EU-Gipfel verschärft Konflikt zwischen Europa und den USA

Der informelle EU-Gipfel in Malta am Freitag stand im Zeichen des wachsenden Konflikts zwischen Europa und den USA. Obwohl es offiziell um die brutale Abschottung der EU gegen Flüchtlinge, die Zukunft der EU nach dem Brexit und die Vorbereitung des 60. Jahrestags der Römischen Verträge im März ging, übten zahlreiche europäische Staatschefs scharfe Kritik an der Politik der neuen US-Regierung.

„Es ist nicht akzeptabel, dass über eine Reihe von Erklärungen des US-Präsidenten ein Druck dahingehend erzeugt wird, was Europa sein oder nicht sein soll“, erklärte Frankreichs Präsident François Hollande bei seiner Ankunft Maltas Hauptstadt Valletta.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte als Antwort auf Donald Trumps Politik eine Stärkung der internationalen Rolle Europas. Je klarer Europa dabei sei, seine Rolle in der Welt zu definieren, „umso besser können wir auch unsere transatlantischen Beziehungen pflegen“, erklärte Merkel mit Blick auf den neuen US-Präsidenten. Sie wiederholte ihre Aussage von Mitte Januar, dass Europa „sein Schicksal selbst in der Hand“ habe.

Dem designierten sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten und früheren Vorsitzenden des Europaparlaments Martin Schulz ging das nicht weit genug. In einem Interview mit dem Spiegel forderte er Merkel zu einem härteren Auftreten gegenüber Washington auf. Die Kanzlerin dürfe „nicht schweigen zu Handlungen, die wir nicht akzeptieren können. Wenn Trump mit der Abrissbirne durch unsere Werteordnung läuft, muss man klar sagen: Das ist nicht unsere Politik.“ Schulz bezeichnete den neuen US-Präsidenten als „hochgradig demokratiegefährdend“. Er spiele „mit der Sicherheit der westlichen Welt“ und beginne „einen Kulturkampf“.

Bereits vor dem Gipfel hatte der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk „die besorgniserregenden Aussagen der neuen amerikanischen Regierung“ gemeinsam mit der „aggressiven Politik Russlands“, dem „zunehmend selbstbewusst agierenden China“ und „Krieg, Terror und Anarchie im Nahen Osten und Afrika“ als „externe Bedrohung“ bezeichnet. Die EU bringe dabei „vor allem der Wandel in Washington … in eine schwierige Lage“, da die neue US-Regierung „die amerikanische Außenpolitik der letzten 70 Jahre infrage“ stelle, schrieb er in einem am Dienstag veröffentlichten Brief.

Als Reaktion schwor Tusk die nach dem Brexit verbliebenen 27 Staats- und Regierungschefs der EU auf eine gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik ein, um die eigenen globalen geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen notfalls auch gegen Washington durchzusetzen.

Um den „gefährlichsten Herausforderungen seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge“ Herr zu werden, sei es nötig, „entschiedene, spektakuläre Maßnahmen zu ergreifen“, forderte Tusk. Ziel müsse es sein, „die Veränderungen in der Handelsstrategie der USA zum Vorteil der EU zu nutzen, indem wir unsere Gespräche mit interessierten Partnern intensivieren“. Dies erfordere „eine endgültige Stärkung der Außengrenzen der EU; eine verbesserte Zusammenarbeit der Dienststellen, die für die Bekämpfung des Terrorismus und den Schutz von Ordnung und Frieden innerhalb des grenzfreien Raums zuständig sind; eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben; eine Stärkung der Außenpolitik der EU als Ganzes“.

Um Brüssels Politik zusammenzufassen: nach einem ersten Schock reagiert die EU auf die „neue geopolitische Lage“ (Tusk) und die nationalistische und militaristische Außenpolitik Trumps, die neben dem Iran, China, Mexiko und Russland auch Deutschland und die EU ins Fadenkreuz nimmt, mit aggressiven Gegenmaßnahmen.

