Zweite Sammelabschiebung nach Afghanistan

In einer gemeinsamen Aktion von Bund und Ländern wurden am Montag dem 23. Januar erneut 26 afghanische Flüchtlinge vom Rhein-Main-Flughafen nach Kabul geflogen. Es war bereits die zweite derartige Massenabschiebung. Schon am 14. Dezember waren 34 Menschen nach Afghanistan deportiert worden.

Die jungen Männer kamen aus Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz, wo sie vergeblich Zuflucht vor dem Krieg in ihrem Land gesucht hatten. Achtzehn der 26 Abgeschobenen kamen aus Bayern.

Mehrere der Betroffenen wurden in einer regelrechten Nacht- und Nebel-Aktion aus ihrem Umfeld herausgerissen, wie Schwerverbrecher polizeilich abgeführt und in den Flieger gesetzt, um in Kabul, einem der gefährlichsten Orte der Welt, ausgesetzt zu werden. Viele von ihnen waren seit Jahren in Deutschland integriert, hatten Familie und Freunde sowie eine Berufsausbildung oder Arbeitsstelle.

Einem Bericht der Tageszeitung taz vom 24. Januar zufolge, stammten „mehrere der jungen Männer aus Kabul und der westafghanischen Stadt Herat, andere aus den unsicheren Provinzen Logar, Kunar, Kapisa oder Wardak“. Unter ihnen seien viele gewesen, „die gut Deutsch sprechen und teilweise jahrelang Arbeit hatten“.

Weiter heißt es dort: „Badam Haidari (31) erzählte in gut verständlichem Deutsch, er habe sieben Jahre lang in Würzburg gelebt. Fünf Jahre und acht Monate davon habe er bei Burger King gearbeitet, ‚immer Vollzeit‘. Er habe nie Ärger gehabt. ‚Kein Klauen, kein Krieg mit irgendwem, keine Schlägereien‘ … Arasch Alokosai (21) aus Kabul sagte, er habe sechs Jahre in Nürnberg gelebt. Er habe einen Ausbildungsvertrag als Karosseriebauer in der Tasche gehabt, da sei ‚die Absage‘ [des Asylantrags] gekommen. Die Freundin sei im dritten Monat schwanger. Ramin Afschar (19), ebenfalls aus Kabul, sagte, er sei in Deutschland zur Berufsschule gegangen. Man habe ihn am Montagmorgen aus dem Bett geholt und in Handschellen abgeführt.“

Um Proteste und Widerstand zu vermeiden, hatten die Innenministerien vorab keinerlei Angaben zur geplanten Abschiebung gemacht und den Termin erst im letzten Moment bekanntgegeben.

Dennoch versammelten sich bis zu zweihundert Menschen am Flughafen, um gegen die Abschiebung zu protestieren. Eine Gruppe afghanischer Flüchtlinge aus der Region Frankfurt („Afghan Refugees Movement“) und Pro Asyl hatten kurzfristig dazu aufgerufen. Auf ihren Transparenten stand: „Bleiberecht für Alle“, „Abschiebestopp – jetzt!“ und „Keine Abschiebung nach Afghanistan“.

Protestkundgebung vom Montag am Flughafen Frankfurt (Foto Afghan Refugee Movement)

Etwa eine Viertelmillion geflüchteter Afghanen leben derzeit in Deutschland. Von ihnen gelten rund 1600 als ausreisepflichtig. Über zehntausend haben einen Status als „Geduldete“. Ihr Asylantrag wurde zwar abgelehnt, aber die Abschiebung momentan ausgesetzt. Sie alle leben jetzt in ständiger Angst.

Die Sammelabschiebungen stützen sich auf das Rücknahmeabkommen, das die Bundesregierung mit der Regierung in Kabul am 2. Oktober 2016 abgeschlossen hat. Es ist ein schmutziger Deal, bei dem die afghanische Regierung für jeden zurückgenommenen Flüchtling eine Prämie von der deutschen Regierung und zusätzliches Geld von der EU kassiert.

Dabei ist die Lage in Afghanistan heute unsicherer denn je. Im ersten Halbjahr 2016 wurden über 1600 tote und 3565 verletzten Zivilisten gezählt, das waren die schlimmsten Zahlen seit 2009. Bis Ende 2016 waren mehr als 1,7 Millionen Menschen innerhalb Afghanistans auf der Flucht. Allein im vergangenen Jahr hatten eine halbe Million Einwohner des Landes aus ihren Wohnungen fliehen müssen. Und in diesem Jahr kam es in den ersten zwei Januarwochen 2017 zu Anschlägen und Entführungen in Kabul, Kandahar, Helmand und Pamir mit über hundert Toten.

Der jüngste Bericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR zur Lage in Afghanistan gibt ein verheerendes Bild: Die Sicherheitslage habe sich in den letzten Monaten so drastisch verschlechtert, dass sich Abschiebungen in das Land durch nichts rechtfertigen ließen. Ganz Afghanistan sei von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt erfasst. Man könne zwischen sicheren und unsicheren Regionen „aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage“ überhaupt nicht unterscheiden, so der UNHCR-Bericht.

