Merkels Abschiebekultur

Ende August hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der CDU-Bundestagsfraktion erklärt, in der Flüchtlingspolitik sei „das Wichtigste in den nächsten Monaten Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung“. Am vergangenen Donnerstag traf sich die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, um diese Parole in die Tat umzusetzen. An die Stelle der sogenannten „Willkommenskultur“ ist eine Abschiebekultur getreten, die sich durchaus mit der von US-Präsident Donald Trump messen kann.

Noch vor dem Gipfeltreffen im Bundeskanzleramt hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine „gemeinsame Kraftanstrengung“ angemahnt, um Flüchtlinge in großen Mengen abzuschieben. Die Ministerpräsidenten einigten sich dann auf einen 15-Punkte-Plan, der das Ausländerrecht drastisch verschärft, sowie auf zahlreichere und schnellere Abschiebungen.

Unterstützt werden die Maßnahmen von Ministerpräsidenten aller Parteien. Lediglich der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei blieb der Konferenz aus taktischen Erwägungen fern.

Der 15-Punkte-Plan beinhaltet unter anderem folgende Maßnahmen:

• Der Grund für Abschiebehaft wird verschärft. So sollen zukünftig abgelehnte Asylbewerber bereits dann eingesperrt werden, wenn ihnen lediglich unterstellt wird, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden. Eine solche Präventivhaft verstößt gegen geltendes Recht, und der strafrechtlich völlig unklare Begriff des „Gefährders“ öffnet polizeilicher Willkür Tür und Tor.

• Der Ausreisegewahrsam, ein verharmlosender Begriff für die Inhaftierung ganzer Familien, wird auf zehn Tage verlängert. Das steht im Widerspruch zum EU-Recht, das willkürliche Maßnahmen ohne rechtsstaatliche Prüfung verbietet.

• Die polizeiliche und geheimdienstliche Überwachung von ausreisepflichtigen Ausländern wird erheblich erleichtert. Die Smartphones und SIM-Karten von Flüchtlingen, die bei ihrer Identitätsfeststellung nicht kooperativ genug sind, können konfisziert und ausgelesen werden. Außerdem darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch sensible Daten von Flüchtlingen an die Polizeibehörden weitergeben.

• Abgelehnten Asylbewerbern können strikte räumliche Aufenthaltsbeschränkungen auferlegt werden, so dass sie den Landkreis oder die Stadt, in der sie untergebracht sind, nicht mehr verlassen dürfen. Zudem werden Flüchtlinge konsequenter mit Leistungskürzungen und Beschäftigungsverboten sanktioniert.

• Bisher hatten Flüchtlinge, die länger als ein Jahr zumindest mit einem Duldungsstatus in Deutschland lebten, das Recht, innerhalb eines Monats gegen eine Abschiebeanordnung Widerspruch einzulegen. Diese Möglichkeit soll einkassiert werden, so dass geduldete Flüchtlinge zukünftig jederzeit mit ihrer sofortigen Deportation rechnen müssen.

• Asylbewerber, denen bereits vor der ersten Anhörung unterstellt wird, keine „Bleibeperspektive“ zu haben, werden verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Sie „sollen nach Eintritt der Ausreisepflicht möglichst aus der Erstaufnahmeeinrichtung zurückgeführt werden“. Damit wird die dauerhafte Internierung von Flüchtlingen zum Regelfall. Die Flüchtlingslager werden so zu „Zentren der organisierten Hoffnungslosigkeit“, wie die Flüchtlingshilfsorganisation „ProAsyl“ erklärt.

Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben sich zudem darauf geeinigt, „eine ausreichende Zahl von Abschiebungshaftplätzen in räumlicher Nähe von zentralen Ausreiseeinrichtungen“ bereit zu stellen. Zusätzlich wird ein „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“ (ZUR) eingerichtet, das Abschiebemaßnahmen zwischen Bund und Ländern koordiniert und so Sammelabschiebungen, insbesondere nach Afghanistan, forciert.

Das Bundesinnenministerium will zudem die Zahl der sogenannten Dublin-Überstellungen drastisch ausweiten. Flüchtlinge werden in die Länder zurückgeschickt, in denen sie zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betreten haben. Nach dem Willen von Innenminister de Maizière soll es sehr bald wieder „Dublin-Überstellungen“ nach Griechenland, Ungarn und Bulgarien geben, obwohl Flüchtlinge dort misshandelt werden und es weder ein funktionierendes Asylsystem noch menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten gibt.

