US-Wahlkampf verursacht Spannungen im britischen Militär

Sir Richard Shirreff, ein kürzlich in den Ruhestand getretener britischer General, hat sich öffentlich gegen den republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ausgesprochen.

Gegenüber dem konservativen Daily Telegraph erklärte Shirreff, der von 2011 bis 2014 stellvertretender Oberbefehlshaber der Nato in Europa war: „Es sind nur noch wenige Tage bis zu den Wahlen, und es besteht eine sehr reale Gefahr, denn Trump hat erklärt, er werde sich möglicherweise nicht auf Artikel 5 verpflichtet fühlen.“

Artikel 5 der Nato-Satzung verpflichtet jedes seiner Mitglieder, jedem anderen Mitglied, das angegriffen wird, militärisch zu Hilfe zu kommen.

Shirreff ergänzte: „Die Verteidigung Europas während des Kalten Kriegs hing davon ab, dass vollkommen sichergestellt war, egal welcher Präsident im Oval Office residierte und gleichgültig von welcher Partei, dass [die USA] Europa verteidigen würden.“

Shirreff ist ein klarer Verfechter von Vorbereitungen des Nato-Mitglieds Großbritannien auf einen Krieg mit Russland. Anfang des Jahres hat er ein Buch herausgegeben mit dem Titel: 2017: War with Russia: An Urgent Warning from Senior Military Command (2017: Krieg mit Russland. Eine eindringliche Warnung der leitenden Militärführung).

In der herrschenden Elite Großbritanniens macht sich wegen des Ausgangs der US-Wahlen tiefe Sorge über die Zukunft Europas breit, weil bei diesen Wahlen zwei der unbeliebtesten Kandidaten in der amerikanischen Geschichte antreten. Seit der Entscheidung beim Referendum im Juni, aus der Europäischen Union (EU) auszutreten, befindet sich Großbritannien inmitten einer verfassungsrechtlichen und politischen Krise, wie es sie in der Nachkriegszeit noch nicht gegeben hat. Die Atmosphäre ist derart fieberhaft, dass die Diskussionen über die US-Wahlen in den herrschenden Kreisen sich vollkommen konzentrieren auf die Auswirkungen für das Nato-Bündnis, auf die Sicherheit der europäischen Mächte und auf die Frage der Kriegsvorbereitungen gegen Russland, bei denen Großbritannien eine wesentliche Rolle spielt.

Shirreffs Intervention stand im Gegensatz zu der von General Lord Richards, Generalstabschef von 2010 bis 2013. Letzte Woche behauptete Richards, ein verheerender Krieg der USA und seiner Verbündeten gegen Russland sei weniger wahrscheinlich, wenn Trump ins Weiße Haus gewählt würde. Gegenüber der Zeitschrift des Parlaments, House, erklärte Richards: „Nichtstaatliche Akteure wie der IS stellen die größte Gefahr für unsere Sicherheit dar. Wenn Länder und Staaten besser zusammenarbeiten könnten, um mit diesen Leuten fertigzuwerden, dann glaube ich, wird die Welt bestimmt nicht weniger sicher sein. Und ich denke, Trumps Instinkt weist in diese Richtung. Es ist dieser Mangel an Verständnis und Empathie füreinander als Großmächte, der im Moment ein Risiko für uns alle darstellt.“

Richards warnte vor der unmittelbaren Gefahr eines Kriegs mit Russland, falls Hillary Clinton an die Macht kommt. Ein solcher Krieg würde Großbritannien als Amerikas wichtigsten Verbündeten sofort darin verstricken. Über den Krieg in Syrien, in dem die russische Regierung das Regime von Baschar al-Assad unterstützt, während oppositionelle Milizen – von den USA und Großbritannien unterstützt – für seinen Sturz kämpfen, erklärte er: „Wenn sie [Clinton] nicht bereit ist, das richtig zu machen und gegen Russland Krieg zu führen, dann sollte sie nicht über Flugverbotszonen sprechen, genauso wenig wie wir. Um das durchzusetzen, müssten wir russische Flugzeuge abschießen. Wollen wir wegen Aleppo tatsächlich einen offenen Krieg beginnen?“

Er warnte: „Die Alternative für den Westen ist, eine Flugverbotszone auszurufen, und das bedeutet, man muss darauf vorbereitet sein, letztlich in einen Krieg mit Russland zu gehen. Ich sehe die Bereitschaft dafür nicht, und, ganz offen gesagt, sehe ich auch keinen Sinn darin.“

In Ergänzung zu Shirreffs Kommentaren äußerte sich Lord West of Spithead, ehemaliger Oberbefehlshaber der Royal Navy und Labour-Minister für Sicherheit, zu einem neuen russischen Kampfpanzer. Er erklärte gegenüber dem Daily Telegraph, er sei „sehr beunruhigt“ über die militärische Aufrüstung Russlands. West beschrieb Russlands Wirtschaft als „Kriegswirtschaft. Sie haben ein BIP wie Italien und versuchen dasselbe für Verteidigung auszugeben wie Amerika. Was sie machen ist untragbar. Und wenn etwas untragbar ist, dann kann alles passieren.“

Aus Wests Kommentaren könnte man kaum schließen, dass die wichtigsten Nato-Mächte Unsummen ihres eigenen BIPs aufwenden, um sich auf einen Krieg mit Russland und China vorzubereiten.