Auch der frühere afghanische Minister Amin Farhang sowie der frühere afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta, die beide jahrzehntelang in Deutschland lebten, bestätigten in Zeitungsinterviews die Einschätzung des UNHCR über die katastrophale Lage in ihrem Land. Selbst Hans-Peter Bartels (SPD), der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, sagte dem Tagesspiegel am 27. Dezember: „Afghanistan ist kein sicheres Land. Deshalb hat die internationale Gemeinschaft auch beschlossen, sich weiter um die Stabilisierung zu bemühen, zivil und militärisch, vor allem durch Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte.“

Um in der Öffentlichkeit Stimmung zu machen, wird verbreitet, im Wesentlichen würden nur bedrohliche Straftäter und „Gefährder“ abgeschoben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière rückte die Menschen, die abgeschoben werden, in die Nähe von Terroristen. In einem Schreiben an die Innenminister der Länder schrieb er, seit dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember stehe „die Abschiebepraxis in unserem Land insgesamt auf dem Prüfstand“, Rückführungsmaßnahmen müssten „in Zukunft deutlich konsequenter“ durchgesetzt werden.

Dem widersprechen Informationen, die Pro Asyl gesammelt hat und die ein völlig anderes Bild ergeben. „Unter den Abgeschobenen waren auch Menschen, die Straftaten begangen haben“, räumt der Bericht ein. „Insgesamt bleibt dabei aber sehr unklar, wie hoch die Zahl ist und wie schwerwiegend die Delikte überhaupt sind, die ihnen zur Last gelegt werden.“

Pro Asyl habe Informationen über 23 der Menschen einholen können, die teilweise im Dezember abgeschoben wurden oder deren Abschiebung vorerst gestoppt werden konnte: „Die Menschen sind zwischen 21 und 57 Jahre alt, waren meist schon zwei bis fünf Jahre in Deutschland, teilweise gar länger. Einige von ihnen waren auf dem Weg in eine Ausbildung oder hatten bereits Arbeit. Viele sind – beispielsweise mit psychischen Problemen – in ärztlicher Behandlung gewesen. Bei den meisten dieser 23 Personen ist nichts über Straftaten bekannt.“

Obwohl die Abschiebungen eigentlich Ländersache sind, werden die Entscheidungen darüber im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffen und mit Hilfe der Bundespolizei durchgeführt. Das Bundesinnenministerium arbeitet dabei aufs Engste mit den Ländern zusammen.

Diese haben bisher kein einheitliches Vorgehen. Aus Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und dem Saarland wurden Flüchtlinge abgeschoben, während mehrere andere Länder noch keine Menschen nach Afghanistan deportiert haben. Aus Schleswig-Holstein kam ein Vorschlag zu einem bundesweiten Abschiebestopp.

Was die Sammeldeportationen stark erleichtert, ist ein Beschluss, den die Grünen aus zehn Bundesländern in diesem Januar fassten. Demnach unterstützen die Grünen künftig auch Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan. In dem Beschluss heißt es, die Bundesländer seien verpflichtet, Rückführungen zu vollziehen, über die „allein die Bundesregierung auf Grundlage ihrer Einschätzung der dortigen Sicherheitslage“ entscheide. Bezeichnenderweise fordern sie die Regierung auf, die Deportationen künftig besser vor der Öffentlichkeit zu verschleiern: Das Bundesinnenministerium solle „die unwürdige öffentliche Darstellung von ‚Sammelabschiebungen‘“ künftig unterlassen, heißt es in der Erklärung.

So machen sich die Grünen für die schändlichen Abschiebungen mitverantwortlich. In Hessen betrifft dies den grünen Verkehrsminister Tarek al Wazir, der mit Volker Bouffier (CDU) an der Spitze der schwarz-grünen Landesregierung steht. Die Landesregierung ist nicht nur für die Abschiebungen zuständig und könnte ihnen widersprechen, sie ist auch Teilhaber des Flughafens und dafür zuständig, was sich dort abspielt.

Auch Die Linke unterstützt in Thüringen, Brandenburg und Berlin, wo sie in der Landesregierung sitzt, die Abschiebung von Flüchtlingen. Teilweise tut sie dies in Form der sogenannten „freiwilligen Rückkehr“. Dabei besteht die „Freiwilligkeit“ darin, dass abgelehnte Asylbewerber genötigt werden, das Angebot zur „freiwilligen Ausreise“ anzunehmen, falls sie nicht zwangsweise und auf eigene Kosten abgeschoben werden wollen. Die Linke stellt die Asylgesetze der Bundesregierung nicht in Frage.

In Thüringen, wo Die Linke unter Bodo Ramelow die Landesregierung führt, organisiert sie eine ebenso brutale Flüchtlingspolitik wie alle andern Parteien. Im letzten Jahr lag Thüringen mit 1762 „freiwilligen“ Rückkehrern zwischen Januar und November im deutschen Vergleich auf Platz zwei.

Im Gegensatz dazu wächst die Solidarität in der Bevölkerung. So mehren sich die Demonstrationen gegen Abschiebungen und werden größer. Den Flüchtlingen, die größtenteils 2015 und teilweise zu Fuß vor dem imperialistischen Krieg in ihrem Heimatland nach Deutschland geflüchtet sind, bringen die allermeisten Arbeiter und Jugendliche bis heute eine große Hilfsbereitschaft entgegen.

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