Anschlag in Berlin: V-Mann fuhr Täter nach Berlin

Eine Woche nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt häufen sich die Forderungen nach einer massiven Aufrüstung des Staatsapparats, der Abschaffung elementarer demokratischer Rechte und der Abschottung der Grenzen gegen Flüchtlinge.

So verlangt die bayrische CSU in einer Beschlussvorlage für ihre Klausurtagung Anfang Januar mehr Personal und bessere Ausstattung für die Sicherheitsbehörden, zusätzliche Befugnisse bei der Strafverfolgung, mehr Überwachung von E-Mails und Kommunikationsdiensten wie Whatsapp und Skype sowie einen verstärkten Datenaustausch zwischen den EU-Staaten.

Dabei war der Anschlag von Berlin nicht auf mangelnde Kompetenzen der Sicherheits- und Justizbehörden zurückzuführen. Ganz im Gegenteil, der mutmaßliche Täter Anis Amri bereitete seine Tat buchstäblich unter den Augen der Behörden vor. Wie man inzwischen weiß, wurde der 24-jährige Tunesier im Frühjahr dieses Jahres sogar von einem geheimen Informanten des Verfassungsschutzes nach Berlin gefahren, wo er monatelang intensiv überwacht wurde, bevor er am 19. Dezember einen schweren Lastwagen in eine Menschenmenge fuhr.

Amri hatte wegen krimineller Delikte vier Jahre lang in italienischen Gefängnissen gesessen, wo er sich radikalisierte. 2015 wurde der damals 22-Jährige entlassen und ging nach Deutschland, wo er erfolglos Asyl beantragte. Nach Recherchen von „Report München“ schloss er sich einem islamistischen Netzwerk an, in dem mindestens zwei Spitzel des Staatsschutzes aktiv waren.

Die ARD-Sendung „Brennpunkt“ zitierte am Freitagabend aus einem Aktenvermerk, laut dem eine „Vertrauensperson“ (VP) des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts bereits Ende 2015 Kontakt zu Amri aufnahm. „Im Verlauf der nächsten Tage erklärte Amri, mittels Kriegswaffen (AK 47, Sprengstoff) Anschläge in Deutschland begehen zu wollen“, heißt es in dem Vermerk.

Zwischen Februar und März 2016 wurde Amri dann von einem „geheimen Informanten des Verfassungsschutzes“, dem er von seinen Plänen erzählte, von Dortmund nach Berlin gefahren. „Er wird durch die VP gefahren und macht Angaben dazu, dass es sein Auftrag sei, im Sinne von Allah zu töten“, steht in dem vom „Brennpunkt“ gezeigten Aktenvermerk.

Etwa zur selben Zeit schickte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen laut Süddeutscher Zeitungseine Erkenntnisse über das islamistische Netzwerk, in dem Amri verkehrte, an den Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Der oberste deutsche Strafverfolger nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der Unterstützung und Mitgliederwerbung für eine terroristische Vereinigung auf. Im November ließ er den Kopf der Gruppe, Abu Walaa, sowie deren harten Kern verhaften.

Anis Amri blieb dagegen auf freiem Fuß. Angeblich hatte der Generalbundesanwalt seinen Fall, kurz nachdem er mithilfe des Verfassungsschutzes nach Berlin übersiedelt war, an die Berliner Justiz abgegeben und angeregt, wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, einer abgeschwächten Form des Terrorismus, gegen ihn zu ermitteln. Die Berliner Staatsanwaltschaft nahm schließlich nur Ermittlungen wegen des Verdachts auf, Amri plane einen Einbruch, um mit dem erbeuteten Geld Waffen für einen Anschlag zu kaufen.

Amri wurde deshalb von den Berliner Sicherheitsbehörden bis September überwacht und beobachtet. Dann wurde die Überwachung angeblich eingestellt, weil es keinen Hinweis auf eine bevorstehende Straftat gab. Die Berliner Behörden verzichteten darauf, Amri festzunehmen, obwohl dies bei einem abgelehnten Asylbewerber, der des Terrorismus verdächtigt wird und nur über eine Duldung verfügt, ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Es ist völlig unglaubwürdig, dass dies aus Versehen oder aufgrund mangelnder rechtlicher Grundlagen geschah. Selbst Heribert Prantl, selbst Jurist und Leiter des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, vermutete am Freitag, dass Amri mit Absicht unbehelligt blieb. „Haben die Behörden das Risiko Amri in Kauf genommen, weil man sich von seiner Überwachung Erkenntnisse erhoffte? Und hat die überwachende Behörde anderen Behörden nichts gesagt, weil man die Erkenntnisse für sich haben wollte?“ fragte er.

