Stichwahl in Frankreich: Mélenchon verzichtet auf Stellungnahme

Am 28. April stellte Jean-Luc Mélenchon ein halbstündiges Video in seinen Blog. Darin erklärte er, er werde zur Stichwahl vom 7. Mai zwischen der Neofaschistin Marine Le Pen und dem Ex-Banker Emmanuel Macron nicht öffentlich Stellung beziehen.

Mit dieser Haltung weicht er auf feige Weise seiner politischen Verantwortung aus. Mélenchon hat fast zwanzig Prozent der Stimmen erhalten und wurde u.a. in Marseille, Toulouse, Lille und den Arbeitervororten im Norden von Paris stärkste Kraft.

Während Mélenchon seine jüngsten Äußerungen ins Netz stellte, gingen in ganz Frankreich tausende Jugendliche auf die Straße. Sie protestierten gegen die Sackgasse einer Wahl zwischen einer Neofaschistin und dem ehemaligen Wirtschaftsminister der Sozialistischen Partei (PS), die den Ausnahmezustand verhängt hat, die Sparpolitik durchsetzt und die Wehrpflicht wiedereinführen will.

In dieser Situation hat die Parti de l’égalité socialiste (PES) zu einem aktiven Boykott der Wahl aufgerufen. Damit will sie dem Widerstand und der sozialen Wut der Arbeiterklasse eine Richtung geben, unabhängig davon, ob der Wahlsieger Le Pen oder Macron heißen wird.

Mélenchon wird im Gegensatz dazu erklärtermaßen an der Stichwahl teilnehmen. Allerdings betonte er, dass er nicht verraten werde, für wen er stimmt, um die Mitglieder seiner Bewegung nicht vor den Kopf zu stoßen. In jedem Fall werde er nicht für Le Pen stimmen.

Er erklärte: „Ich werde wählen gehen … Aber wen ich wählen werde, das werde ich nicht sagen. Man muss jedoch kein Experte sein, um zu erraten, was ich tun werde. Aber warum sage ich es nicht? Damit ihr zusammenbleiben könnt … Damit jeder von euch, egal wie er sich entscheidet, weiterhin zufrieden ist, dass er für mich in der Präsidentschaftswahl gestimmt hat. Er soll weiter stolz auf seine Stimme sein und sich nicht von seinem Kandidaten verleugnet fühlen.“

Mélenchon ist, genau wie Macron, ein ehemaliger PS-Minister. Über seine Gruppierung Unbeugsames Frankreich (La France insoumise, früher: Linksfront) sagte er, wenn sie aus langjährigen politischen Verbündeten bestehen würde, dann könnte er seinen Anhängern sagen, was er tun werde. Seine Wählerbasis sei jedoch gespalten: Die einen würden Macron im zweiten Wahlgang unterstützen, die andern lehnten sowohl Macron als auch Le Pen ab. Daher könne er keine Stellung beziehen, ohne seine Bewegung zu spalten.

Er erklärte: „Hätten wir zehn Jahre zusammen in der Bewegung verbracht, oder hätten wir fünfzehn Jahre gemeinsam Politik gemacht, dann könnte ich vielleicht sagen: ‚Also gut, liebe Freunde, das ist es, was ich tue‘. Wir würden einander in gewisser Weise nahe genug stehen, dass ich mich euch anvertrauen könnte. Aber so kann ich es nicht. Wenn ich es täte, würde ich euch spalten.“

Aus Mélenchons Äußerungen geht unmissverständlich hervor, dass er keine unabhängige politische Linie hat.

Sein Schweigen kommt einem Bankrott gleich, ob er nun in der Wahlkabine für Macron stimmen oder einen leeren Stimmzettel einwerfen wird. Würde er, wie seine früheren Parteigenossen von der PS, Macron unterstützen, dann wäre sein Wahlversprechen, gegen Kapitalismus und Militarismus zu kämpfen, als politische Lüge entlarvt. Würde er als Gegner von Le Pen und Macron tatsächlich einen leeren Stimmzettel einwerfen, dann wäre sein Verhalten das Eingeständnis von politischer Ohnmacht.

Der Aufruf der PES zum aktiven Boykott dieser Wahl und zum Widerstand gegen beide Kandidaten entspricht der Verpflichtung, eine politische Massenbewegung in der Arbeiterklasse gegen den Wahlsieger – wer es auch sei – aufzubauen. Der Boykott stützt sich auf den erbitterten sozialen Widerstand in der Arbeiterklasse und wendet sich an die siebzig Prozent der Bevölkerung, die schon das Arbeitsgesetz der PS abgelehnt hatten, und die jetzt die Scheinwahl zwischen Le Pen und Macron zurückweisen. Wir distanzieren uns von den unendlichen Lügen und politischen Erpressungsversuchen der Medien, die behaupten, wer Macron ablehne, befinde sich im Bunde mit den Neofaschisten.

Die PES kämpft unter Arbeitern und Jugendlichen für diese Haltung. Sie erklärt ihnen, was jetzt notwendig ist: eine revolutionäre, sozialistische und internationalistische Perspektive für den Kampf gegen die herrschende Klasse, die sich in Frankreich und weltweit auf die Unterdrückung einer solchen Offensive vorbereitet.

