Silvesternacht in Hamburg: Landgericht erhebt schwere Vorwürfe gegen polizeiliche Ermittlungen

Kaum ein anderes Ereignis ist in der jüngeren Geschichte derart propagandistisch ausgeschlachtet worden, wie die Vorkommnisse der Silvesternacht 2015/2016 in Köln, Hamburg und anderen Großstädten. Angeblich sollen dort Ausländer und Flüchtlinge massenhaft Frauen sexuell belästigt und vergewaltigt haben. Die von Politik und Medien geschürte Empörung wurde gezielt eingesetzt, um die Sympathie zu untergraben, die breite Bevölkerungsschichten Flüchtlingen aus Syrien und anderen Bürgerkriegsländern entgegenbrachten, um die Willkommenskultur in eine Abwehrkultur zu verwandeln.

Die WSWS hatte schon damals gewarnt, dass die Ereignisse maßlos aufgebauscht würden, und bezweifelt, dass in Köln und anderen Städten mehr geschehen war als bei ähnlichen Großereignissen, bei denen viel Alkohol fließt. (Siehe: „Die Übergriffe in Köln und der Ruf nach dem starken Staat“, „Erste Urteile nach Kölner Silvesternacht: Kleinkriminelle als Sündenböcke“).

Ein Urteil in Hamburg hat nun bestätigt, dass Beschuldigungen und Beweise von der Polizei manipuliert wurden. Dies – und die geringe Zahl der wegen der Übergriffe Verurteilten – legt nahe, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt und dass die „Ereignisse der Silvesternacht“ weitgehend ein Konstrukt der Medien waren.

Das Landgericht Hamburg hat die wohl letzten drei angeblichen Täter der Silvesternacht in der Hansastadt freigesprochen. Richterin Anne Meier-Göring sah es als erwiesen an, dass Alireza N., Abidi A. und Aydub B. die ihnen vorgeworfenen Straftaten nicht begangen haben. Auch die Staatsanwaltschaft hatte inzwischen für Freispruch plädiert.

Stattdessen erhob die Richterin schwere Anschuldigungen gegen die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft, die dafür gesorgt hatten, dass die drei fast ein halbes Jahr lang in Untersuchungshaft saßen. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, in der Silvesternacht gemeinsam auf der Großen Freiheit auf St. Pauli Frauen sexuell belästigt zu haben. So sollten sie die Studentin Merle N. am Po, zwischen den Beinen und an die Brust gegrapscht haben.

Die Studentin hatte dies erst mehrere Tage nach Silvester angezeigt, als schon die ersten Medienberichte über sexuelle Übergriffe erschienen waren. In der Tatnacht selbst feierte sie bis morgens um halb fünf Uhr weiter. Von einer Traumatisierung des Opfers, wie es im Prozess hieß, konnte also keine Rede sein.

Telefonisch sagte die Studentin einem Polizisten, sie könne keinen der Täter beschreiben. Alles, woran sie sich erinnere, sei eine schwarze Jacke und ein Ring. Vor Gericht berichtete sie über die anschließende polizeiliche Vernehmung. Sie habe sich die Bilder eines Fotografen, der in der Silvesternacht Bilder der Party schoss, erst einmal allein in Ruhe anschauen dürfen.

Die verantwortliche Kommissarin saß in dieser Zeit in einem anderen Raum. Das widerspreche den Ermittlungsregeln, schreibt Zeit Online. „Bei der Vorlage von Fotos ist gerade der erste, unverstellte Moment wichtig. Wie reagiert die Zeugin? Kommen die Erinnerungen schnell, oder reimt sie sich etwas zusammen?“ Vor Gericht gab die Kommissarin zu, sie könne im Rückblick bei ihrem eigenen Verhalten „nicht von Professionalität sprechen“.

Einer weiteren Polizistin warf die Richterin ihre suggestive Fragetechnik und die „Vorhaltung falscher Fakten“ – das nennt man gewöhnlich Lügen – bei der Vernehmung vor. So hatte sie die Studentin gefragt, was die Männer gemacht hatten, die auf dem Bild um sie herumstanden. Ob sie überhaupt etwas getan hatten, spielte dabei offenbar keine Rolle. Sie verschwieg auch, dass die Bilder gar nicht zum Tatzeitpunkt aufgenommen worden waren.

