Perspektive

Internationaler March for Science – die politischen Fragen

Wissenschaft und Sozialismus

Mehrere hunderttausend Wissenschaftler, Forscher und Akademiker sowie Studierende und Arbeiter beteiligen sich am heutigen Samstag am internationalen March for Science. Die Demonstrationen finden vor allem deshalb Unterstützung, weil sie als Protest gegen die Angriffe der Trump-Regierung auf wissenschaftliche Erkenntnis und Forschung verstanden werden.

Die Sozialistische Gleichheitspartei begrüßt diese Demonstrationen. Wir sind gegen die Zerstörung der Umwelt durch die großen Chemie- und Energiekonzerne, gegen die Angriffe auf die öffentliche Bildung, die einer ganzen Generation den Zugang zur Kultur verwehren, gegen die Unterordnung der Wissenschaft unter die Profitinteressen der herrschenden Klasse und die Bedürfnisse des Militärs, und gegen jede Art von Zensur und Beschränkung von Forschung und Lehre. Wir treten weltweit dafür ein, Arbeiter dagegen zu mobilisieren.

Der Aufruf zum March for Science erwähnt diese Fragen, er ist aber äußerst beschränkt. Das zeigt sich vor allem in der Formulierung: „Wir sind überparteilich.“ Man sollte das nicht falsch verstehen. Die Verteidigung der Wissenschaft ist nur in dem Sinne „überparteilich“, als alle etablierten Parteien für die Angriffe auf die öffentliche Bildung, für die Umweltbelastung, das Anwachsen des Militarismus und die Zensur und Einschränkung wissenschaftlicher Forschung verantwortlich sind.

Die Verteidigung der Wissenschaft selbst ist jedoch eine hochpolitische Aufgabe. Sie ist es, seit die katholische Inquisition Galileo Galilei den Prozess machte. Jede reaktionäre Regierung und Klasse verfolgt Wissenschaftler und bemüht sich, die Wissenschaft zu unterdrücken und für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Der Fortschritt von Wissenschaft und Vernunft war seit jeher vom Fortschritt der Gesellschaft und der sozialen Beziehungen abhängig – und das ist eine politische Aufgabe.

Man muss die Gründe für den Angriff auf die Wissenschaft verstehen. Er entspringt nicht dem beschränkten Gehirn Donald Trumps. Trump selbst ist nur ein besonders grober und rückständiger Vertreter eines Gesellschaftssystems, das jede menschliche Aktivität, einschließlich der Wissenschaft, dem privaten Profit unterordnet. Wissenschaft und Technologie haben das Produktivvermögen der Gesellschaft enorm gesteigert, doch diese bleibt in den zunehmend irrationalen Formen des kapitalistischen Privateigentums gefangen.

Die Verteidigung der Wissenschaft ist deshalb untrennbar mit dem revolutionären Kampf der Arbeiterklasse, der wichtigsten fortschrittlichen Kraft in der modernen Gesellschaft, gegen die herrschende Wirtschaftselite verbunden.

Wissenschaft und Technologie haben die Möglichkeit geschaffen, Hunger, Seuchen und Ignoranz zu beseitigen und jedem Bewohner des Planeten ein vernünftiges Leben zu ermöglichen. Aber unter dem Profitsystem monopolisiert eine kleine Handvoll Superreicher den enormen Reichtum. Acht Multimilliardäre besitzen mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Menschheit. Hunderte Millionen hungern, weitere Millionen sterben an vermeidbaren Krankheiten, und Schulen, Straßen, Wassersysteme und andere öffentliche Einrichtungen werden dem Zerfall preisgegeben.

Technologische Fortschritte, die von revolutionären Neuerungen im Transportwesen bis zur Entwicklung des Internets reichen, haben die Schranken überwunden, die einer engen internationalen Zusammenarbeit im Wege standen, und die Integration der gesamten Menschheit ermöglicht. Nichts ist so international wie die Wissenschaft, die sich in enger globaler Zusammenarbeit entwickelt.