Mélenchon Haltung ist dagegen von einem fatalen Widerspruch geprägt. Er gibt faktisch zu, dass seine Bewegung zu tief gespalten ist, um eine klare Haltung zu Macrons Wahlkampf einzunehmen. Dann behauptet er wieder genau das Gegenteil: Sie sei eine „stabile und vereinte Kraft“, die in der Parlamentswahl im Juni gut abschneiden und Frankreich als Wegweiser dienen könne.

Er erklärte: „Wir befinden uns in einer äußerst angespannten Lage. Den meisten von uns wird Gewalt angetan. Und aus dieser Gewalt kann keine stabile Situation entstehen, weil bereits das Wesen der Protagonisten im zweiten Wahlgang eine solche Stabilität ausschließt: Der eine ist ein extremer Vertreter der Finanzwelt, die andere ist rechtsextrem.“

Er erklärte, seine Gruppe Unbeugsames Frankreich sei daher „für unser Land wertvoll. Denn egal wer die Stichwahl gewinnt, es wird jemand sein, dessen Programm alle spalten und ein unglaubliches Chaos in diesem Land anrichten wird.“

Der ehemalige PS-Minister Mélenchon hat seit seiner Zeit als führender Berater von Präsident François Mitterand in den 1980ern gute Kontakte zu Geheimdienst- und Sicherheitskreisen. Er ist sich der brisanten sozialen Lage in Frankreich und ganz Europa durchaus bewusst. Er schlägt keine linke Politik vor, um die Arbeiterklasse für den Kampf zu mobilisieren. Stattdessen verbreitet er vage, verzweifelte Hoffnungen, dass eine Beteiligung seiner Gruppe am Parlament dazu dienen könnte, mit dem Reaktionär, der schließlich zum französischen Präsidenten gewählt wird, besser fertig zu werden.

Sein Vorschlag läuft auf folgendes hinaus: Wer eine linke Opposition zu Macron und Le Pen aufbauen will, der soll in einer Organisation verbleiben, die so gespalten und abhängig von der öffentlichen Meinung ist, dass sie nicht einmal eine Haltung zu Macrons Präsidentschaftskandidatur einnehmen kann. Von dieser Zurschaustellung der Ohnmacht wird aber nur eine profitieren: Marine Le Pen. Sie hat am Freitag in einer eigenen Videobotschaft die Anhänger Mélenchons dazu aufgerufen, in der Stichwahl für sie zu stimmen.

Zum Schluss behauptete Mélenchon, seine bewusst doppeldeutige Strategie sei die gemeinsame Position seiner Organisation und großer Teile der Gewerkschaftsbürokratie. Er wies darauf hin, dass die Gewerkschaftsverbände CGT, Force ouvrière (FO) und Solidaire die gleiche Herangehensweise hätten wie er. Er erwähnte eine bevorstehende konsultative Mitgliederbefragung darüber, welche Position in der Stichwahl einzunehmen sei. Dabei machte er jedoch klar, dass dieser Abstimmung gar keine Bedeutung beikommt.

Er erklärte: „Die konsultative Abstimmung wird nicht als Entscheidung gelten. Sie wird uns ein Bild darüber geben, was die Unbeugsamen denken. Ich hoffe, dass viele von euch daran teilnehmen. Wir werden sagen: So denken die Unbeugsamen. Wir werden aber die Mehrheit und die Minderheit nicht klar benennen und nicht sagen, welche Seite überwiegt, denn wir sind keine Partei.“

Konkret übersetzt heißt das, die Mitglieder können sagen was sie wollen, aber Mélenchon und die Führung werden keinerlei politischen Kampf aufnehmen.

Solche Äußerungen machen die reaktionären Implikationen von Mélenchons postmodernistischen Positionen klar, wie er sie in seinen Büchern vertritt, zum Beispiel in „L‘Ère du peuple“ (Die Ära des Volkes). Er behauptet dort, die Ära des Sozialismus sei vorbei, die Arbeiterklasse könne keine unabhängige Rolle spielen, die Zeit der Linken und überhaupt der Parteien sei vorbei, etc. Genau wie die PES gewarnt hat, zeigen diese Behauptungen, dass Mélenchon vollkommen gegen den Aufbau einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse ist.

Geht es nach ihm, dann sollen sich linksstehende Arbeiter und Schüler in eine lose, halb-anarchistische und wirkungslose Bewegung einfügen, die von erfahrenen bürgerlichen Politikern geführt werden – nicht jedoch eine disziplinierte Avantgardepartei aufbauen. Mélenchons Äußerungen vom Freitag verdeutlichen, dass seine Perspektive den künftigen sozialen Kämpfen nicht den Weg bereitet, sondern sie im Gegenteil erdrosselt.

Für die Masse der Menschen, die nach einem Weg suchen, wie sie gegen Macron und Le Pen kämpfen können, ist die Alternative nicht Mélenchons Bewegung, sondern der Aufbau der PES als französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) und der trotzkistischen Avantgarde der Arbeiterklasse in Frankreich.

Loading