Perspektive

US-Wahl: Der Albtraum stolpert seinem Ende entgegen

Wenn heute Millionen Amerikaner zur Wahl gehen, ist die Stimmung im ganzen Land von Wut und Frustration geprägt.

Das CBS-Programm „60 Minutes“ sendete am Sonntag eine repräsentative Wählerdiskussion. Als der Meinungsforscher Frank Luntz die Teilnehmer aufforderte, ihre Gefühle nach dem über eineinhalbjährigen Wahlkampf mit einem Wort zu beschreiben, kamen Antworten wie „erschrocken“, „verärgert“, „entsetzt“, „abgestoßen“ und „wie im Albtraum“.

Wie zahllose Umfragen bestätigen, sind die beiden Kandidaten, die Demokratin Hillary Clinton und der Republikaner Donald Trump, die am meisten verhassten Präsidentschaftskandidaten der Geschichte. Aber die Verachtung, die beiden Kandidaten entgegenschlägt, zeigt deutlich, dass mittlerweile die gesamte offizielle kapitalistische Politik abgelehnt wird.

Die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen, die die große Mehrheit der Menschen betreffen, haben die Kandidaten und die Medien ignoriert. Die offiziellen „Wahldebatten“, bei denen jeder Kandidat den anderen als Kriminellen denunzierte, empfanden die meisten als peinlich und abstoßend. Clinton und Trump personifizieren jeder auf eigene Art den korrupten und reaktionären Charakter des politischen Systems.

Welche Wahl hat die amerikanische Bevölkerung? Es ist schwer zu sagen, welcher Kandidat der beiden Parteien weiter rechts steht. Der Unterschied liegt wohl eher im Stil als in der Substanz. Während der Demagoge Trump die soziale Unzufriedenheit in faschistische Kanäle zu lenken versucht, benutzt Clinton zynisch das Thema Hautfarbe und Gender als „progressives“ Mäntelchen für Kriegspolitik und die Fortsetzung einer Wirtschaftspolitik, die die Taschen der Superreichen vollstopft.

Wie die Wall Street ihre Aussichten unter einer Clinton-Regierung beurteilt, zeigte schon die Börsenreaktion auf die Ankündigung von FBI-Direktor James Comey, dass die Behörde jetzt doch keine Anklage wegen Clintons E-Mails erheben werde. Der Dow Jones Index sprang um 371 Punkte in die Höhe. Das Clinton-Lager hat einen bedeutenden Flügel des Republikanischen Establishments auf seine Seite gezogen, darunter mehrere neokonservative Urheber der Invasion im Irak von 2003.

Die Wahlkampagne der Demokraten, denen die Unbeliebtheit ihrer Kandidatin bewusst ist, stützt sich auf die älteste politische Erpressungsmethode, um Stimmen für sie zu mobilisieren. Hillary Clinton sei das „kleinere Übel“ beteuern die Partei und ihre Verteidiger. Clinton mag noch so schlecht sein, so das Argument, man müsse sie aber trotzdem wählen, um die Katastrophe zu verhindern, die einer Wahl Trumps unweigerlich folgen würde.

Das Problem mit dem Argument des „kleineren Übels“ besteht darin, dass es meist zu schlimmeren Ergebnissen führt, als man zu verhindern versucht.

Das Mantra vom „schrecklichen Trump“ erklärt noch nichts über die amerikanische Politik. Der Grund, warum dieser lächerliche und obszöne Angeber nominiert wurde, liegt in der tiefen Krise der amerikanischen Gesellschaft. Trump ist das politische Äquivalent des Metastasen-Stadiums eines tödlichen Tumors. Er ist Ergebnis einer von Wirtschaftsinteressen geprägten politischen Kultur, die seit mindestens vierzig Jahren gesellschaftliche Rückständigkeit und Reaktion verbreitet.