Und schließlich wird die sogenannte „freiwillige Rückkehr“ von Flüchtlingen verstärkt. Dafür sollen mehr als 90 Millionen Euro zusätzlich bereit gestellt werden. Bei diesem Verfahren werden Flüchtlinge bereits im Anhörungsverfahren massiv unter Druck gesetzt, gegen einen kleinen finanziellen Anreiz „freiwillig“ in ihr Ursprungsland zurückzukehren. Das Rückkehrprogramm „Starthilfe Plus“ listet explizit auch die Bürgerkriegsländer Syrien, Afghanistan und Eritrea als Zielländer für eine freiwillige Rückkehr auf.

Nimmt man den Flüchtlingsdeal mit der Türkei, die systematische Abriegelung der Balkanroute und des Mittelmeers sowie die Bemühungen der Europäischen Union, in Nordafrika Auffanglager für Flüchtlinge zu bauen, hinzu, dann unterscheiden sich die Maßnahmen Deutschlands und der EU kaum von jenen, mit denen die neue US-Regierung von Donald Trump Immigranten drangsaliert, einsperrt und abschiebt. Rechtsstaatliche Grundsätze werden über Bord geworfen und Menschenrechte mit Füßen getreten.

In Deutschland wurde das Asylrecht seit Herbst 2015 mehrmals verschlechtert, um Flüchtlinge abzuschrecken. Leistungen wurden zusammengestrichen, die Residenzpflicht wieder eingeführt und verschärft, der Familiennachzug erschwert und Abschiebungen forciert.

Nun werden auch die Kriterien zur Anerkennung von Asylberechtigten völlig willkürlich verschärft. Im Beschlusspapier der Regierungschefs heißt es gleich am Anfang: „In den nächsten Monaten wird das BAMF [Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen, die keines Schutzes in Deutschland bedürfen.“

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte dem Bayerischen Rundfunk: „Ich gehe davon aus, dass aus allen Bundesländern Abschiebungen künftig zahlreicher und schneller werden, auch nach Afghanistan.“ Dies solle auch dazu führen, dass sich weniger Menschen auf den Weg machten.

Es ist bezeichnend, dass die Bundesregierung die Beraterfirma McKinsey, die sonst für die Rationalisierung von Betriebsabläufen zuständig ist, damit beauftragt hat, eine Studie über die Abschiebung von Flüchtlingen zu erstellen. Flüchtlinge werden wie Vieh behandelt, deren Massendeportation allein eine Machbarkeits- und Kostenfrage ist.

Obwohl in Deutschland nur 150.000 geduldete Flüchtlinge leben, die als ausreisepflichtig gelten, geht die McKinsey-Studie davon aus, dass die Zahl im Jahr 2017 auf 485.000 steigen könnte, ohne dies zu untermauern.

Das verschärfte Vorgehen gegen Flüchtlinge wurde von einer Allparteienkoalition beschlossen. Für die Sozialdemokraten lobte Bundesjustizminister Heiko Maas das Maßnahmenpaket: „Nur wenn wir unsere Regeln durchsetzen, werden wir die Akzeptanz für Zuwanderung dauerhaft erhalten.“

Ein übles Spiel treibt dabei die Linkspartei. Deren innenpolitische Sprecherin im Bundestag bezeichnete die Beschlüsse öffentlichkeitswirksam als „Wettbewerb der Schäbigkeit in der Abschiebepolitik“ und kritisierte, dass durch die Ausweitung der Kompetenzen des Bundes bei Abschiebungen „humanitäre Erwägungen, wie sie in manchen Bundesländern zum Glück noch stattfinden“, getilgt würden.

Dabei hat die thüringische Landesregierung in einer dem 15-Punkte-Plan angehängten Protokollnotiz ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, die Rückkehrpflicht für abgelehnte Asylbewerber durchzusetzen. Sie will dabei lediglich stärker auf das Mittel der angeblich „freiwilligen“ Rückkehr setzen, „da die Unterstützung freiwilliger Rückkehr ein effizientes Instrument“ sei. Und auch Berlin und Brandenburg, wo die Linkspartei an den Landesregierungen beteiligt ist, haben keine prinzipiellen Einwände gegen die geplante Abschiebemaschinerie erhoben.

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