Hessen: Burka-Verbot im Verdi-Tarifvertrag

Fünf Gewerkschaften in Hessen haben im öffentlichen Dienst ein so genanntes Burka-Verbot im Tarifvertrag akzeptiert. Damit haben sie der hessischen Landesregierung von CDU und Grünen die Hintertür geöffnet, um die Vollverschleierung zu verbieten, obwohl ein entsprechendes Gesetz gar nicht existiert.

Am 4. April hat die Verdi-Tarifkommission dem neuen Abschluss für 45.000 Landesbeschäftigte zugestimmt. Darin ist ein Passus enthalten, der ihnen vorschreibt, dass sie „ihr Gesicht bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug grundsätzlich nicht verhüllen dürfen“. Zugestimmt haben neben Verdi auch die GEW und drei weitere Gewerkschaften.

Der Vertrag, der eine moderate Lohnerhöhung von 4,2 Prozent auf zwei Jahre und ein Jobticket für den Nahverkehr beinhaltet, wird auch auf 90.000 hessische Beamte übertragen. Das Land Hessen ist schon 2004 aus dem gemeinsamen Tarifvertrag der Länder (TV-L) ausgestiegen.

Innenminister Peter Beuth (CDU) soll die Zustimmung zum Vollverschleierungsparagraphen zur ultimativen Bedingung für den Vertragsabschluss gemacht haben. Beuth gehört wie sein Chef und Amtsvorgänger, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, zu den Hardlinern der CDU/CSU, denen die massive innerstaatliche Aufrüstung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière nicht weit genug geht.

Das Verbot der Vollverschleierung gilt als prominente Forderung, mit der die CDU Stimmen von der AfD zurückgewinnen will. Während sie nur eine verschwindend geringe Zahl von Frauen betrifft, wird sie benutzt, um anti-muslimische Stimmungen zu schüren. Sie ist Bestandteil der „Berliner Erklärung der Innenminister von CDU und CSU“ vom August 2016. Zu den Forderungen gehören: die Aufstockung der Polizei in Bund und Ländern, der Einsatz der Bundeswehr im Innern, eine Videoüberwachung öffentlicher Plätze, eine europaweite Vernetzung der Datenbanken und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

In Hessen sind Innenminister Beuth und Ministerpräsident Bouffier die Vorreiter dieser rechten Kampagne. So erklärte Bouffier im August 2016 zur Vollverschleierung: „Wer sich selbst per Kleidung von der Gesellschaft ausschließt, der kann hier nicht vernünftig integriert werden.“ Eine „Burka-tragende Frau“ sei für ihn im öffentlichen Dienst nicht vorstellbar.

Seither hat die bayerische CSU-Landesregierung bereits ein Burka-Verbot in Teilen der Öffentlichkeit gesetzlich beschlossen. So darf in Bayern im öffentlichen Dienst, in Kindergärten, Schulen und Universitäten, an Gerichten, beim Autofahren, in Wahllokalen und bei Personenkontrollen das Gesicht nicht mehr verhüllt werden.

Allerdings ist nicht sicher, ob das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht bestand hat. Immerhin ist das Recht auf Religionsfreiheit und „ungestörte Religionsausübung“ im Grundgesetz verankert. „Dem Staat ist es verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als richtig oder falsch zu bezeichnen“, urteilte das Bundesverfassungsgericht noch 2015 im sogenannten Kopftuch-Beschluss. Dies könnte der Grund sein, warum Innenminister Beuth das Thema lieber mithilfe der Gewerkschaften über einen Tarifvertrag regelt.

Die F.A.Z. äußerte eine weitere Vermutung: „Wahrscheinlich möchte er [Beuth] die Koalition mit den Grünen nicht durch ein Thema belasten, bei dem beide Parteien von der Opposition auseinandergetrieben werden könnten.“

Allerding muss Beuth von den Grünen wenig Widerstand befürchten. Mit dem Burka-Verbot im Tarifabschluss hat der Grünen-Landtagsabgeordnete Jürgen Frömmrich jedenfalls nicht das geringste Problem. Er lobte ihn überschwänglich: „Es ist ein guter Abschluss und ein guter Tag für Hessen.“

Der Tarifabschluss kommt einem Tabubruch gleich. Die hessenschau zitierte den Frankfurter Arbeitsrechtler Peter Wedde, der in dem Abschluss als „fatal“ bezeichnet und darin eine „Blaupause für Zusatzforderungen von Arbeitgebern“ erblickt. Wedde macht den zutiefst opportunistischen Charakter des Deals deutlich: Dieser funktioniere „nach dem Motto: Wir geben euch ein bisschen mehr Geld, dafür wollen wir etwas anderes haben, was wir aus eigener Kompetenz nicht regeln wollen, weil es uns zu heikel und zu riskant ist.“

Die Gewerkschaften – neben Verdi und der GEW auch die Polizeigewerkschaft GdP, der Beamtenbund dbb und die DStG (Deutsche Steuergewerkschaft) – haben dem CDU-Innenminister das Problem jedenfalls sehr erleichtert, indem sie seine Forderung nach einem Verbot der Vollverschleierung widerstandslos in den Tarifvertrag aufgenommen haben.

