurückgehe und nur ein kleiner Teil der Bevölkerung davon profitiere. Sie verlören das Vertrauen „in die Kompetenz der Wirtschaftsführer und deren Bereitschaft, nicht der globalen Elite, sondern der Bevölkerung insgesamt zu dienen“.

Summers betrachtet die derzeitige wirtschaftliche Lage vom Standpunkt des Keynesianismus. Seine politischen Empfehlungen beruhen auf der Annahme, die Nachfrage sei zu gering. Doch in Wirklichkeit taugt die sinkende Nachfrage nicht als Erklärung. Sie ist selbst nur ein Ausdruck der anhaltenden Stagnation.

Die entscheidende Frage ist, warum die Nachfrage, vor allem die Investitionsnachfrage als treibende Kraft der kapitalistischen Wirtschaft, zurückgegangen ist. Die Antwort auf diese Frage ist nicht in den Beziehungen zu finden, die an der Oberfläche der Marktwirtschaft auftreten, sondern im Bereich der Produktion.

In der kapitalistischen Wirtschaft ist das zentrale Motiv für Produktion nicht die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum oder die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse, sondern ausschließlich das Profitstreben. Wenn die Profitraten tendenziell zurückgehen, werden die Investitionen zurückgefahren, was das Wirtschaftswachstum drosselt. Dies wiederum bedingt einen weiteren Rückgang der Investitionsausgaben, was langfristig zu Niedrigwachstum oder sogar zu „säkularer Stagnation“ führt.

Gestützt auf diese grundlegenden Erwägungen sind die Lösungsansätze zu bewerten, die Summers und ähnlich gesinnte Möchtegern-Reformer des Kapitalismus anbieten.

Summers behauptet, der Ausweg liege in einer verstärkten internationalen Kooperation. Man müsse sich „der Anliegen der breiten Mittelschicht, nicht der der globalen Eliten“ annehmen. Demzufolge müsse man statt auf „Austeritätwirtschaft“ auf „Investitionswirtschaft“ setzen, und der „Schwerpunkt der internationalen wirtschaftlichen Kooperation“ müsse „insgesamt von Chancen für das Kapital auf bessere Einkommen für die Arbeit verschoben werden“.

Diese beiden Ziele sind jedoch mit der kapitalistischen Wirtschaft nicht vereinbar. Der Rückgang des Wachstums ist das Ergebnis eines Rückgangs der Investitionen, der wiederum Ausdruck eines Rückgangs der Profitraten und der Gewinnerwartungen ist.

Zwar lassen sich durch Finanzspekulation und Manipulationen eine Zeitlang Profite anhäufen, letzten Endes beruhen Profite jedoch auf der Auspressung von Mehrwert aus der Arbeiterklasse. Wenn man sich also statt auf das Kapital auf die Arbeit konzentriert, verringern sich die Profitraten, die Investitionen sinken weiter und die säkulare Stagnation hält an oder wird schlimmer.

Kurz gesagt, die von Summers vertretenen politischen Ziele stehen objektiv im Widerspruch zu den tieferen, objektiven ökonomischen Beziehungen. Die Maßnahmen, die er fordert, um der sogenannten „Politik der Wut“ entgegenzutreten, würden die wirtschaftliche Lage verschlechtern, und die Maßnahmen, mit denen die Profite wieder gesteigert werden könnten, lösen unweigerlich weiteren Widerstand von unten aus.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich solche Widersprüche in der globalen Wirtschaft und Politik zeigen. Leo Trotzki hatte sie bereits in einer Rede auf dem dritten Kongress der Kommunistischen Internationale im Juni 1921 klar skizziert. Er analysierte die Lage der herrschenden Klassen angesichts des Zusammenbruchs der kapitalistischen Ordnung, die mit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt hatte. Die herrschenden Klassen, erklärte er, könnten die Klassenbeziehungen nur wieder ins Gleichgewicht bringen, indem sie die Wirtschaft zerstörten, zugleich aber die Wirtschaft nur wiederaufbauen, indem sie das Gleichgewicht der Klassen zerstörten. In diesem Teufelskreis seien die Wirtschaft und ihr Überbau gefangen.

Bereits Marx hat darauf hingewiesen, dass sich bürgerliche Ökonomen einbilden, in der kapitalistischen Wirtschaft würden keine Probleme entstehen, wenn alles nach Lehrbuch abliefe. Allerdings basiert das Lehrbuch auf der Annahme, dass der auf privatem Profitstreben basierende Kapitalismus ein natürliches und damit ewiges System der sozioökonomischen Organisation sei. Ihm innewohnende Widersprüche, beispielsweise sinkende Profitraten, werden dabei ausgeklammert.

Doch in der wirklichen Welt lassen sich diese Widersprüche nicht so einfach übertünchen wie im Lehrbuch. Und schon gar nicht lassen sie sich durch die Appelle von Summers und seinesgleichen überwinden, die globale Elite solle „zur Vernunft“ kommen und ihren Kurs ändern.

Genau wie in den 1920er und 1930er Jahren werden sich die Widersprüche weiter verschärfen und zu noch größeren globalen Konflikten führen. Der Kampf um Märkte und Profite wird härter, was letzten Endes zu Krieg führt. Gleichzeitig werden die Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärft und autoritäre Herrschaftsformen entwickelt, um den Unmut der Bevölkerung zu unterdrücken.

Die Lösung der anhaltenden Krise liegt nicht in unmöglichen Reformen. Unsere Aufgabe besteht darin, die zunehmende Ablehnung der wirtschaftlichen und politischen Weltordnung in eine bewusste politische Bewegung zu verwandeln, die sich auf das Programm des internationalen Sozialismus stützt, um das überholte kapitalistische Profitsystem abzuschaffen. Das Treffen des IWF hat diese politische Lehre bestätigt.

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