„Es geht um die Rechte der Anwaltschaft als Ganzes“

Das Berliner Verwaltungsgericht wies am 24. November die Klage von Rechtsanwalt Martin Manzel ab, dem die Bundespolizei bei einer Abschiebung den persönlichen Kontakt zur betroffenen Mandantin verweigert und einen Platzverweis erteilt hatte. Die WSWS sprach nach der Gerichtsverhandlung mit den drei Anwälten, die an der Verhandlung beteiligt waren. Sie betonten die grundsätzliche Bedeutung ihrer Klage.

v.l.n.r. - RA Heimann, Lorenz, Manzel

Der Kläger Dr. Martin Manzel arbeitet als Anwalt für Ausländerrecht, Felix Heimann ist Fachanwalt für Strafrecht und Hans-Georg Lorenz leitet eine in Berlin bekannte Kanzlei für Ausländerrecht. Er ist SPD-Mitglied und war in den 70er Jahren einige Jahre Sprecher des Innensenators.

WSWS: Worin sehen Sie die Bedeutung des Verfahrens?

Manzel: Zum einen die Frage, wie gehen wir mit Anwälten um. In diesem
Verfahren sehe ich nur die Spitze eines großen Eisbergs. Ich hatte im Voraus einige Kollegen auf diesen Fall aufmerksam gemacht und mehrere Schreiben bekommen, die zum Ausdruck brachten: Es ist schön, Herr Manzel, dass Sie dieses Verfahren machen. Es geht hier um die ganze Anwaltschaft, ich habe auch schon so etwas erlebt, einen Platzverweis zum Beispiel bei einer Demonstration, obwohl ich als Anwalt dort war.

Der zweite Punkt ist die Abschiebung. Unter welchen Bedingungen findet diese statt, und kann der Betroffene noch einmal mit seinem Anwalt sprechen, bzw. kann man einem Anwalt, der zum Abschiebegewahrsam kommt, einfach einen Platzverweis erteilen.

Diese beiden Punkte sind sehr wichtig: Einerseits geht es um die Rechte der Anwaltschaft als Ganzer, dann aber konkret um die Situation im Abschiebegewahrsam. Hier müssen wir Rechtsklarheit und Rechtssicherheit haben.

Lorenz: Wir befinden uns weltweit in einem Rechtsruck. Überall werden Systeme installiert, die totalitären oder jedenfalls sehr autoritären Charakter haben. […] Überall werden Anwälte rechtlos gestellt, besonders schlimm gerade in der Türkei, wo Anwälte von Terroristen selbst als Terroristen bezeichnet werden. […] Auch hier verschlechtert sich die Situation.

Es geht um die Gewaltentrennung: Wir haben im letzten Jahrhundert und auch in den letzten Jahrzehnten ein deutliches Übergewicht der Exekutive zu verzeichnen. Zwischen 1933 und 1945 sowieso, da gab es nur Exekutive. Da hatte man die Anwälte größtenteils abgeschafft. […]

Deshalb ist diese Sache hier wichtig. Es wird gesagt, bei der Abschiebung – zumindest bei einem nicht unerheblichen Teil – hat die Kontrolle nichts zu suchen, weil wir effektiver abschieben wollen. Das ist ja zurzeit das Thema: Warum schiebt ihr nicht noch mehr ab. Wir müssen darauf achten, dass dies nicht auf Kosten des Rechtsstaats und insbesondere nicht auf Kosten der Anwaltschaft passiert. Darunter leiden am Ende auch die Betroffenen wie unsere Mandantin Banu O.

WSWS: Welche Rolle spielte der Gutachterarzt Rainer Lerche?

Manzel: Die Betroffenen wünschen sich einen objektiven Gutachter, der ihren Gesundheitszustand richtig beurteilt. Stattdessen erhalten sie jemanden, der sein Einkommen seit Jahrzehnten dadurch bestreitet, dass er als Rucksackmediziner Abschiebungen begleitet und die Reisefähigkeit bescheinigt. Er hat sich dadurch eine goldene Nase verdient.

