Diesel-Abgasbetrug: Razzia bei Audi

Audi, mit Porsche eine der beiden Premiumtöchter des Volkswagenkonzerns, ist ins Zentrum des Diesel-Abgasbetrugs gerückt. Rund 100 Staatsanwälte und Polizisten dursuchten am Mittwochmorgen die Audi-Zentrale in Ingolstadt, weitere Büros in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen sowie Privatwohnungen.

Die Staatsanwaltschaft München II teilte mit, dass die Durchsuchungen in Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts des „Betruges und der strafbaren Werbung“ stünden.

Es geht bei den Ermittlungen um die rund 80.000 in den USA verkauften Autos, die mit einem von Audi entwickelten Drei-Liter-Diesel-Motor ausgestattet sind, vor allem Audi-Modelle, aber auch solche der Marken VW und Porsche. „Es besteht der Verdacht, dass in diese Kraftfahrzeuge technische Vorrichtungen zur Manipulation von Abgaswerten eingebaut wurden, um die US-amerikanischen Abgasgrenzwerte einzuhalten, und die Käufer diesbezüglich nicht informiert wurden“, erklärte die Staatsanwaltschaft.

Das nun beschlagnahmte Material soll Hinweise darauf geben, „welche Personen an der Verwendung der maßgeblichen Technik und gegebenenfalls an unrichtigen Angaben gegenüber Dritten beteiligt waren“, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.

Es gehe bei ihrem Ermittlungsverfahren nicht um Autos, die in Europa verkauft wurden, stellte die Staatsanwaltschaft klar. Denn das dem Bundesverkehrsministerium unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt als Zulassungsbehörde habe bei Audi in Europa keine unzulässige (!) Manipulation festgestellt.

Der Audi-Konzern, bekannt für seinen Werbeslogan „Vorsprung durch Technik“, ist seit vielen Jahren die Technikschmiede des gesamten Volkswagenkonzerns, der zwölf Marken umfasst.

Bereits 1999 entwickelten die Audi-Ingenieure eine Software, die das typische „Nageln“ oder „Klopfen“ der Dieselmotoren unterdrückt. Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR berichteten gestützt auf den internen Bericht der Anwaltskanzlei Jones Day, dass sich mit dieser legalen Software auch Abgasmessungen manipulieren lassen. Sie wurde konzernintern beschönigend „Akustikfunktion“ genannt. Schon 2007 hatte ein Audi-Ingenieur seinen Kollegen erklärt, „ganz ohne Bescheißen“ könne man die strengen Grenzwerte in den USA nicht einhalten, schrieb die Süddeutsche Zeitung.

Als im September 2015 in den USA der Abgasbetrug von VW offen wurde, geriet auch Audi in den Fokus. Doch VW-Konzern und Audi-Chef Rupert Stadler wiesen lange jede Verwicklung Audis in den Betrug zurück. Das war gelogen, wie man heute weiß.

Audi musste zugeben, bei der Zulassung der Drei-Liter-Dieselautos bei den US-Behörden insgesamt drei Softwareprogramme verschwiegen zu haben, darunter auch die illegale Abgas-Abschalteinrichtung. Wie bei den Zwei-Liter-Motoren der Marke VW erkennt die Software, ob das Auto auf dem Prüfstand steht. In diesem Fall werden die Abgase mit Harnsäure („Ad Blue“) gereinigt, so dass der Stickoxid-Ausstoß gesetzeskonform ist. Im Straßenbetrieb wurde dieser Vorgang fast gänzlich ausgeschaltet.

Bereits Ende 2015 stellte Audi selbst Strafanzeige gegen unbekannt, wegen „sämtlicher nach deutschem Strafrecht in Betracht kommender Delikte“. Die Staatsanwaltschaft in Ingolstadt übergab nach kurzer Prüfung an die Kollegen in München. Diese prüften über ein Jahr lang. Angeblich fanden sie keinen Anfangsverdacht. Auch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte zwar bei VW eine Abgas-Abschalteinrichtung, nicht jedoch bei Audi.

Erst als im Januar dieses Jahres die US-Regierung sechs VW-Manager angeklagt hat und VW den Betrug zugab, eröffnete die Münchener Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren. Denn in der Klageschrift steht, dass Audi-Ingenieure ab 2006 für den amerikanischen Markt den Drei-Liter-Diesel-Motor mit der Abschalteinrichtung entwickelt haben.

Nun fanden die Durchsuchungen am Tag der jährlichen Pressekonferenz statt, auf der Audi-Chef Stadler Journalisten aus aller Welt die Zahlen des vergangenen Jahres präsentierte. Man werde jetzt beginnen, die Ergebnisse der Durchsuchungen auszuwerten, sagte ein Sprecher. Wann mit Ergebnissen zu rechnen ist, konnte er nicht sagen.

Audi-Chef Stadler sagte gestern: „Ich selbst habe größtes Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts.“ Das darf bezweifelt werden. Denn Stadler gehört seit vielen Jahren zur Managerclique, die den Volkswagenkonzern lenkt. Er fing 1990 bei Audi an und war ein enger Vertrauter von Ferdinand Piëch, dem langjährigen ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden. Unter Piëchs Ägide wurde Stadler 2007 Vorstandsvorsitzender von Audi. Er folgte dem damaligen Audi-Chef Martin Winterkorn, der zum Mutterkonzern wechselte und diesen leitete, bis er im September 2015 wegen des Abgas-Betrugs zurücktrat. Sein Nachfolger ist seitdem Matthias Müller, vormals Porsche-Chef.

