Perspektive

In Washington eskaliert die politische Kriegsführung

Nur eine Woche vor dem Wahltag hat sich die Krise, die in der amerikanischen herrschenden Klasse wütet, zu einem offenen politischen Krieg entwickelt. Die Krise ist durch unlösbare, erbitterte Konflikte gekennzeichnet.

Der Brief des FBI-Direktors James Comey vom letzten Freitag an den Kongress, in dem neue „Untersuchungen“ in Bezug auf die Ermittlung gegen die Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton angekündigt werden, ist an sich schon ein Zeichen der Krise. Er hat die zugrundeliegenden Spannungen zum Kochen gebracht und die Konflikte offen gemacht, die innerhalb des FBI und des gesamten nationalen Geheimdienstapparats brodeln.

Comeys mysteriöser Brief räumte ein, dass das FBI die neuen E-Mail-Funde noch nicht durchgesehen habe. „Sie sind aber möglicherweise relevant“ in Bezug auf die vorherigen Ermittlungen über die Nutzung eines privaten E-mail-Servers für offizielle Mails durch Clinton in ihrer Zeit als Außenministerin. Die Behörde, schrieb er, „kann noch nicht einschätzen, ob dieses Material von Bedeutung ist oder nicht.“ Dieses Eingeständnis macht Comeys Entscheidung, die Entdeckung der neuen E-Mails nur elf Tage vor den Wahlen zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen, umso erstaunlicher.

Im Verlauf einer rasanten Abfolge von Ereignissen enthüllte das Justizministerium, dass es die Entscheidung Comeys, den Brief abzuschicken, abgelehnt hatte. Es argumentierte, dass der Brief ein langjähriges Prinzip verletze, keine Maßnahmen des Justizministeriums oder des FBI innerhalb von 60 Tagen vor Wahlen zu verkünden, die einen Kandidaten betreffen.

Das Wahlkampfteam Clintons und die Demokraten im Kongress geißelten Comey wegen des Zeitpunkts seines Briefs. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Daytona Beach, Florida erklärte Clinton, Comeys Brief sei „nicht nur eigenartig, sondern auch beispiellos“. Sie schrieb in einem Tweet außerdem, „FBI-Direktor Comey hat dem Parteidruck nachgegeben“. Sie deutete damit an, der Brief sei der Versuch, Führer der Republikaner im Kongress zu besänftigen, die mit dem Entschluss Comeys vom letzten Juli nicht einverstanden waren. Damals hatte Comey entschieden, dass es keine Grundlage für eine Strafanzeige gegen Clinton wegen der Nutzung eines privaten E-Mail-Servers gibt.

Der demokratische Minderheitsführer im Senat, Harry Reid, schrieb einen Brief an Comey, in dem er behauptet, dieser habe gegen das Gesetz verstoßen, das Regierungsbediensteten verbietet, ihre offizielle Position zu benutzen, um das Ergebnis von Wahlen zu beeinflussen. Er schrieb: „Ich möchte Sie mit diesem Brief darüber informieren, dass mein Büro zu der Ansicht gekommen ist, dieses Vorgehen könnte gegen das Hatch-Gesetz verstoßen. Durch Ihr parteiisches Vorgehen könnten Sie das Gesetz gebrochen haben.“

Er fügte hinzu, Comey habe „eine beunruhigende Doppelmoral unter Beweis gestellt, was die Behandlung von vertraulichen Informationen angeht, was deutlich den Eindruck erweckt, eine politische Partei einer anderen vorzuziehen“. Er habe das neuerliche Interesse des FBI an Clintons E-Mails öffentlich gemacht, aber über das, was Reid „explosive Informationen“ nannte, geschwiegen. Darin geht es um die angeblichen Verbindungen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zu russischen Regierungsstellen.