Einen Angeklagten habe sie bei der Vernehmung durch „Vorhaltung falscher Fakten getäuscht“. Laut Akte hatte die Polizistin in dieser Vernehmung behauptet, sie wisse, dass der Angeklagte auf der Großen Freiheit Frauen begrapscht habe, und sie wisse, dass er auch Merle N. angefasst habe. Das war gelogen. Auf die Frage der Richterin, wie sie solche verbotenen Vernehmungsmethoden rechtfertige, erwiderte die Beamtin: „Ich teile die Aufregung nicht und denke auch nicht, dass das eine verbotene Vernehmungsmethode ist.“

Das einzige „Verbrechen“ der drei Angeklagten bestand darin, dass sie in der Silvesternacht auf St. Pauli feierten. Dennoch verbrachten sie mit einer kurzen Unterbrechung wegen dringenden Tatverdachts etwa ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Ein Verteidiger nannte dies Freiheitsberaubung.

Zwar hatte das Landgericht Hamburg im Sommer die Haftbefehle gegen die drei jungen Männer aufgehoben, weil es schon damals keinen hinreichenden Tatverdacht mehr sah. Das Hanseatische Oberlandesgericht setzte die Haftbefehle jedoch nach Beschwerde der Staatsanwaltschaft wieder in Kraft.

Richterin Meier-Göring erklärte nun, diese Entscheidung sei ihr „rätselhaft“ und „eine krasse Fehlentscheidung“. „Das hat die Angeklagten drei [weitere] Monate ihres Lebens und Hamburg viel Geld gekostet.“

Alle drei Angeklagten werden für ihre Zeit in U-Haft entschädigt und bekommen je 4500 Euro (25 Euro pro Hafttag). Neben den drei nun freigesprochenen jungen Männern saßen auch andere Angeklagte teilweise für mehrere Monate unschuldig in Untersuchungshaft.

Die Anschuldigungen gegenüber Ausländern und Flüchtlingen, die in den ersten Tagen des Jahres von Polizei, Politik und Medien in hetzerischer Weise vorgebracht wurden, haben sich in Luft aufgelöst.

So sollen in Hamburg angeblich 400 Frauen in der Silvesternacht sexuell belästigt worden sein. Es gab 243 Strafanzeigen, zu denen 21 Tatverdächtige ermittelt wurden. Doch nur in drei Fällen reichte der Tatverdacht für eine Anklage aus. In dem nun entschiedenen Fall sieht man, wie dieser Tatverdacht zustande kam: durch Lügen und Manipulationen von Polizei und Ermittlungsbehörden. In Hamburg wurde nur ein einziger Angeklagter einer sexuellen Straftat überführt und verurteilt.

In Köln, wo die Kampagne gegen Flüchtlinge und Ausländer nach der Silvesternacht ihren Anfang nahm, notierte die Staatsanwaltschaft fast 1300 mutmaßliche Opfer. Hier lagen 1182 entsprechende Anzeigen vor, davon 497 wegen sexueller Übergriffe und fünf wegen Vergewaltigung. Von den insgesamt 183 Beschuldigten wurden bislang nur 22 angeklagt, die meisten wegen Diebstahlsdelikten. Lediglich ein Verfahren endete mit einem Urteil wegen sexueller Nötigung, ein weiteres wegen Beleidigung auf sexueller Grundlage.

Die Ereignisse der Silvesternacht wurden maßlos aufgebauscht, um das gesamte politische Koordinatensystem nach rechts zu verschieben. In rassistischer Manier zeichneten Medien und Politik das Bild von gefährlichen, kriminellen Ausländer-Horden, die deutsche Frauen und Mädchen belästigen. Diese Hetze wurde dann genutzt, um den Polizeiapparat aufzurüsten, die öffentliche Überwachung auszudehnen und die Gesetze gegen Ausländer und Flüchtlinge zu verschärfen, um die nach Deutschland geflüchteten Menschen so schnell wie möglich wieder abschieben zu können. Alle, die sich an dieser Hetzkampagne beteiligt haben, sind dafür mitverantwortlich.

Doch Staat und Medien begnügen sich nicht mit dem Erreichten. So monierte das Hamburger Abendblatt den aktuellen Freispruch, weil das Landgericht rechtsstaatliche Prinzipien verteidigte. Diese Urteile seien zwar im Einzelfall nachvollziehbar, schreibt das Blatt. Doch der kruden Logik des Kommentars zufolge zersetzen die Urteile „in ihrer Gesamtheit das Vertrauen“ in den Rechtsstaat. Das komme schließlich der rechten AfD zugute.

Ausdrücklich attackiert Autor Matthias Iken die Kritik des Landgerichts an der Polizei. „Zweifelsohne wurden dort schwere Fehler begangen. Aber wie soll man Täter überführen, die aus einer großen Gruppe kollektiv Straftaten begehen? Wie soll sich ein Opfer in einer Ausnahmesituation Monate später an konkrete Gesichter erinnern?“

Er beantwortet die Frage nicht, doch die Antwort liegt auf der Hand: Täter werden durch die „Vorhaltung falscher Fakten“ überführt. Rassistische Vorurteile statt Fakten – das entspricht in Wahrheit dem Weltbild der AfD.

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