Im August erklärte West gegenüber dem Daily Star: „Wenn die EU auseinanderbrechen sollte und die Dinge in Europa furchtbar schief laufen sollten, was sie meiner Ansicht nach wahrscheinlich tun werden, dann haben wir das im letzten Jahrhundert historisch schon zweimal wieder einrenken müssen, mit einem enormen Blutzoll und Verlust an Werten für unsere Nation.“

Zu China erklärte West: „Ich glaube, wir können das die Amerikaner nicht alleine machen lassen, wir müssen ihnen beistehen.“

Großbritanniens regierende Konservative, unterstützt von der oppositionellen Labour Party, haben kürzlich die Erneuerung des Trident-Atomraketen-Systems abgesegnet, was schätzungsweise mehr als 200 Milliarden Pfund kostet (fast doppelt so viel wie die jährlichen Ausgaben für den staatlichen Gesundheitsdienst Großbritanniens).

Dass hohe Militärs sich in politische Angelegenheiten einmischen, geschieht inzwischen regelmäßig und ist ein Zeichen für den Verfall der britischen Demokratie. Im September 2015, unmittelbar nach dem erdrutschartigen Sieg des „Linken“ Jeremy Corbyn beim Kampf um die Parteiführung der Labour Party, veröffentlichte die Sunday Times Kommentare eines „hohen Generals im Dienst“. Wenn Corbyn Premierminister werden sollte, hieß es, dann gäbe es die „sehr reale Möglichkeit einer Meuterei“. Der Offizier erklärte, Teile des Militärs wären bereit, alle „erdenklichen Mittel, ob lauter oder unlauter“, einzusetzen.

Nur wenige Wochen später wurde Großbritanniens ranghöchster Soldat, der Generalstabschef Sir Nicholas Houghton, von Andrew Marr von der BBC zu seiner Meinung über Corbyns Äußerung gefragt, dass er niemals den Einsatz von Atomwaffen erlauben würde. Houghton antwortete: „Ich wäre beunruhigt, wenn diese Idee zum Tragen käme.“

Die Verfassungskrise, die das Brexit-Referendum ausgelöst hat und der Versuch des unterlegenen Pro-EU-Lagers, die Entscheidung zu kippen, hat hohe Militärs dazu veranlasst, erneut auf außergewöhnliche Art und Weise einzugreifen. Lord West und Lord Dannatt, der ehemalige Oberbefehlshaber der Armee, äußerten ihre Opposition gegenüber dem Urteil des High Courts, Premierministerin Theresa May könne den Artikel 50 nicht mithilfe von königlichen Vorrechten auslösen, d.h. mit dem Prozess des Austritts aus der EU beginnen, und damit das Parlament umgehen. Eins der Vorrechte, die davon betroffen sind, ist die „Kontrolle, Organisation und Verfügung über die Armee“.

Lord Dannatt erklärte gegenüber dem Sunday Telegraph: „Dieses Urteil sollte keine Auswirkungen auf den zukünftigen Gebrauch des königlichen Vorrechts in Bezug auf die Ermächtigung von Militäreinsätzen haben. Ich befürchte, das könnte es. Aber es liegt jetzt an der Regierung, deutlich zu machen, dass diese Verknüpfung nicht legitim ist und nicht gemacht werden darf.“

Er fügte hinzu: „Das ist so etwas wie eine Konsens-Regierung. In Wirklichkeit aber sollte der Premierminister ein Führer sein, Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben.“

Lord West erklärte: „Es gibt Leute, die den Einsatz der königlichen Vorrechte nicht mögen, um damit zu reagieren und sehr schnell in einen Krieg zu ziehen, wenn man das als Nation tun muss. Ich fürchte, sie haben Unrecht. Wir wählen eine Regierung, und die ganze Aufgabe der Regierung ist es, zu regieren. Es könnte vorkommen, dass man handeln muss, weil die Zeit zum Handeln sehr knapp ist. Dann kann man nicht erst im Parlament eine Diskussion darüber anfangen.“

Die wachsende Besorgnis in Großbritannien wegen der US-Wahlen zeigt sich derweil überall in Europa.

Die meisten führenden europäischen Politiker wünschen sich einen Sieg Hillary Clintons. Sie glauben, sie werde zumindest vorläufig die transatlantischen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen beibehalten. Aber in jedem Land gibt es auch entgegengesetzte Positionen. In Frankreich ist Marine Le Pen, die Führerin des neofaschistischen Front National, eine ernstzunehmende Herausforderin bei den Präsidentschaftswahlen im April/Mai nächsten Jahres. Le Pen hat sich für freundschaftliche Beziehungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgesprochen und unterstützt Trump. Dieser sei „ein weniger gefährlicher Kandidat als Hillary Clinton“, erklärte sie und fügte hinzu: „Clinton bedeutet Krieg.“

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