Tatsächlich drängt sich der Verdacht auf, dass Teile des Staatsapparats den Anschlag bewusst in Kauf nahmen, um einen Rechtsruck herbeizuführen. In den herrschenden Kreisen toben heftige Auseinandersetzungen über die Flüchtlings- und Sicherheitspolitik. Viele halten Bundeskanzlerin Merkel für zu weich, um in Zeiten heftiger nationaler Spannungen und sozialer Konflikte die Regierung zu führen. Unter diesen Umständen wird der Anschlag benutzt, um die Bevölkerung einzuschüchtern und einen politischen Kurs- und möglicherweise Regierungswechsel herbeizuführen.

Man kennt dieses Muster inzwischen von vielen Terroranschlägen – den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris, vom 15. April 2013 in Boston und vom 11. September 2001 in den USA.

In all diesen Fällen befanden sich die Attentäter seit langem im Visier der Sicherheitskräfte, ohne dass diese einschritten. Und in allen Fällen lieferten die Anschläge den Vorwand für eine massive Aufrüstung des Staatsapparats – in Frankreich für die Verhängung des Ausnahmezustands, der bis heute anhält; und in Boston für eine Bürgerkriegsübung in einer Millionenstadt; und 9/11 diente als Rechtfertigung für den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ – die verheerenden Kriege im Nahen Osten und den Aufbau eines gigantischen Überwachungs- und Polizeiapparats in den USA.

Für ähnliche Ziele wird nun der Berliner Anschlag ausgeschlachtet. Obwohl es keinen Zusammenhang zu den Flüchtlingen gibt, die im vergangenen Jahr aus Syrien und anderen Bürgerkriegsländern nach Deutschland kamen, und obwohl die Sicherheitsbehörden über Amris Absichten Bescheid wussten, ertönt die Forderung nach einer strikten Abschottung der Grenzen und dem Aufbau eines totalitären Überwachungsstaats.

Spiegel Online prophezeite am Dienstag, die Auseinandersetzung werde „bis zur Bundestagswahl im September noch schärfer, noch polarisierender, noch schmutziger werden“. Die Innenexperten aller Parteien diskutierten „laut über konsequentere Abschiebungen, Transitzentren, Videoüberwachung, elektronische Fußfesseln für islamistische Gefährder“. Kanzlerin Merkel, die sich um eine vierte Amtszeit bewirbt, sträube sich nicht grundsätzlich gegen diese Debatten, doch nun wisse sie, „dass sie wirklich liefern muss“.

„Der ‚humanitäre Imperativ‘ war gestern, 2017 wird Merkel nicht mehr die Flüchtlingskanzlerin sein, sondern die Sicherheitskanzlerin. Sie muss den ‚starken Staat‘ verkörpern, den sie jetzt beschworen hat, allein schon, um sich die Unterstützung der eigenen Reihen zu sichern“, folgert Spiegel Online.

Ähnliche Reaktionen gibt es auch international. In Frankreich fordern neben dem rechtsextremen Front National nun auch die konservativen Les Républicains die Abschottung der Grenzen. „Die Entscheidung von Frau Merkel, die Grenzen zu öffnen, hat die Sicherheit Europas, des ganzen Kontinents geschwächt, Wir brauchen unbedingt eine andere Einwanderungspolitik, eine andere Sicherheitspolitik – in Paris wie in Berlin“, erklärte LR-Sprecher Guillaume Larrivé.

Der britische Spectator beklagte, dass Deutschland immer noch „Gefangener seiner Vergangenheit“ bleibe, „gezeichnet durch das Wissen, dass das Land von Goethe und Beethoven sechs Millionen Juden ermordet hat“, wenn es darum gehe, das Asylrecht abzuschaffen.

The Week bezeichnet Merkels Flüchtlingspolitik als „Desaster“. „Sie sagte, man könne den „‚europäischen Werten‘ nur wirklich treu bleiben, wenn man diese enorme Flüchtlingswelle willkommen heiße. Aber die gegenwärtige Welle des Terrorismus und die enorme Angst vor Verbrechen und Unordnung in europäischen Städten sind nicht nur eine tödliche Gefahr für ihre eigene Partei, sondern für die Europäische Union selbst.“

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