Am Mittwoch jubelte das Handelsblatt in einem Artikel mit dem Titel „Die EU schlägt zurück“: „Nach anfänglicher Sprachlosigkeit reagiert die EU mittlerweile auf Trumps Angriffe und Entscheidungen – und zwar heftig.“ Neben dem Brief von Tusk feiert das Sprachrohr der deutschen Wirtschaft die Entscheidung der EU, „die USA auf die geplante schwarze Liste der Steueroasen zu setzen“. Es sei „richtig, dass die EU-Kommission das US-Steuersystem ins Visier nimmt“, bestätigte der Grünen-Europaparlamentarier und Mitbegründer von Attac-Deutschland Sven Giegold.

Andere führende EU-Parlamentarier haben am Donnerstag dazu aufgerufen, die erwartete Ernennung von Ted Malloch zum neuen amerikanischen EU-Botschafter zu verhindern. Malloch stellt die Existenz der EU offen in Frage und deutet an, dass sein Ziel deren Zerstörung sei. Im Januar antwortete er in einem Interview mit der BBC auf die Frage, warum er eigentlich US-Botschafter in Brüssel werden wolle. „Nun ja, früher hatte ich einen diplomatischen Posten, auf dem ich dazu beigetragen habe, die Sowjetunion zu zerstören. Vielleicht ist es jetzt eine andere Union, die jetzt ein bisschen gezähmt werden muss.“

In einem offenen Brief an Tusk und den Europäischen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker erklären die Fraktionschefs der Liberalen (ALDE) und der Konservativen (EVP) im Europäischen Parlement, Guy Verhofstadt und Manfred Weber: „Diese Äußerungen zeigen eine ungeheuerliche Böswilligkeit gegenüber den Werten, die die EU ausmachen. Wenn ein offizieller Vertreter der USA so etwas sagen würde, könnte das die transatlantischen Beziehungen ernsthaft beschädigen, die seit 70 Jahren einen essentiellen Beitrag für Frieden, Stabilität und Wohlstand auf unserem Kontinent geleistet haben.“

Die tiefere Ursache für die rapide Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen sowie auch der wachsenden Spannung innerhalb der EU selbst sind jedoch nicht die Äußerungen Mallochs – oder die Handlungen Trumps – sondern die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems: Der Widerspruch zwischen der globalen Integration und Verflechtung der Wirtschaft und ihrer Aufspaltung in Nationalstaaten mit gegensätzlichen Interessen und der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der globalen Produktion und ihrer Unterordnung unter das Privateigentum an den Produktionsmitteln und unter die Akkumulation privaten Profits durch die herrschende Kapitalistenklasse.

25 Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion brechen diese Widersprüche, die im vergangenen Jahrhundert zu zwei Weltkriegen aber auch zur Oktoberrevolution in Russland geführt haben, wieder auf und treiben die herrschende Klasse auf beiden Seiten des Atlantiks zu immer aggressiveren Maßnahmen. Während sich hinter Trumps „America First“-Politik der Versuch des US-Imperialismus verbirgt, seinen wirtschaftlichen Niedergang militärisch wettzumachen, reagiert die EU auf die tiefe politische, wirtschaftliche und soziale Spaltung in Europa mit der Militarisierung des Kontinents nach innen und nach außen.

Das Treffen in Malta trug dabei wie kaum ein EU-Gipfel zuvor dazu bei, die Phrasen von Demokratie und Menschenrechten zu entlarven, die nun bemüht werden, um das weitverbreitete Entsetzen über Trump für europäische Großmachtphantasien einzuspannen.

So beinhaltet die sogenannte „Erklärung von Malta“ die brutale Abschottung der zentralen Mittelmeerroute gegen Flüchtlinge aus Afrika. Im Mittelpunkt steht dabei die Aufrüstung und Ausbildung der für ihre Brutalität berüchtigten libyschen Küstenwache, die Flüchtlinge noch in libyschen Hoheitsgewässern aufgreifen und an die afrikanische Küste zurückbringen soll. Während ihres Besuchs in Ankara am Donnerstag hatte Merkel bereits den schmutzigen Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei bekräftigt, der die Abwehr von Flüchtlingen aus den Kriegsregionen des Nahen und Mittleren Ostens zum Ziel hat.

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