Rom: Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Grillo-Bewegung versinkt in Korruptionsskandal

Selten wurde eine Partei so gründlich demaskiert wie zurzeit Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) in Rom. Die Wahl ihres Mitglieds Virginia Raggi zur Bürgermeisterin der italienischen Hauptstadt im Sommer 2016 galt als ihr bisher größter Erfolg. Nun versinkt Raggi, die einen „radikalen Neubeginn im Namen von Ehrlichkeit und Transparenz“ versprochen hatte, in einem Korruptionsskandal.

Am 16. Dezember wurde Raffaele Marra, Personalchef der römischen Stadtverwaltung, wegen Bestechlichkeit verhaftet. Wenige Tage zuvor war Paola Muraro, die für die Müllentsorgung verantwortliche Umweltdezernentin, zurückgetreten, weil die Staatsanwaltschaft gegen sie wegen Amtsmissbrauch ermittelt. Schon im September hatte Raggi ihr Kabinett komplett umbilden müssen, nachdem fünf führende Mitglieder der Stadtregierung aus Protest zurückgetreten waren.

Mehrere Bauunternehmer wurden unter Hausarrest gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit Schulrenovierungen Mitglieder der Stadtverwaltung bestochen zu haben. Diese sollten bis zu zwanzig Prozent der für die Renovierung vorgesehenen Mittel als Schmiergeld erhalten.

Ebenfalls am 16. Dezember hat die Polizei im Rathaus am Kapitol Dokumente der Bürgermeisterin beschlagnahmt, um ihre Einstellungspraktiken zu untersuchen.

Beppe Grillo, Gründer und Führer der Bewegung, hält eisern an Raggi fest. Auf seinem Blog schrieb er am 17. Dezember: „Es sind Fehler gemacht worden. Virginia hat erkannt, dass sie den verkehrtesten Personen der Welt vertraut hat. Ab heute wird die Marschrichtung geändert… Wir werden mit Zähnen und Klauen kämpfen, um Rom zu ändern.“

Am 2. Januar schlug Grillo der Bewegung eine Änderung ihres Ethik-Kodexes vor, über die per Internet abgestimmt wurde. Demnach muss ein Amtsträger der M5S nicht mehr automatisch zurücktreten, wenn die Justiz gegen ihn ermittelt. Dies entscheidet allein der „Garant der Bewegung“, nämlich Grillo selbst. Die Änderung hat in der italienischen Presse den Spitznamen „decreto salva-Raggi“ (Raggi-Rettungsdekret) erhalten.

Der Kampf gegen Korruption stand lange im Mittelpunkt der Agitation der Fünf-Sterne-Bewegung. Beppe Grillo nutzte den Vorwurf der Korruption, um die weit verbreitete Wut auf die herrschenden Eliten auf die Mühlen seiner Bewegung zu lenken, die vorgab, weder rechts noch links zu sein, in Wirklichkeit aber ein rechtes, nationalistisches und pro-kapitalistisches Programm vertritt. Die Fünf-Sterne-Bewegung wurde so zur zweitstärksten Partei des Landes, dicht hinter den regierenden Demokraten (PD), und gewann die Stichwahl um das römische Rathaus mit 67 Prozent der Stimmen.

Ein halbes Amtsjahr Raggis hat genügt, um den wirklichen Charakter von Grillos Bewegung zu entlarven. Sie vertritt die Interessen von kleinbürgerlichen Schichten, die selbst aufsteigen und sich bereichern wollen, und ist auf das engste mit den alten, korrupten Eliten verknüpft. Ihre Tiraden gegen staatliche Verschwendung richten sich vor allem gegen die Arbeiter im öffentlichen Dienst, und ihre Forderung nach schärferer Einwanderungskontrolle zielen auf Immigranten ab, den schwächsten Teil der Arbeiterklasse.

M5S hat in letzter Zeit zunehmend rechte und rechtsextreme Elemente um sich gesammelt. Das zeigen auch die jüngsten Enthüllungen über die römische Stadtregierung. Virginia Raggi hat die besten Beziehungen zu altbekannten und sehr rechten Kreisen in Rom. Die 38-jährige Rechtsanwältin hatte in der Kanzlei von Pieremilio Sammarco gearbeitet, dessen Bruder, der Staranwalt Alessandro Sammarco, sowohl Ex-Premier Silvio Berlusconi, als auch dessen Berater Marcello Dell’Utri und Cesare Previti verteidigt hatte.

In Cesare Previtis Kanzlei soll Virginia Raggi vor dreizehn Jahren sogar ein Praktikum absolviert haben. Previti hatte Berlusconi zu seiner Villa in Arcore verholfen und wurde Mitbegründer und später Fraktionsvorsitzender von dessen Partei Forza Italia. In Berlusconis erstem Kabinett war er 1994 Verteidigungsminister. Der langjährige Berater und Anwalt Berlusconis, ein Mitglied der skandalumwitterten Loge P2, wurde später wegen Richterbestechung rechtskräftig verurteilt (aber nur einen Tag inhaftiert).

Die Anwaltskanzlei Sammarco stand in bester Beziehung zu einem Vorgänger Virginia Raggis, zur Verwaltung des rechtsextremen Bürgermeisters Gianni Alemanno (2008–2013). In dessen Ära blühte die so genannte „Mafia Capitale“ (Hauptstadt-Mafia) ungehindert auf. Auch die Vorwürfe gegen den im Dezember verhafteten Marra und die Umweltdezernentin Paola Murora gehen auf die Ära Alemanno zurück.

