Kollaps der Sozialdemokratie in den Niederlanden

Geert Wilders’ rechtsextreme Partei für die Freiheit (PVV) erreichte bei der Wahl am Mittwoch in den Niederlanden nicht den Erdrutschsieg, der ihr lange vorausgesagt wurde. Mit 13,1 Prozent der Stimmen erreichte die PVV den zweiten Platz hinter den rechten Liberalen (VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte. Die VVD gewann die Wahl mit 21,3 Prozent der Stimmen.

Dass Wilders bei der Wahl schlechter abgeschnitten hat als angenommen, deutet jedoch keineswegs auf ein Ende des scharfen Rechtsrucks in der europäischen Politik hin. Ruttes VVD und die Christdemokraten (CDA), die mit 12,4 Prozent den dritten Platz erreichten, haben Wilders’ fremden- und islamfeindliche Hetze im Wesentlichen übernommen. Während des gesamten Wahlkampfs gab Wilders den Ton an. Der einzige Konflikt, der zwischen ihm und den anderen Parteien besteht, dreht sich um die Haltung zur Europäischen Union. Während Wilders zu einem Referendum über den Austritt aus der EU aufruft, wird sie von Ruttes VVD und den meisten anderen bürgerlichen Parteien vehement verteidigt.

Wilders wird auch weiterhin eine Hauptrolle in der Politik spielen. Obwohl er nicht die Erwartungen erfüllte, die frühere Umfragen geweckt hatten, konnte er sein Ergebnis im Vergleich zur Wahl 2012 um drei Prozentpunkte steigern. „PVV-Wähler, ich danke euch! Wir haben Sitze gewonnen! Der erste Erfolg ist da. Und Rutte ist mich noch lange nicht los“, lautete Wilders erste Twitter-Reaktion auf das Wahlergebnis.

Auch wenn Rutte die Wahl gewonnen hat, ist das Gesamtergebnis der regierenden Koalition eine krachende Niederlage. Mit 42 Parlamentssitzen hat sie fast die Hälfte ihrer 79 Mandate verloren. Das ist weit von den 76 Sitzen entfernt, die erforderlich sind, um im Parlament mit insgesamt 150 Abgeordneten eine Mehrheit zu bilden.

Ruttes rechte Liberale haben von ihren ehemals 41 Sitzen acht verloren. Der große Verlierer der Wahl ist jedoch ihr Koalitionspartner, die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA). Die Sozialdemokraten wurden für ihre Unterstützung der Sparpolitik und ihren Großangriff auf Sozialprogramme abgestraft. Ihr Wahlergebnis brach von 25 auf weniger als sechs Prozent ein. Mit nur noch neun verbliebenen Sitzen rangieren sie auf dem siebten Platz – noch hinter den Grünen und den Ex-Maoisten von der Sozialistischen Partei.

Das Ergebnis der Sozialistischen Partei, die sich voll hinter die einwandererfeindliche Politik der großen bürgerlichen Parteien stellte, verringerte sich leicht von 9,6 auf 9,1 Prozent. Im Gegensatz dazu konnten die Grün-Linken ihre Stimmen von 2,3 auf 9 Prozent vervierfachen. Bei Wählern unter 34 Jahren bekamen sie mehr als ein Drittel der Stimmen. In Amsterdam sind sie mit fast einem Fünftel der Stimmen die stärkste Partei.

Der gesamte Wahlkampf war enorm polarisiert, was zu einer hohen Wahlbeteiligung von 82 Prozent führte. Das ist der höchste Wert seit 31 Jahren und sechs Prozent mehr als bei der letzten Wahl.

Die Grün-Linken konnten wie andere Kleinparteien und die linken Liberalen (D66), die ihr Ergebnis von 8 auf 12,1 Prozent deutlich erhöhten, vor allem bei jungen Menschen von der verbreiteten Opposition gegen Wilders faschistische Kampagne klar profitieren. Doch sowohl die Grünen als auch D66 versuchen, die Opposition gegen Wilders vor den Karren der EU zu spannen, und sind bereit, eine rechte Regierung zu unterstützen, die von Rutte geführt wird. Sie stützen sich auf Teile der Mittelschichten und spielen eine ähnliche Rolle wie die entsprechenden Parteien in den USA. Dort versuchen sie, den Widerstand gegen Trump in die Sackgasse der Demokratischen Partei zu lenken, die für Krieg und die Interessen der Wall Street steht.