Abgesehen von der Tatsache dieser ekelhaften, menschenverachtenden Abschiebepraxis mit gekauften Gutachtern – der Mann hat selbst zugestanden, dass er in den letzten dreißig Jahren noch nie eine Abschiebung gestoppt hat – geht es aber auch darum, wie man mit mir im Abschiebegewahrsam am Flughafen umgegangen ist. Man hat so getan, als sei mein Anliegen nicht ernst zu nehmen und ich würde nur stören. Wenn man einen Anwalt so behandelt, wie werden sie dann erst die Abzuschiebenden behandeln oder ihre Angehörigen, die sie noch einmal sehen wollen.

WSWS: Abschiebungen werden häufiger, das Bundesinnenministerium plant die massive Rückführung von Afghanen. Welche Bedeutung hat das Verfahren in dieser Situation? Und welche Bedeutung hat es für die demokratischen Rechte aller?

Heimann: Uns geht es um rechtsstaatliche Regeln. Bereits mit den RAF-Prozessen in den 70er Jahren wurden die Anwaltsrechte erheblich eingeschränkt. Es ist ein ständiger Kampf von uns Anwälten zu sagen: Stopp – so nicht! Ein ständiges Ringen um den Rechtsstaat!

Das Konsultationsrecht des Mandanten, die Möglichkeit, seinen Anwalt sprechen zu dürfen, ist in vielen haftähnlichen Situationen problematisch. Das betrifft viele Fälle, nicht nur bei Abschiebungen, wo jemand in Gewahrsam der Polizei gerät.

Ich will nicht behaupten, dass die Gegenseite nicht rechtsstaatlich denkt. Aber sie bringt oft praktische Argumente vor, warum etwas nicht geht, Termingesichtspunkte usw. Oft hat man den Eindruck, dass die Entscheidung schon vorher getroffen wurde.

Manzel: Hier wird mit der Macht des Faktischen agiert. Da heißt es ‚kein Raum, keine Zeit, wir haben Parallelmaßnahmen‘ usw. Das haben wir alles in diesem Verfahren gehört.

Heimann: Oder ‚wir sind nicht zuständig‘! Die eigentliche Unverschämtheit ist doch: Sie wissen von Herrn Lerche und seinen Gefälligkeitsgutachten, aus denen er seinen Lebensunterhalt bestreitet. Und doch sagen sie, wir als Bundespolizei sind nicht zuständig, wir müssen uns auf den Arzt verlassen. Das kann ein Rechtsstaat nicht hinnehmen. Da hätte der Richter sagen müssen, doch, ihr habt eine eigene Prüfungspflicht. Diese habt ihr nicht wahrgenommen. Der Zustand der Frau war doch klar, sie hatte kein Gepäck, kein Geld, kein Handy, stand unter erheblichen Mengen von Valium, die von Herrn Lerche verabreicht wurden, und war völlig aufgelöst.

Lorenz: Ohne Anwalt wäre diese Frau sozusagen nackt an die Türkei übergeben worden.

Martin Manzel betont, dass das Verfahren auch für andere Abschiebungen wichtig sei. Es gebe „Tausende Abschiebungen, die teilweise wahnsinnig brutal sind“, berichtet er. „Teilweise werden Kinder aus Jugendeinrichtungen herausgeholt, obwohl gegenteilige polizeiliche Anweisungen existieren, herzkranke Kinder abgeschoben, Familien getrennt. Wir haben dauernd solche Fälle auf dem Tisch.“

Abschließend drückt er seine Hoffnung aus, letztlich zu gewinnen. „Es lohnt sich zu kämpfen. Solange dies noch möglich ist, sollten wir dies tun. […] Theoretische Rechte sind nichts wert, wenn man sie nicht praktisch umsetzen kann. Vor diesem Hintergrund war es ein wichtiges Verfahren.

[…] Natürlich ist es praktisch, den Anwalt auszuschalten, es ist vielleicht auch praktisch, durch Folter ein Geständnis zu erpressen, das hat aber nichts mit unseren Grundüberzeugungen zu tun.

Deshalb habe ich mich auch so aufgeregt, dass man mich als Anwalt so darstellt, als wäre ich ein Krimineller, als wollte ich meine Mandantin quasi heraussprengen, als ginge von mir eine Gefahr aus. Die Gegenseite, die Bundespolizei und ihr Dienstherr, das Bundesinnenministerium, haben sich aber auf diesen Punkt zurückgezogen, statt die weiße Fahne zu hissen und zu sagen, jeder hat die gleichen Rechte und kann einen Anwalt hinzuziehen. Dass sie diesen Schritt in der Verhandlung nicht gemacht haben, ist signifikant.

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