Reid bezieht sich hier auf die Hetze gegen Russland, mit der Clintons Wahlkampfteam vor allem auf die Veröffentlichungen von Zehntausenden von E-Mails und anderen Dokumenten reagiert hat, die von und an den Vorsitzenden ihres Wahlkampfteams John Podesta geschickt worden waren. Dazu gehören auch vernichtende Informationen darüber, wie Bill Clinton die Clinton-Stiftung benutzt hat, um lukrative Einladungen für Vorträge von Firmen und Unternehmerverbänden zu bekommen. Die Sprecher des Wahlkampfteams hatten sich geweigert, über den Inhalt der E-Mails zu reden. Sie behaupten, sie seien von Agenten der russischen Regierung gehackt und dann an WikiLeaks weitergeleitet worden, um Clinton zu schaden und Trump zu helfen.

NBC News berichtete am Sonntag, das FBI habe jetzt einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt, um die gesamten 650.000 E-Mails durchzusehen, die auf dem Laptop des ehemaligen Kongressmitglieds Anthony Weiner gefunden wurden. Er ist der getrennt lebende Ehemann von Clintons engster Mitarbeiterin, Huma Abedin. Gegen Weiner läuft eine FBI-Ermittlung wegen des angeblichen Versands von eindeutig sexuellen Nachrichten an eine Minderjährige.

Das Wall Street Journal veröffentlichte in einer Geschichte, die am Sonntagnachmittag auf ihrer Web-Seite erschien, Details der explosiven internen Krise des FBI, die zu Comeys Brief an den Kongress geführt hat. Laut diesem Bericht gab es innerhalb des FBI wie auch zwischen dem FBI und dem Justizministerium einen heftigen Kampf. Dabei ging es nicht nur um die Untersuchung wegen Clintons E-Mails, sondern um davon getrennte Ermittlungen durch vier FBI-Außenstellen (New York, Washington DC, Los Angeles und Little Rock, Arkansas) über die Unternehmungen der Clinton-Stiftung.

Vor mehr als acht Monaten legten FBI-Agenten den Ermittlern im Justizministerium einen Plan für eine aggressivere Ermittlung gegen die Stiftung vor. Der Vorschlag wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, es gäbe nicht genügend Beweise. Das FBI setzte seine Ermittlungen dennoch fort. Sie wurden noch intensiviert, nachdem im Juli die Untersuchung wegen der E-Mails von Clinton eingestellt worden war.

Der Bericht des Journals behauptet, eine bedeutende Fraktion innerhalb des FBI sei entweder überzeugt gewesen, dass Spitzenbeamte des FBI kriminelle Aktivitäten von Hillary und Bill Clinton vertuschen wollten oder dass Kritiker innerhalb des FBI aus politischen Motiven die Ressourcen der Behörde einsetzten, um Hillary Clintons Wahlkampf zu untergraben, oder beides.

Als Topfunktionäre im FBI und im Justizministerium sich gegen diese Bestrebungen stellten, gab es eine offene Rebellion. Das fand seinen Ausdruck in Indiskretionen an das Wall Street Journal, in deren Mittelpunkt der Stellvertretende Direktor des FBI, Andrew McCabe, stand. Seine Frau kandidierte im letzten Jahr erfolglos als Demokratin für den Senat von Virginia. Laut einigen Presseberichten hat Comey letzte Woche seinen Brief an den Kongress geschickt, weil er überzeugt war, dass die Informationen durch Indiskretionen von FBI-Untergebenen sowieso an die Öffentlichkeit gelangen würden.

Der offene Krieg, in dem Washington am Vorabend der Präsidentenwahl versinkt, offenbart, dass das gesamte politische System und der Staatsapparat von derart großen Spannungen und Konflikten zerrissen sind, dass sie nicht mehr im traditionellen Rahmen bürgerlicher Wahlen gehalten werden können. Angeheizt werden diese Spannungen durch das Aufeinandertreffen von Krisen in der Wirtschaft, der Geopolitik, der Innenpolitik und an der sozialen Front.