Regierungen in ganz Europa drückten ihre Erleichterung über das niederländische Wahlergebnis aus. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel nannte es einen „Erfolg für Europa“. Der anstehenden Wahl in Frankreich sehe er optimistisch entgegen. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) twitterte: „Niederlande, oh Niederlande, du bist ein Champion! … Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Ergebnis.“

Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni erklärte, die „Anti-EU-Rechte hat die Wahlen in den Niederlanden verloren“, und rief seine Unterstützer auf, die EU „wiederzubeleben“. Der französische Präsident François Hollande dozierte: „Die Werte der Offenheit, des Respekts gegenüber anderen und des Glaubens an Europa sind die einzige Antwort auf Nationalismus und Abschottung, die die Welt erschüttern.“

Wilders ist ein Symptom und nicht die Ursache des Rechtsrucks, mit dem die bürgerlichen Parteien auf die tiefe Krise der kapitalistischen Gesellschaft in den Niederlanden und auf dem ganzen Kontinent reagieren.

Weder die EU noch andere europäische Regierungen sind gegen Wilders’ Fremdenfeindlichkeit und Anti-Islamismus. In Wirklichkeit ist die Misshandlung und Abweisung von Flüchtlingen seit Langem die offizielle Politik der EU. Im Wahlkampf in den Niederlanden haben sowohl Ruttes VVD wie auch die Christdemokraten Wilders rechte Parolen schlicht übernommen.

Anfang des Monats veröffentlichte Rutte einen offenen Brief an Einwanderer, in dem er ihnen empfahl: „Wenn es euch hier nicht gefällt, könnt ihr ja abhauen.“ Vor drei Tagen organisierte er eine kalkulierte Provokation gegen die türkische Regierung. Er verweigerte ihren Ministern die Einreise in die Niederlande mit dem Ziel, nationalistische Hysterie zu schüren und Teile von Wilders potentieller Wählerschaft zurückzugewinnen.

Die einzige Sorge Merkels, Hollandes, Gentilonis etc. ist die der Erhalt der EU als Basis für wachsenden Militarismus, den Aufbau eines Polizeistaats und scharfer Angriffe auf die Arbeiterklasse.

Die Vorstellung, dass die Aussichten von Marine le Pen bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in Frankreich durch Wilders Schlappe unterhöhlt werden, nachdem sie durch den Brexit und die Wahl von Donald Trump Aufwind erfahren hatten, ist blauäugig.

Le Pens Partei hat viel stärkere organisatorische und historische Wurzeln als die PVV, die weitgehend eine Ein-Mann-Show ist. Der FN war besser in der Lage, vom Verrat der Sozialistischen Partei Frankreichs, der Krise François Fillons und dem neoliberalen Wirtschaftsprogramm des gegenwärtigen Wahlfavoriten Emmanuel Macron zu profitieren. Sie verbindet die Feindschaft gegen die EU mit der Behauptung, die Interessen der „arbeitenden Bevölkerung“ gegen das Establishment zu vertreten.

Für die Niederlande eröffnet die Wahl eine Periode politischer Instabilität und heftiger politischer und Klassenkämpfe. Das kleine Land von siebzehn Millionen Einwohnern ist von tiefen gesellschaftlichen und kulturellen Gegensätzen geprägt. Als ehemalige Kolonialmacht hat es einen großen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund, der stark von sozialer Ungleichheit betroffen ist. Liberale Städte wie Amsterdam stehen im Kontrast zu dem religiösen Bibelgürtel, eine der konservativsten Regionen Europas.

In der Nachkriegsperiode wurden diese Gegensätze von einem komplizierten politischen Konsens überbrückt. Das fand seinen höchsten Ausdruck in der Zusammenarbeit der neoliberalen Rechten mit der Arbeitspartei und den Gewerkschaften, die seit den 1980er Jahren gemeinsam daran arbeiten, die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse abzubauen. Das hat zu einer scharfen sozialen Polarisierung und praktisch zum Zusammenbruch der bürgerlichen „Linken“ geführt.

Die politische Situation in den Niederlanden erinnert an die Weimarer Verhältnisse der 1920er und 30er Jahre, als sich über einem gelähmten deutschen Parlament ein diktatorisches Regime erhob.

Rutte hat in dem tief gespaltenen Land kaum mehr als ein Fünftel der Sitze im Parlament, in dem 14 oder 15 Parteien sitzen. Er benötigt daher mindestens drei, wenn nicht vier Koalitionspartner, um eine arbeitsfähige Regierung zu bilden. Es wird damit gerechnet, dass es Wochen, wenn nicht Monate und jede Menge Kungeleien in Hinterzimmern brauchen wird, um eine neue Koalition zu bilden.

Alles hängt jetzt von einer unabhängigen Intervention der Arbeiterklasse ab. Das erfordert den Aufbau einer holländischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die sowohl gegen Nationalismus, wie auch gegen die Europäische Union kämpft und in der Lage ist, gemeinsam mit ihren Gesinnungsgenossen in ganz Europa für die Vereinigung der Arbeiter aller Länder auf der Grundlage eines sozialistischen Programms zum Sturz des Kapitalismus zu mobilisieren.

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