Polen: Regierung entmachtet Parlament und Verfassungsgericht

Ermutigt durch den Wahlsieg von Donald Trump in den USA hat die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ihre Offensive gegen die liberale Opposition und ihre Bemühungen um die Errichtung eines autoritären Regimes verschärft.

In der Nacht vom 17. Dezember hatte die Polizei eine Blockade des Parlaments (Sejm) durch die Opposition aufgebrochen. Zuvor hatte die liberale Opposition in ganz Polen Proteste mit mehreren zehntausend Teilnehmern organisiert, die sich gegen ein Gesetz zur Beschränkung des Zutritts von Medienvertretern ins Parlament richteten.

Am Freitag, den 16. Dezember, besetzten Abgeordnete der liberalen Parteien Bürgerplattform (PO) und .Nowoczesna (Moderne) dann den Plenarsaal des Sejms, um gegen das Gesetz zu demonstrieren. Daraufhin verlegte die Regierungspartei die Abstimmung über den Haushalt 2017 kurzerhand in einen anderen Raum, zu dem laut Medienberichten weder oppositionelle Abgeordnete noch Medienvertreter Zutritt hatten. Damit schloss die PiS die Abgeordneten der Opposition de facto von der Entscheidung über den Haushalt aus, einem der wichtigsten Rechte des Sejm.

Liberale Sejm-Abgeordnete besetzen bis heute den Plenarsaal. Die Besetzung soll bis zur nächsten geplanten Sitzung am 11. Januar andauern. Der Sejm ist inzwischen mit einem Metallzaun abgeriegelt und wird von Polizisten bewacht. Demonstrationen vor dem Gebäude wurden verboten. PiS-Chef Jarosław Kaczyński bezichtigte die Opposition eines versuchten „Putsches“.

Drei Tage nach der Sejm-Blockade entmachtete PiS mit Unterstützung von Präsident Andrzej Duda in einer Nacht- und Nebelaktion das Verfassungsgericht. In der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember peitschte sie drei Gesetzesänderungen durch, die das Gericht praktisch unter Regierungskontrolle stellen. Der Präsident des Verfassungsgerichts wird nun direkt vom Staatspräsidenten ernannt, und Andrzej Duda ernannte sofort die PiS-Anhängerin Julia Przyslebska zur neuen Präsidentin. Die Amtsperiode des oppositionsnahen Gerichtspräsidenten Andrzej Rezpliński war am 19. Dezember ausgelaufen.

Das Verfassungsgericht hatte seit Ende letzten Jahres mehrere Gesetze von PiS für verfassungswidrig erklärt. Die Regierung weigerte sich allerdings, die Urteile zu drucken, womit sie nach polnischem Recht nicht rechtskräftig wurden. Nun ist das Verfassungsgericht praktisch als von der Regierung unabhängige Institution ausgeschaltet. PiS kann jetzt die Verfassungsänderungen beschließen, die die Partei 2015 in ihrem Wahlprogramm angekündigt hatte.

Die EU hat sich in der innenpolitischen Auseinandersetzung offen auf die Seite der liberalen Opposition gestellt. Die EU-Kommission forderte Polen nach einem Treffen am 21. Dezember auf, die jüngsten Gesetzesänderungen zum Verfassungsgericht binnen zwei Monaten zu ändern. Sie tat dies im Rahmen des sogenannten „Rechtsstaatmechanismus“, den die EU-Kommission Anfang des Jahres zum ersten Mal in ihrer Geschichte gegen Polen anwandte. PiS hat bereits angekündigt, die jüngsten Vorschläge nicht zu akzeptieren. Wenn sie die neue Frist nicht erfüllt, kann die EU Polen theoretisch Abstimmungs- und Vetorechte entziehen.

Der Ex-Präsident der Kommission, José Manuel Barroso, hatte diesen Schritt als „nukleare Option“ bezeichnet. In der Geschichte der EU sind bisher noch nie Sanktionen gegen ein Mitgliedsland verhängt worden. Eine solche Option erscheint momentan jedoch unwahrscheinlich, da Ungarn in einer Abstimmung höchstwahrscheinlich ein Veto einlegen würde. Sie könnte auch schnell zum EU-Austritt Polens und dem Zusammenbruch der Union führen.

Mit ihrer autoritären Offensive reagiert PiS auch auf die Wahl von Donald Trump in den USA. Einerseits sieht sich PiS innenpolitisch durch die Wahl des rechten Milliardärs gestärkt, der genauso wie sie an ultrarechte Kräfte appelliert. Andererseits hat das Wahlergebnis die Auseinandersetzung um die außenpolitische Orientierung des Landes verschärft, da die herrschenden Kreise Polens fürchten, die US-Regierung könne sich unter Trump von der Nato abwenden und eine Annäherung mit Russland suchen.

PiS reagiert auf die wachsende Unsicherheit in den internationalen Beziehungen mit autoritären Maßnahmen und einer beschleunigten militärischen Aufrüstung. Die liberale Opposition hat dem nichts entgegenzusetzen, außer Appelle an privilegierte Schichten der städtischen Mitteklasse und an die Europäische Union, die in ganz Europa für brutale Spardiktate auf Kosten der Arbeiterklasse verantwortlich ist.