Noch am Vorabend der Tarifeinigung vom 3. März in Dietzenbach hatte Jochen Nagel, GEW-Vorsitzender und Mitglied der Linken, der hessenschau erklärt: „Dieses Thema ist in diesem Zusammenhang völliger Unsinn. Man kann ganz klar und ganz sicher sein: Gewerkschaften werden sich auf solch schmutzige Geschäfte nicht einlassen.“

Dennoch unterzeichnete Nagel im Namen der GEW den schändlichen Vertrag. Im GEW-Text zur Einigung heißt es dazu, es sei „völlig klar“, dass „der Vorschlag Bestandteil einer politischen Kampagne ist, die aus wahltaktischen Gründen Ressentiments gegen den Islam mobilisieren soll“. Damit habe „der Arbeitgeber die gewerkschaftlichen Tarifkommissionen in eine moralisch schwierige Situation gebracht“.

Warum haben sie aber zugestimmt, wenn es doch „völlig klar“ war, dass es sich um eine üble rechte Kampagne handelt? Die Antwort lautet: „Die Tarifkommission der GEW hat vor allem auf Basis des materiellen Angebots dem erzielten Verhandlungsstand zugestimmt.“ Also „auf Basis des materiellen Angebots“ – soll heißen: Ein paar Euro und ein Jobticket haben gereicht, um die Gewerkschaften vor den Karren der Hessen-CDU zu spannen.

Kurz vor Vertragsabschluss machte Verdi-Landbezirksleiter Jürgen Bothner den abgrundtiefen Opportunismus der Gewerkschaften deutlich: „Die Frage ist: das Land Hessen möchte das haben – was bekommen wir dafür? … gut, wenn sie es im Tarifvertrag haben wollen: Tarifverträge sind Kompromisse. Dann gibt es Preise dafür. Dann schaun wir mal.“

In Wirklichkeit geht das Verhalten der Gewerkschaften weit über reinen Opportunismus hinaus. Es ist Teil einer atemberaubenden Rechtsentwicklung der so genannten „Linken“, der Gewerkschaften und der Medien, die Sahra Wagenknecht (Die Linke) mit ihrem berüchtigten Ausspruch: „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“, wohl am klarsten auf den Punkt gebracht hat.

Für diese Rechtswende gibt es unzählige Beispiele. Sie hat in Frankreich mit einer aggressiven Anti-Kopftuch-Kampagne begonnen, die auch von „linken“ Parteien wie der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) und der Lutte Ouvrière (LO) unterstützt wird, und zeigte sich jüngst in der Spiegel-Kolumne des Freitag-Verlegers Jakob Augstein, der behauptet, die „Islamisierung“ bedrohe die „Identität“ der Deutschen.

Im Spiegel zeigen die Kommentare von Jan Fleischhauer, wie eng die islamfeindliche Kampagne mit übelster Kriegshetze in Verbindung steht. In einem Kommentar („Chantalle, zieh die Burka an“) hatte Fleischhauer schon vor über zwei Jahren behauptet: „Dass viele Bürger den Eindruck haben, dass muslimische Eltern weniger für die Bildung ihrer Kinder tun, ist kein böses Vorurteil, sondern entspricht den Tatsachen.“

Nicht zufällig schrieb der Spiegel-Kolumnist im selben Kommentar, der Islamische Staat (IS) sei nur mit massiver militärischer Gewalt zu bekämpfen: „Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, mit dem Spuk fertigzuwerden, sind Drohnen und ein paar amerikanische Eliteeinheiten, die dem Salafisten zeigen, wo der Eingang in den Märtyrerhimmel liegt.“

Das Verhüllungsverbot findet auch in der Zeitung Jungle World Unterstützung. Sie schreibt: „Es spricht vieles dafür, das Tragen der Burka, eines Symbols der islamistischen Ideologie und des religiös verbrämten Tugendterrors, ebenso wie andere Formen der Vollverschleierung in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes zu untersagen.“

In Wirklichkeit bedeutet die Aufnahme des Vollverschleierungsverbots im Tarifvertrag einen offenen Affront gegen tausende Arbeiter im öffentlichen Dienst. Das Verbot der Vollverschleierung, des Hidschab oder Niqab, stigmatisiert eine sehr kleine, religiöse Minderheit, schürt Ressentiments gegen muslimische Immigranten und vertieft damit die Spaltung der Arbeiterklasse.

Im Nahverkehr, in den Krankenhäusern, in der Müllabfuhr oder auf dem Rhein-Main-Flughafen arbeiten sehr viele Kollegen mit islamischem familiärem Hintergrund. Viele von ihnen sind übrigens aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes längst herausgefallen, weil die Gewerkschaft auch hier einer zunehmenden Zersplitterung Vorschub leistet.

Erst vor wenigen Wochen haben 2000 hessische Busfahrer einen prinzipiellen Kampf gegen Dumpinglöhne geführt, den Verdi bewusst vom übrigen öffentlichen Dienst isoliert hatte. Diese Busfahrer haben nicht einmal das Jobticket erhalten, das jetzt im aktuellen Abschluss als größte Errungenschaft herausgestellt wird, obwohl sie täglich für den Nahverkehr schuften.

Mit ihrer Zustimmung zum Burka-Verbot haben Verdi und die GEW den Beweis erbracht, dass es weder ein Zufall noch eine Ausnahme war, als die IG Metall vor kurzem in Görlitz die AfD mitmarschieren ließ, als die Arbeiter des Zugbauers Bombardier gegen Arbeitsplatzabbau demonstrierten.

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