Doch weil die Welt in rivalisierende Nationalstaaten aufgespalten ist, wird die Technologie als Werkzeug der Unterdrückung und Verfolgung missbraucht: um überall auf der Welt Flüchtlinge und Migranten zu jagen; um an der Außengrenze Europas und an der amerikanisch-mexikanischen Grenze Mauern gegen Einwanderer zu errichten; um eine Milliarde Menschen in China durch eine „great firewall“ vom Rest der Welt abzuschotten; und um den globalen Apparat zu entwickeln, mit dem BND und NSA die Bevölkerung der ganzen Welt abhören.

Noch bedrohlicher ist, dass die rivalisierenden Nationalstaaten Wissenschaft und Technologie in Mittel der Zerstörung und der Massenvernichtung verwandeln. Die Demonstrationen vom 22. April finden unter der wachsenden Gefahr eines Weltkriegs statt. Die Trump-Regierung hat Syrien mit Raketen angegriffen, die größte Bombe seit Hiroshima und Nagasaki auf Afghanistan abgeworfen und Nordkorea mit einem militärischen Präventivschlag gedroht.

Die Gefahr eines militärischen Konflikts zwischen Nuklearmächten ist sehr real. Wissenschaftler wissen besser als sonst jemand, dass dies die Vernichtung der Zivilisation, wenn nicht allen Lebens auf der Erde bedeuten würde.

Welchen Ausweg gibt es? Wer die Wissenschaft verteidigen und entwickeln will, muss sich mit einem Widerspruch im eigenen Denken konfrontieren. Wissenschaftler sind gewohnt, wissenschaftliche Methoden auf die Natur anzuwenden, nicht aber auf die Funktionsweise der Gesellschaft, geschweige denn der Politik.

Dies ist zum Teil auf die größere Komplexität des gesellschaftlichen Lebens zurückzuführen, wo die Vielzahl von Variablen – einschließlich handelnder Menschen – die wissenschaftliche Analyse relativ schwierig macht. Wichtiger ist aber der ideologische Einfluss der herrschenden Wirtschaftselite, die sich allen Versuchen widersetzt, die Wirkungsweise eines Gesellschaftssystems, das ihr beispiellosen Reichtum und Privilegien beschert, nach rationalen Maßstäben zu beurteilen. Im akademischen Bereich bestreiten die Postmoderne und andere Formen des Irrationalismus die objektive Wahrheit. Ihr Angriff zielt auf jede Form der wissenschaftlichen Erkenntnis, insbesondere im Bereich der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften.

Wissenschaftler sollten sich ein Vorbild an einem der größten Physiker nehmen. Albert Einstein und viele seiner Kollegen neigten dem Sozialismus zu, weil sie ihn als Anwendung der Vernunft auf die Entwicklung der modernen Gesellschaft – und als einziges Mittel gegen Krieg und Diktatur – verstanden. Es ist an der Zeit, den Marxismus zu studieren, der seine revolutionäre Politik auf eine Analyse der objektiven Realität und von Klasseninteressen stützt.

Die Arbeiterklasse ist eine revolutionäre Kraft. Sie ist fähig, den Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, die auf Gleichheit, Demokratie und der Vergesellschaftung des durch kollektive Arbeit geschaffenen Reichtums beruht. Dies wurde vor hundert Jahren durch die Russische Revolution praktisch bestätigt: Unter Führung einer marxistischen Partei übernahm die Arbeiterklasse die Macht. Die spätere stalinistische Degeneration der Sowjetunion, eine Folge ihrer Isolation, tut der Bedeutung der Oktoberrevolution keinen Abbruch.

Ohne Unterstützung der Wissenschaft kann die Arbeiterklasse keinen Fortschritt machen. Aber die Wissenschaft selbst erfordert einen Fortschritt der Arbeiterklasse, denn sie verschafft der Wissenschaft eine Massenbasis in der Gesellschaft. Der Fortschritt der Wissenschaft – und damit der Menschheit überhaupt – hängt letzten Endes von der Renaissance einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse ab. Die sozialistische Bewegung vereint unter ihrem Banner das Streben nach wissenschaftlicher Wahrheit in all seinen Formen mit dem Kampf für soziale Gleichheit.

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