Die amerikanische Wirtschaft und die Weltwirtschaft stagnieren auch mehr als acht Jahre nach dem Wall-Street-Crash von 2008 noch, und es gibt wachsende Befürchtungen, dass die Politik der Zentralbanken, die Banken zu stützen und die Aktienkurse hochzutreiben, zu einer neuen finanziellen Katastrophe führen. Die Wirtschaftskrise heizt die gesellschaftliche Wut und die Ablehnung des gesamten politischen Systems an. Das schlug sich auf verschiedene Art und Weise in der Massenunterstützung für die Anti-Wall-Street-Kampagne des selbsternannten „Sozialisten“ Bernie Sanders und in der pseudopopulistischen „Amerika zuerst“-Kampagne von Donald Trump nieder.

25 Jahre endloser Kriege und 15 Jahre „Krieg gegen den Terror“ haben es nicht geschafft, die Vorherrschaft der USA im Nahen Osten sicherzustellen. Sie haben nur die Befürchtungen der herrschenden Elite verstärkt, der US-Imperialismus verliere gegenüber Rivalen wie Russland und China an Boden. Speziell die verwirrende US-Politik in Syrien hat zu erbitterten Konflikten und gegenseitigen Beschuldigungen wegen der US-Politik und zu Forderungen nach einer Ausweitung der militärischen Gewalt nicht nur in Syrien, sondern überall im Nahen Osten geführt. In diesem Zusammenhang werden auch Forderungen nach einer aggressiveren Konfrontation mit Russland und China laut.

Die große Gefahr besteht darin, dass diese Konflikte von verschiedenen Fraktionen derselben reaktionären herrschenden Klasse hinter dem Rücken der Arbeiterklasse ausgetragen werden. Wenn die Arbeiterklasse nicht als unabhängige politische und revolutionäre Kraft im Kampf für ihre eigenen Interessen gegen alle Parteien und Fraktionen der kapitalistischen Klasse eingreift, dann wird die Krise unausweichlich zu einer immer rechteren Politik im Inland und immer umfassenderen Kriegen im Ausland sowie unaufhaltsam zu einem neuen Weltkrieg führen.

Das kapitalistische Zweiparteiensystem bietet nur zwei reaktionäre Alternativen: den faschistoiden Milliardär Trump, der eine enorme Steigerung der Militärausgaben und autoritäre Herrschaftsmethoden fordert und die Multimillionärin Clinton, die Favoritin der Wall Street und des militärisch-geheimdienstlichen Apparats, die die rechte Politik der Obama-Regierung fortsetzen und verschärfen wird.

Sämtliche Fraktionen der herrschenden Elite haben sich darauf geeinigt, die Folgen der kapitalistischen Weltkrise vor den Arbeitern zu verheimlichen. Das ist der Grund für die entwürdigende bürgerliche Wahlkampagne, in der jede ernsthafte Diskussion über die soziale Krise und die Kriegsgefahr durch die Sensationsgier der Medien nach Sexskandalen und durch antirussische Propaganda übertönt wird.

Die Socialist Equality Party ist in die Wahlen von 2016 gegangen, um die Arbeiterklasse auf die politischen Erschütterungen vorzubereiten, die bereits begonnen haben, noch bevor die Stimmen am Wahltag ausgezählt sind. Unsere Kandidaten, Jerry White als Präsident und Niles Niemuth als Vizepräsident, haben ständig davor gewarnt, dass die kapitalistischen Lager zum Ziel haben, die Krise zu vertuschen und die Arbeiter zu entwaffnen. Im Wahlkampf der SEP geht es nicht in erster Linie um Stimmen, sondern um den Aufbau einer Führung in der Arbeiterklasse für die kommenden großen Kämpfe.

Wir fordern alle Leser der World Socialist Web Site auf, den SEP-Wahlkampf aktiv zu unterstützen. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Es ist notwendig, Stellung gegen soziale Ungleichheit, politische Unterdrückung und Krieg zu beziehen.

Die SEP und die International Youth and Students for Social Equality organisieren am Samstag, den 5. November, die Konferenz „Sozialismus gegen Kapitalismus und Krieg“ an der Wayne State University in Detroit. Diese Konferenz hat zum Ziel, die Grundlage für eine nationale und internationale Bewegung gegen den imperialistischen Krieg zu legen, die sich auf die Arbeiterklasse und den Kampf für den Sozialismus stützt. Registriert Euch noch heute für die Konferenz.

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