Soziologe Andrej Holm an der Humboldt-Universität entlassen

Am Mittwoch letzter Woche hat die Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität, Sabine Kunst, die Entlassung des Soziologen Andrej Holm angekündigt. Holm war bereits am 16. Januar von seinem erst kürzlich angetretenen Posten als Staatssekretär für Wohnen im Berliner Senat zurückgetreten, nachdem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zwei Tage zuvor angekündigt hatte, er wolle ihn entlassen. In beiden Fällen wurde das Vorgehen damit begründet, dass Holm über seine kurzzeitige Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS, Stasi) falsche Auskünfte gegeben und sich deshalb disqualifiziert habe.

Dass Holm kurzzeitig bei der Stasi tätig war, ist seit Jahren öffentlich bekannt. Er selbst hatte in einem Interview mit der tageszeitung im Dezember 2007 aus freien Stücken zugegeben, im September 1989 im Altere von 18 Jahren seine Grundausbildung beim „Wachregiment Felix Dzierzynski“ des MfS begonnen zu haben. Auch unter dem Einfluss seiner Eltern, die beide für das MfS arbeiteten, habe er sich schon als Jugendlicher „dafür entschieden, dort selber eine längerfristige Laufbahn einzuschlagen“, erklärte er damals. Angepeilt war ein ziviles Journalistikstudium an der Uni Leipzig, während er zugleich seine Stasi-Ausbildung absolvieren sollte. Dazu kam es aber nicht, nachdem Demonstranten im Januar 1990 die Stasi-Zentrale in Berlin stürmten und die Arbeit des Geheimdiensts obsolet wurde.

Unter Studierenden an der HU genießt Holm einen guten Ruf als Stadtsoziologe und linker Mietaktivist. Seit der Bekanntgabe seiner geplanten Entlassung halten zahlreiche Studenten aus Solidarität das Institut für Sozialwissenschaften besetzt, an dem Holm bis zuletzt gelehrt hatte.

Nach seinem Studium der Sozialwissenschaften in den 1990er Jahren hatte Holm 2004 an der Humboldt-Uni über stadtsoziologische Fragen promoviert. 2005 war er an der HU als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt worden. Dabei hatte er in einem Personalfragebogen angegeben, nicht hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gewesen zu sein, was ihm nun zum Vorwurf gemacht wird. Privat war Holm in mehreren Stadtteil- und Mieterinitiativen aktiv. Auf Vorschlag der Linkspartei-Senatorin Katrin Lompscher wurde der parteilose Holm dann Anfang Dezember 2016 vom neuen Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei zum Staatssekretär für Wohnen ernannt.

Auf die Ernennung Holms folgte eine regelrechte Kampagne insbesondere von Seiten der Oppositionsparteien CDU und FDP, die eine üble antikommunistische Hetze anstimmten. Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, beantragte eine offizielle Missbilligung der Ernennung. Auf der Website der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte der Blogger „Don Alphonso“, „dass jemand mit so einem ideologisch gefestigten Standpunkt und seiner fragwürdigen Selbstreinwaschung in der Berufspolitik nichts verloren hat“.

HU-Präsidentin Kunst erklärte am Mittwoch letzter Woche in einer ausführlichen Stellungnahme, sie habe Holm nicht wegen seiner Stasi-Tätigkeit entlassen, sondern wegen seines öffentlichen Umgangs damit. Konkret warf sie ihm vor, dass er „hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat [...] Die Falschangaben, das fehlende Bedauern und sein Beharren auf ,Erinnerungslücken‘ haben mich zu der Entscheidung gebracht, das Arbeitsverhältnis zu beenden“, erklärte sie.