Ihnen unterstanden die Entwickler. Stadler hat in den letzten zwei Jahren bereits mehrere von ihnen beurlaubt. Ulrich Hackenberg verließ Ende 2015 den Konzern. Ein Jahr später musste dann auch sein Nachfolger Stefan Knirsch gehen. Auch Wolfgang Hatz, Vertrauter von Winterkorn und Hackenberg, Entwickler bei VW, Audi und Porsche wurde beurlaubt.

Hackenberg wehrt sich momentan gegen seine Abservierung. Er sagt, er sei ein Bauernopfer. Seinen Angaben zufolge habe Stadler in einem Gespräch zugegeben, dass man ihn für Aufsichtsrat und Vorstand opfere. Audi bestreitet eine solche Aussage.

Dass die Staatsanwaltschaft München auch Räumlichkeiten der US-Kanzlei Jones Day durchsuchte, hat der VW-Konzern scharf kritisiert. Die Kanzlei war im Herbst 2015 vom VW-Konzern selbst beauftragt worden, intern den Abgasbetrug zu untersuchen. Der Abschlussbericht werde veröffentlicht, kündigte damals VW-Chef Matthias Müller an. Davon hat der Autokonzern inzwischen Abstand genommen. Die Erkenntnisse der Anwälte seien in das von den US-Behörden veröffentlichte „Statement of Facts“ eingeflossen, deshalb sei ein separater Bericht nicht mehr notwendig.

Das Material von Jones Day dürfte Aufschluss über die Verantwortlichen liefern. Über ein Jahr hatten die Anwälte riesige Datenmengen und zahlreiche Dokumente durchforstet und Manager befragt, darunter Stadler, genauso wie Mitarbeiter. Am Donnerstag protestierte VW gegen die Durchsuchungen in der von ihr beauftragten Kanzlei. „Wir halten das Vorgehen der Staatsanwaltschaft München in jeder Hinsicht für inakzeptabel. […] Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln hiergegen vorgehen.“

Die kriminelle Energie in den Vorstandsetagen, die hier zum Vorschein kommt, gefährdet Zigtausende Arbeitsplätze. VW musste bislang 20 Milliarden Euro für Anwaltskosten und Strafzahlungen im Zuge des Abgasbetrugs abschreiben. Audi berichtet von Kosten in Höhe von 1,6 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr. Der Gewinn fiel trotz Umsatzanstieg von 4,3 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf etwas über 2 Milliarden Euro im letzten Jahr.

Die erste Folge ist eine Senkung der in früheren Jahren immer recht üppigen Gewinnbeteiligung für Audi-Arbeiter an den Standorten Ingolstadt und Neckarsulm. Hatten sie für 2014 noch durchschnittlich 6540 Euro erhalten, waren es im letzten Jahr 5420 Euro und in diesem Jahr nur noch 3510 Euro.

Die Auswirkungen auf die 45.000 Arbeitsplätze bei Audi sind noch völlig unklar. Bei der Kernmarke VW ist im so genannten „Zukunftspakt“ zwischen Vorstand und IG-Metall-Betriebsrat der Abbau von 30.000 Stellen vereinbart worden. Bei Audi verhandeln Vorstand und Betriebsrat unter dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Peter Mosch noch über die Verlängerung einer bis zum Jahre 2018 gültigen Beschäftigungssicherung.

Stadler erklärte im Oktober vergangenen Jahres auf einer Betriebsversammlung, gemeinsam mit dem Betriebsrat ein Paket zu schnüren, das „zukunftssichernd“ für die Stammbelegschaft sei. In Ingolstadt ist die Auslastung nach dem Bau einer Fabrik in Mexiko fraglich, in Neckarsulm war das Werk im letzten Jahr häufiger nicht ausgelastet.

Dort hat man Ende 2016 eine Vereinbarung getroffen, die eine Flexibilisierung der Produktion ermöglicht. Dafür wurde die angedrohte Streichung einer Schicht nicht vollzogen. „Unser Verhandlungsziel war ein Ergebnis im Sinne der Belegschaft. Mit dem Erhalt des jeweiligen Schichtsystems und der zukünftigen Flexibilisierung der Linien haben wir das zusammen mit dem Unternehmen geschafft“, sagte Gesamtbetriebsrat Mosch.

Während sich die Konzern-Vorstände die Taschen vollstopfen – Stadler erhielt 2015 mehr als 4,1 Millionen Euro –, zahlen die Beschäftigten für deren kriminellen Machenschaften mit ihren Arbeitsplätzen.

Das ist nur möglich, weil sich die Manager nicht nur auf die Unterstützung in Politik und zumindest bislang auch in der Justiz verlassen können. Vielmehr sind im VW-Konzern IG Metall und ihre Betriebsräte Teil der Verschwörung gegen die Kunden und die Beschäftigten. Gewerkschaft, Betriebsräte und SPD (das SPD-regierte Land Niedersachsen hält 20 Prozent der VW-Anteile), hätten ihre Mehrheit im Aufsichtsrat ohne weiteres nutzen können, um alle Verantwortlichen des Abgas-Betrugs zur Rechenschaft zu ziehen. Doch sie taten das Gegenteil und sorgten dafür, dass alle Vorstände bis auf Winterkorn ihre Posten behielten. Winterkorn erhielt nicht nur ein Jahresgehalt, ohne für den Konzern tätig zu sein, sondern auch noch eine jährliche Pension von über 1,1 Millionen Euro oder 3100 Euro am Tag.

Der Aufsichtsrat des VW-Konzerns – inklusive der Vertreter der IG Metall und der Betriebsräte – haben sich erst im Februar hinter Stadler gestellt und ihm öffentlich das Vertrauen ausgesprochen. Auch der Audi-Aufsichtsrat, dem VW-Chef Müller und der ehemalige IGM-Chef Berthold Huber vorstehen, hat in den letzten beiden Jahren Stadler stets die Treue gehalten.

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