Es wäre jedoch zu einfach, Fox News, Talkshows und die Wahlfinanzierungsgesetze für Trumps Nominierung verantwortlich zu machen. Die Reaktion in der Bevölkerung auf seine demagogischen Parolen reflektieren echte soziale Probleme. Viele Arbeiter, die ihn heute wählen wollen, hatten anfänglich den Wahlkampf des Senators aus Vermont, Bernie Sanders, unterstützt. Sanders Versuch, seine „politische Revolution“ für Clinton nutzbar zu machen, führte im Wesentlichen dazu, dass die soziale Wut und die Ablehnung der gegenwärtigen Verhältnisse auf die Mühlen der politischen Rechten geleitet wurden.

Letztendlich ist Trumps Aufstieg ein Ergebnis des politischen Bankrotts der Demokratischen Partei.

Unfähig, eine positive politische Botschaft zu vermitteln, die Massenunterstützung hätte gewinnen können, führte Clinton ihren Wahlkampf gegen Trump auf dem niedrigsten und reaktionärsten Niveau.

So verurteilten die Demokraten und ihre Medienvasallen Trump als Agenten des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie behaupteten, er versuche, die Wahlen durch das Hacken von Clintons E-Mails zu beeinflussen. Diese Behauptung wurde wieder und wieder erhoben, ohne sie durch irgendwelche Fakten zu untermauern. Sie betrieben Kommunistenhetze im Stil von McCarthy, wobei sie Russland an die Stelle der Sowjetunion setzten. Damit sollte die Aufmerksamkeit vom Inhalt der von WikiLeaks veröffentlichten E-Mails abgelenkt werden.

Gefährlicher noch ist es, dass Clinton die unablässige Anti-Putin-Propaganda nutzte, um eine massive Ausweitung militärischer Operationen in Syrien und gegen Russland nach der Wahl zu rechtfertigen. Die große Gefahr eines Weltkriegs, über die während des gesamten Wahlkampfs Schweigen herrschte, wurde am Montag durch die Ankündigung unterstrichen, dass die Nato 300.000 Soldaten – angeblich als Reaktion auf russische Aggression – in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen will.

Zweitens verschärfen die Demokraten im Endspurt des Wahlkampfs ihre hysterischen Verleumdungen, indem sie behaupten, Trumps Unterstützung komme von „privilegierten“ weißen Arbeitern. Diese seien von dem rassistischen Wunsch getrieben, zu einer Ära zurückzukehren, in der sie wieder das Land regieren. Clinton hat ihren Wahlkampf auf Identitätspolitik konzentriert, die die soziale Wut und Empörung unter Arbeitern aller Hautfarben leugnet.

In der Sozialpolitik hat sich Clinton darauf verpflichtet, die Politik der Obama-Regierung fortzusetzen. Diese hat eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben organisiert und eine soziale Ungleichheit historischen Ausmaßes geschaffen, die die ersten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts heraufbeschwört. In den letzten Tagen vor der Wahl erfuhren Millionen Arbeiter dass ihre Krankenversicherungsbeiträge im zweistelligen Bereich steigen werden. Das ist das Ergebnis von Obamas Gesundheitsreform, welche die trügerische Bezeichnung Affordable Care Act trägt (Krankenversicherung, die man sich leisten kann).

Die heutige Wahl wird nichts lösen, egal, welches Ergebnis am Ende herauskommt. Nichts an diesem Wahltag wird zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse oder zur Lösung der großen sozialen Probleme der Arbeiterklasse beitragen, und ebenso wenig zur Verringerung der Gefahr eines dritten Weltkriegs. Das Wahlergebnis wird nur den Rahmen für die nächste Stufe der politischen Krise in den Vereinigten Staaten abstecken.

Diese politische Krise hat weit reichende und weltweite Konsequenzen. Medienkommentatoren der ganzen Welt beobachten halb schockiert, halb entsetzt, was in den Vereinigten Staaten passiert. Edward Luce hat die verbreitete Besorgnis in einem Kommentar für die britische Financial Timesauf den Punkt gebracht. Er erschien am Sonntag unter der Überschrift: „Schlimmste Prüfung für die amerikanische Demokratie“. Das politische System in Amerika, so schreibt er, sei „erschüttert, was immer das Ergebnis der US-Wahl auch sein möge“.