Holm selbst verwahrt sich gegen die Anschuldigung, über seine Tätigkeit bei der Stasi wissentlich getäuscht zu haben. Sechs Wochen nach Beginn seiner Grundausbildung sei er in eine Schreibstube versetzt worden, erklärte er im vergangenen Dezember bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung. Er habe dies als Teil seiner Ausbildung gesehen, die dem mit der Stasi vereinbarten Journalistikstudium voranging. Da er sich noch in Ausbildung befand, habe er sich nicht als hauptamtlicher Mitarbeiter verstanden. Deshalb habe er bei seiner Einstellung an der HU 2005 wahrheitsgemäß angegeben, seinen Wehrdienst beim Wachregiment verrichtet zu haben, eine Tätigkeit als hauptamtlicher Mitarbeiter jedoch verneint.

Da er inzwischen durch Einblick in seine MfS-Akte wisse, dass er schon zur Zeit der Ausbildung als hauptamtlicher Mitarbeiter galt, habe er seine Angaben gegenüber der HU und dem Berliner Senat korrigiert, gab Holm in einer Erklärung Mitte Dezember bekannt.

Der Personalrat der HU kann sich bis zum 31. Januar zur Sache äußern. Holm hat angekündigt, gegen die Entscheidung arbeitsrechtlich vorgehen zu wollen.

Ein Angriff auf demokratische Rechte

Die geplante Entlassung Holms an der Humboldt-Uni ist ein Angriff auf grundlegende demokratische Rechte.

Der parteilose Holm mag von der Linkspartei in die Berliner Landesregierung berufen worden sein, um dieser als Wissenschaftler mit einem linken Ruf einen politischen Deckmantel für ihre rechte Politik zu verleihen. Doch es geht hier nicht um die Verteidigung seiner Politik oder um eine Verharmlosung der Stasi. Es ist schlichtweg nicht hinnehmbar, dass ein wissenschaftlicher Mitarbeiter entlassen werden soll, weil er vor 26 Jahren für kurze Zeit für ein Staatsorgan der DDR gearbeitet hat, noch dazu wo diese Arbeit keinerlei Bezug zu seiner wissenschaftlichen Arbeit hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden an westdeutschen Universitäten und im gesamten Staatsapparat fast alle, auch noch so belasteten Amtsträger aus der NS-Zeit wieder übernommen, ohne jemals Rechenschaft über ihre Arbeit im „Dritten Reich“ ablegen oder sich gar vor Gericht verantworten zu müssen. Zahlreiche Professoren, die direkt am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt gewesen waren, setzten ihre Karriere in der Bundesrepublik nahtlos fort.

Selbst wenn man nur nach aktuellen Kriterien urteilen wollte, müsste man fragen: Werden angehende Mitarbeiter an der HU vor ihrer Einstellung etwa auch gefragt, ob sie jemals beim Verfassungsschutz gearbeitet und dort zum Beispiel den Aufbau der rechtsextremen Szene mitorganisiert haben?

In einem Artikel für die tageszeitung hat der Berliner Medienrechtler Johannes Eisenberg, dem zufolge Holm arbeitsrechtlich gute Chancen hat, seine Stelle zu behalten, die Absurdität der Vorwürfe an einem Beispiel erläutert. Er legt dar, dass Holm bei seiner Einstellung 2005 sogar dann hätte lügen dürfen, wenn er zur Zeit seiner MfS-Tätigkeit einen Mord begangen und nach Jugendstrafrecht verurteilt worden wäre. Bei guter Führung wäre er 1994 entlassen worden und die Strafe wäre zehn Jahre später aus dem Strafregister getilgt worden. Er wäre nicht verpflichtet gewesen, die HU bei seiner Einstellung darüber zu informieren.

Der Angriff gegen Holm ist besonders krass, wenn man sich die politische Entwicklung der Uni in den vergangenen Jahren ansieht. An der HU können rechte Professoren nach Belieben gegen Flüchtlinge hetzen, die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren (Jörg Baberowski) und Deutschland zum künftigen „Zuchtmeister“ Europas erklären (Herfried Münkler). Wenn Studenten gegen solche Standpunkte protestieren, werden die entsprechenden Professoren von der Uni-Leitung und ihren Instituten in Schutz genommen. Doch wenn ein Dozent, der bei Studenten wegen seinen kritischen Lehrveranstaltungen beliebt ist, vor mehr als einem Vierteljahrhundert wenige Monate für die Stasi gearbeitet hat und darüber unklare Angaben macht, wird er bei erster Gelegenheit entlassen.