Dabei sind die autoritären Maßnahmen von PiS in breiten Bevölkerungsschichten unpopulär, obwohl die Regierung versucht hat, die Arbeiterklasse durch soziale Zugeständnisse wie die Einführung eines Kindergelds von 500 Zloty pro Monat (ca. 125 Euro) und die Senkung des Renteneintrittsalters zu neutralisieren. In Umfragen lehnten 68 Prozent der Bevölkerung das Gesetz zur Beschränkung des Medienzutritts zum Parlament ab. Auch in der Frage des Verfassungsgerichts spricht sich eine Mehrheit der Polen gegen die Angriffe von PiS aus. Rund 47 Prozent sind der Ansicht, das Land gehe grundsätzlich in die falsche Richtung, mit steigender Tendenz.

Letztlich hat die liberale Opposition jedoch weit mehr Angst vor einer Mobilisierung der Arbeiterklasse als vor den autoritären Maßnahmen der PiS. Sie ist, wie die PiS auch, aus Teilen der stalinistischen Bürokratie und der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc entstanden, die die kapitalistische Restauration 1989 mitgetragen hatten. Die Restauration führte zu einer massiven Verarmung der Arbeiterklasse, breiter Schichten der Mittelklasse und der ländlichen Bevölkerung. Die begrenzten bürgerlichen demokratischen Rechte, die 1997 in der Verfassung festgelegt wurden, um die Restauration zu legitimieren und einen stabilen Rahmen für die bürgerliche Herrschaft zu schaffen, sind von PiS innerhalb von nur einem Jahr fast zur Gänze abgebaut worden.

In der Frage der Kriegsaufrüstung gegen Russland stimmt die liberale Opposition mit der Regierung überein. Es gibt jedoch scharfe Differenzen darüber, mit welchen imperialistischen Mächten Polen sich dabei verbünden soll.

Die Regierungspartei PiS ist auf eine enge Allianz mit den USA und Großbritannien und den Aufbau einer Allianz osteuropäischer Staaten gegen Russland – das so genannte Intermarium – orientiert. Sie stellt sich gegen die Versuche Berlins, die EU in eine Militärunion umzuwandeln, und fürchtet eine deutsche Vormachtstellung in Europa. Ihre autoritären Bestrebungen nach dem Vorbild des Pilsudski-Regimes der Zwischenkriegszeit dienen der Kriegsvorbereitung und der gewaltsamen Unterdrückung der Arbeiterklasse.

Die liberale Opposition argumentiert hingegen, eine Allianz osteuropäischer Staaten gegen Russland sei nicht realisierbar und würde Polen auf Konfrontationskurs mit Berlin bringen, das ein Intermarium ablehnt. Durch eine ausschließliche Orientierung auf die USA und Großbritannien sieht die liberale Opposition die nationalen Interessen Polens gefährdet. Sie will daher eine enge Allianz mit den USA mit einer gleichzeitigen Orientierung auf die EU verbinden, insbesondere auf Deutschland, dem wichtigsten Wirtschaftspartner Polens.

Die Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten hat dazu beigetragen, dass diese Differenzen eskalieren. Die nun befürchtete Annäherung Russlands und der USA wäre für beide Lager eine Katastrophe. Der liberale Flügel der Bourgeoisie, für den EU-Ratspräsident Donald Tusk eine zentrale Figur ist, hält es nun für um so wichtiger, eng mit Deutschland und Frankreich zusammenzuarbeiten und die EU zu stärken.

Vertreter der Regierungspartei haben hingegen erklärt, dass sie noch enger mit den USA zusammenrücken wollen. Die Androhungen Trumps, die Nato aufzugeben und mit Russland zusammenzuarbeiten, versucht die PiS weitgehend zu ignorieren und herunterzuspielen.

Die polnische Bourgeoisie hat sich seit 1989 auf das Bündnis mit den USA und auf die Nato orientiert. Seit dem Beitritt Polens und anderer osteuropäischer Länder zum atlantischen Militärbündnis haben die USA wiederholt versucht, diese gegen Berlin und Paris auszuspielen und den wachsenden Einfluss von Deutschland in der EU auszubalancieren. Unter der PO-Regierung von Donald Tusk, der nun ein enger Verbündeter von Kanzlerin Merkel ist, hat Polen aber auch enge politische und wirtschaftliche Beziehungen mit Deutschland und, zu einem geringeren Maße, mit Frankreich entwickelt.

Das drohende Aufbrechen der EU, die wachsenden Konflikte zwischen den führenden imperialistischen Mächten Europas und den USA und der mögliche Kurswechsel der US-Außenpolitik unter Trump stellen die polnische Bourgeoisie nun vor ein praktisch unlösbares Dilemma. Wie in den 1930er Jahren muss sie verzweifelt zwischen Bündnissen mit imperialistischen Mächten lavieren, die zunehmend auf einen Weltkrieg zusteuern.

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