Luce fordert seine Leser auf: “Stellen Sie sich zwei Arten Bedrohung vor: Bei der einen bricht der Bär [Trump] in ihre Hütte ein, bei der anderen fressen Termiten sie von innen auf.“ Das Gute am Bär sei, so schreibt er, „dass man ihn kommen sieht“. Im Gegensatz dazu „sind Termiten unsichtbar. Man kann schwer feststellen, wann sie begonnen haben, das Fundament wegzufressen. Wann und warum haben die Amerikaner das Vertrauen in ihr System verloren?“

Das reaktionäre Schauspiel der Wahlen 2016 ist aus einem langanhaltenden Zerfallsprozess hervorgegangen. Vor fünfundzwanzig Jahren erklärten die Ideologen des amerikanischen Kapitalismus, die Auflösung der Sowjetunion stelle das „Ende der Geschichte“ dar, und die Vereinigten Staaten, die dominierende und unangefochtene Weltmacht, seien der weltweite Garant für liberale Demokratie. Mit dieser reaktionären Phantasievorstellung wird die Wahl, wenn sie schon sonst nichts erreicht, immerhin endgültig aufräumen.

Die heutige Krise in den Vereinigten Staaten ist nicht weniger tief und grundlegend als die Krise des stalinistischen Regimes vor fünfundzwanzig Jahren in der Sowjetunion. Vierzig Jahre Niedergang im Lebensstandard und wachsende soziale Ungleichheit, ein Vierteljahrhundert endloser Kriege, fünfzehn Jahre „Krieg gegen den Terror“, begleitet von einer gewaltigen Machtsteigerung des Militär- und Geheimdienstapparats: Das sind die Kräfte, die Druck auf die demokratische Struktur ausüben und sie zerbrechen.

Auch ist die Krise, die sich in der Wahl ausdrückt, kein rein amerikanisches Phänomen. Sie geht mit globalen Erschütterungen einher: Beispiele sind das Brexit-Referendum in Großbritannien, der Aufstieg rechtsextremer und faschistischer Bewegungen in ganz Europa und die weltweite Diskreditierung aller politischen Einrichtungen.

Diesen Entwicklungen liegt die Krise des Weltkapitalismus zugrunde. Sie drückt sich im zunehmenden Kriegskurs der imperialistischen Mächte aus, der den gesamten Planeten bedroht, und in der Verschärfung des Klassenkampfs, der die objektive Grundlage für eine sozialistische Revolution schafft.

Die Zeiten für eine Politik des “kleineren Übels” sind längst vorbei. Die erste und dringende Aufgabe besteht jetzt darin, eine Partei der Arbeiterklasse aufzubauen. Sie muss Arbeiter unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität oder ethnischer Herkunft vereinen und für ein Programm gewinnen, das ihre Klasseninteressen zum Ausdruck bringt. Diese Partei ist die Socialist Equality Party. Im US-Wahlkampf haben unsere Kandidaten Jerry White für das Präsidenten- und Niles Niemuth für das Vizepräsidentenamt der Arbeiterklasse ein revolutionäres, internationalistisches und sozialistisches Programm vorgelegt.

Die World Socialist Web Site ruft alle ihre Leser in den Vereinigten Staaten auf, ihre Stimme den Kandidaten der Socialist Equality Party, White und Niemuth, zu geben. Aufgrund undemokratischer Bestimmungen über die Wahlteilnahme steht die SEP nur im Staat Louisiana auf dem Wahlzettel, aber jeder, der sie unterstützen will, kann auch in anderen Staaten [nach dem so genannten „Write-in“-Verfahren] die Namen der SEP-Kandidaten von Hand auf den Wahlzettel schreiben.

Die wichtigste Aufgabe besteht darin, eine revolutionäre Führung aufzubauen und so die Kämpfe vorzubereiten, die sich entwickeln und nach der Wahl unweigerlich verschärfen werden. Werdet Mitglied in der SEP und ihrer Jugendbewegung, den International Youth and Students for Social Equality. Tragt dazu bei, in jedem Betrieb, in jeder Schule und an jeder Universität den Einfluss des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution, auszuweiten.

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