Besonders frappierend ist die Entlassung Holms auch unter dem Gesichtspunkt der Umgestaltung der HU nach dem Ende der DDR 1990. Teils wurden hochrangige ehemalige Wehrmachtsoffiziere nach Berlin geholt, um den vorherigen Wissenschaftsbetrieb abzuwickeln. So leitete der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Krelle in den frühen 1990er Jahren als Gründungsdekan den Aufbau der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und sorgte für die Entlassung der allermeisten zuvor dort tätigen DDR-Wissenschaftler. „Kein Marxist wird seinen Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzen, solange ich hier das Sagen habe“, lautete sein berüchtigter Leitspruch.

Nachdem Krelle sogar die Ehrendoktorwürde der HU verliehen werden sollte, recherchierten Studenten seine Vergangenheit. Sie fanden heraus, dass er für die Wehrmacht bei den Feldzügen in Griechenland und Afrika aktiv gewesen war und ab August 1944 ein Kommando bei der Waffen-SS in Frankreich innehatte.

Ein von der HU eingesetzter Ausschuss ließ 1996 ein Gutachten anfertigen, das die Vorwürfe gegen Krelle im Wesentlichen bestätigte. Behalten durfte er seinen Ehrendoktortitel trotzdem. Der Ausschuss begründete seine Entscheidung damit, dass Krelle zwar bis in die letzten Kriegstage die 16.000 Mann starke SS-Panzergrenadierdivision „Götz von Berlichingen“ kommandiert hatte, aber selbst nie Mitglied der SS gewesen sei. Ein „fehlendes Bedauern“, wie jetzt Sabine Kunst gegenüber Andrej Holm moniert, war im Fall Krelle kein Grund für einen Entzug der Ehrendoktorwürde.

Widerstand unter Studierenden

Unter Studierenden an der HU regt sich gegen die geplante Entlassung Holms Widerstand. Schon kurz nach Bekanntgabe der Kündigung besetzten etwa 200 Studierende das Institut für Sozialwissenschaften, an dem Holm lehrt. Inzwischen ist das Institut seit mehr als einer Woche besetzt. Am Mittwochabend diskutierte das Studierendenparlament eine Resolution zur Verteidigung Holms.

Mehrere Vertreter der IYSSE sprachen in der Debatte zur Verteidigung Holms und stellten seine Entlassung in Zusammenhang mit der politischen Rechtswende an der HU. Mit Holm werde ein Dozent entlassen, der unter Studierenden als links gelte, während sich die Uni-Leitung hinter rechte Professoren wie Jörg Baberowski und Herfried Münkler stelle.

Was HU-Präsidentin Kunst zur Entlassung von Holm erklärt habe, seien „vorgeschobene Gründe, um hier in Wirklichkeit einen Rechtsruck zu ermöglichen“, sagte Katja, die als Abgeordnete die IYSSE im StuPa vertritt. Seit ihrem Amtsantritt habe Kunst deutlich gemacht, welche Politik sie vertrete: zunächst habe sie alle Fakultäten mit Sparvorgaben von acht Prozent bei den Personalkosten konfrontiert. Schon damit habe sie sich gegen die Interessen der Studierenden gestellt. Auf der vorletzten Sitzung des Akademischen Senats habe Kunst außerdem die Bundeswehr-Werbung an der HU verteidigt, obwohl das StuPa diese mit großer Mehrheit abgelehnt hatte. Jetzt wolle sie Holm entlassen, obwohl er unter Studierenden sehr beliebt und für seine Lehrveranstaltungen bekannt sei.

Das Studierendenparlament und die studentische Vollversammlung, die am vergangenen Donnerstag an der HU wegen der dortigen Kürzungspläne stattfand, haben Erklärungen gegen die geplante Entlassung von Holm verabschiedet.

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