Marra, aufgrund seines Einflusses auf Raggi auch „Rasputin vom Kapitol“ genannt, arbeitete zuletzt als oberster Dienstherr von 23.000 städtischen Angestellten. Unter Alemanno war er Chef des Departements für Wohnungspolitik und in dieser Funktion in mehrere Korruptionsfälle im Immobilienbereich verwickelt.

Gleichzeitig mit Marra wurde der römische Immobilienhändler Sergio Scarpellini verhaftet, der Marra 2013 eine private Immobilie eine halbe Million Euro unter dem Marktpreis verschafft haben soll. Im Gegenzug soll Marra ihm lukrative Aufträge vermittelt haben.

Auch mit einem andern Unternehmer, dem Ingenieur Fabrizio Amore, gegen den ebenfalls im Zusammenhang mit der „Mafia Capitale“ ermittelt wird, soll Marra Millionenverträge abgeschlossen haben.

Die Dezernentin Murora, die mit der Vetternwirtschaft im Amt für Müllbeseitigung (AMA) aufräumen sollte, war ebenfalls Mitglied alter Seilschaften. Sie hatte insgesamt zwölf Jahre lang, auch unter Alemanno, als hochdotierte Beraterin für das AMA gearbeitet und in dieser Funktion über eine Million Euro an Honoraren kassiert. Gegen Muraro laufen Ermittlungen wegen (nicht genau bezeichneter) Umweltvergehen im Zusammenhang mit der Müllbeseitigung.

Seit 2012 wurde das Geflecht der „Mafia Capitale“ vom Investigativ-Journalisten Lirio Abbate, der Zeitung L’Espresso und dem Generalstaatsanwalt Giuseppe Pignatone aufgedeckt. Demnach kontrollierten bekannte Mafiosi wie Massimo Carminati und Salvatore Buzzi ganze Teile der Stadtverwaltung. Carminati stammte aus der neofaschistischen Terrororganisation Nuclei Armati Rivoluzionari (Revolutionäre Bewaffnete Zellen) und unterhielt bei seinen Geschäften die besten Beziehungen zu beiden politischen Lagern.

Unter Alemanno führten Carminati und Buzzi eine so genannte „Kooperativen“-Holding mit bis zu tausend Mitarbeitern und einem Umsatz von mehreren Dutzend Millionen Euro, über die sie ehemalige Häftlinge oder auch Immigranten konkurrenzlos billig für die Stadt arbeiten ließen. Es gelang ihnen auch, die Leitung der Aufnahmezentren für Flüchtlinge zu übernehmen. Hier kassierten sie vom italienischen Staat täglich zwischen dreißig und 45 Euro pro Immigrant – ein Millionengeschäft, das sich als profitabler erwies als der Drogenhandel. Carminati und Buzzi befinden sich heute in Haft.

Nach Marras Verhaftung und nach intensiven Diskussionen mit Beppe Grillo trennte sich Raggi im Dezember von zwei weiteren engen Mitarbeitern, dem Vizebürgermeister Daniele Frongia und dem Sekretariatsleiter Salvatore Romeo. Wie der Espresso aufgedeckt hat, ist Raggi mit Marra, Frongia und Romeo schon länger bekannt. Durch eine Intrige hatte das Quartett Anfang 2016 den Spitzenkandidaten der Fünf-Sterne-Bewegung in Rom, Marcello De Vito, aus dem Rennen um die Stadtregierung hinausgedrängt.

Raggis Wahlsieg im Juni 2016 beruhte vor allem darauf, dass sie als „neues, unverbrauchtes Gesicht“ auftrat, während die beiden großen Lager völlig diskreditiert waren. Unter dem Alemanno-Regime war „Mafia Capitale“ aufgeblüht, aber auch das Mitte-Links-Lager hatte anschließend keine Besserung gebracht.

Als Ignazio Marino mit Unterstützung der Demokraten (PD) und verschiedener pseudolinker Organisationen 2013 die Führung der Hauptstadt übernahm, stand diese vor der Insolvenz, und er wälzte die Krise mit einem Spardekret auf die Arbeiterklasse ab. Marino verlor rasch jede Unterstützung und trat Ende 2015 freiwillig zurück, obwohl gegen ihn vorgebrachte Korruptionsvorwürfe sich als haltlos erwiesen.

Raggi brachte Marra, Frongia und Romeo als verschworene Clique mit in die Stadtverwaltung, wo sie hochdotierte Positionen besetzten. Der so genannte „magische Zirkel“ (in Anspielung auf Raggis Namen „raggio magico“, magischer Radius) wurde erstmals öffentlich bekannt, als die Kabinetts-Chefin, die Richterin Carla Raineri, Anfang September unter Protest gegen Marra zurücktrat, der offenbar alle Fäden in der Hand hielt. Am selben Tag verließen auch der Finanzstadtrat und drei weitere hohe Beamte die römische Stadtregierung.

Wie eine Umfrage der Agentur Winnpoll am 3. Januar zeigte, hat die Fünf-Sterne-Bewegung in den Umfragen infolge der Enthüllungen knapp zwei Prozent verloren. Wären jetzt Parlamentswahlen, würde Beppe Grillos Partei noch 26,4 Prozent erhalten. Gewinnen würde eine neue Koalition der Rechten mit 34,4 Prozent (Lega Nord 14,1, Forza Italia 13,2, Fratelli d’Italia 4,4 Prozent), während Matteo Renzis Demokratische Partei 27,5 und die Pseudolinken weniger als fünf Prozent (Sinistra Italiana 4,4 und Rifondazione Comunista 0,5) der Stimmen erhalten würden.

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