Québec: Premierminister droht, Streik von 175.000 Bauarbeitern für illegal zu erklären

Am zweiten Tag des Streiks von 175.000 Bauarbeitern in der nach Einwohnerzahl zweitgrößten kanadischen Provinz Québec gingen Tausende Arbeiter auf die Straße, um ihre Opposition gegen die Forderungen der Bauunternehmer nach umfassenden Zugeständnissen zu unterstreichen. Durch den Streik kam die Arbeit auf Hunderten von Baustellen in der ganzen Provinz zum Erliegen.

Während die Arbeiter am Donnerstagmorgen demonstrierten, verkündete der Premierminister von Québec, Philippe Couillard von der Liberal Party, seine Regierung werde den Streik für illegal erklären, wenn die Streikenden nicht bis Montagmorgen an die Arbeit zurückkehren.

Couillard, der sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Handelsmission in Israel befindet und dort Werbung für Bombardier und andere Unternehmen aus Québec macht, erklärte: „Wir können nicht zulassen, dass die Wirtschaft täglich 45 Millionen [kanadische] Dollar verliert. Ich habe die Regierung gebeten, bis Montag bereit zu sein, zu handeln.“

Couillard hatte bereits letzte Woche signalisiert, er werde schnell handeln, um einen Streik in der Baubranche zu verbieten. Seine Regierung werde nicht „mit verschränkten Armen dabei stehen“, während ein „wichtiger Teil“ der Wirtschaft von Québec lahmgelegt wird.

Der Streik in der Bauindustrie von Québec ist einer der größten Arbeitskämpfe der letzten Jahre in Nordamerika. Die herrschende Elite Kanadas reagiert darauf mit Wut und Nervosität.

Der größte Arbeitgeberverband von Québec, der Conseil du Patronat (CPQ), wirft den Arbeitern vor, sie würden die Provinz „in Geiselhaft“ nehmen. Er drängt Couillard, die Arbeiter nicht nur durch die Verabschiedung eines „Notstands“-Gesetzes zurück an die Arbeit zu zwingen, sondern auch zu erwägen, das Streikrecht für Bauarbeiter dauerhaft abzuschaffen.

Die Wut des Großkapitals und seiner politischen Handlanger wird vor allem dadurch angeheizt, weil der Streik die enorme soziale Stärke der Arbeiterklasse deutlich macht. Wenn Couillard und die CPQ darüber wüten, dass der Streik die Provinz täglich 45 Millionen Dollar „kostet“, geben sie, wenn auch ungewollt, zu, dass die Arbeiter ein immenses Vermögen erschaffen. Dieses Vermögen eignen sich die Bauunternehmer, Banken und andere Teile des Großkapitals in der Form von Profiten an.

Doch sie wollen noch mehr. Die Unternehmer fordern deutliche Senkungen der Überstundenzuschläge. Sie wollen Arbeiter u.a. dazu zwingen, am Samstag zum Basislohn zu arbeiten, wenn sie aufgrund von schlechtem Wetter während der regulären Fünf-Tage-Woche keine 40 Stunden gearbeitet haben.

Im Namen der „Flexibilität“ fordern sie außerdem, das Zeitfenster für den Beginn der Arbeitszeit von drei auf sechs Stunden zu vergrößern. Das würde bedeuten, dass an einem Tag die Arbeit um elf Uhr morgens beginnen kann, am nächsten Tag schon um fünf Uhr morgens.

Die Bauunternehmer wollen außerdem eine deutliche Senkung der Reallöhne durchsetzen. Sie schlagen einen Tarifvertrag mit fünfjähriger Laufzeit und einer jährlichen Lohnerhöhung von nur 0,7 Prozent vor. Das ist weniger als die Hälfte der derzeitigen Inflationsrate und fast zwei Drittel weniger als das Inflationsziel der kanadischen Zentralbank von zwei Prozent.

Auf dem Transparent steht: „Schluss mit der Diktatur, freie Verhandlungen, unterzeichnete Tarifverträge“

Bei der Demonstration von Zehntausenden von Bauarbeitern im Osten von Montreal am Donnerstag verliehen Arbeiter aller Altersgruppen, unabhängig von Herkunft und Geschlecht, ihrer Entschlossenheit Ausdruck, die Forderungen der Arbeitgeber nach Zugeständnissen zurückzuschlagen.

Der Rohrleger Robert erklärte gegenüber der World Socialist Web Site: „Vor vier Jahren haben wir tarifvertragliche Zugeständnisse gemacht. Jetzt wollen sie mehr. Sie wollen immer mehr – flexible Arbeitszeiten, Abschaffung des doppelten Lohns, niedrige Löhne.“

Der Leitungsmonteur Vincent Lecompte wies auf den Zusammenhang zwischen den Forderungen der Arbeitgeber nach Zugeständnissen und dem Austeritätsprogramm von Couillards liberaler Regierung hin. Couillard, ein enger Verbündeter von Justin Trudeaus liberaler Bundesregierung, hat brutale Sozialkürzungen durchgesetzt, die Renten im öffentlichen Dienst drastisch gesenkt und die Rentenbeiträge für städtische Angestellte erhöht. Vincent erklärte: „Von den Politikern und den Arbeitgebern hört man nichts anderes als ,Austerität‘ und immer noch mehr ,Austerität’.“

Vincent hatte 2012 am sechsmonatigen Bildungsstreik in Québec teilgenommen. Angesichts der brutalen Unterdrückung durch den Staat wurde dieser von den Gewerkschaften, allen voran der Quebec Federation of Labour, isoliert. Die durch ihn angefachte breite Widerstandsbewegung gegen den Austeritätskurs spannten die Gewerkschaften vor den Karren der Parti Québécois, eine Partei des Großkapitals und der Austeritätspolitik. Vincent erklärte: „Die Regierung konnte den Bildungsstreik ignorieren, weil wir keine Macht hatten. Diesmal ist es anders. Wir bauen Québec.“

Die Militanz der Arbeiter steht in deutlichem Gegensatz zum Vorgehen der rechten pro-kapitalistischen Gewerkschaften, die in der Alliance Syndicale de la Construction (Gewerkschaftsbund des Baugewerbes) zusammengeschlossen sind.

Am Mittwoch gab der Sprecher der Alliance, Michel Trépanier, zu, dass die Gewerkschaften wiederholt Zugeständnisse gemacht haben, um ein Abkommen auszuhandeln und so einen Streik abzuwenden.

Die Gewerkschaften lassen die Arbeiter bewusst im Unklaren über den Stand der Verhandlungen, um einen möglichst großen Spielraum für Manöver zu haben. Wenn sie eine Einigung erzielt haben, wollen sie die Streikenden sofort wieder an die Arbeit schicken, ohne sie über die Details zu informieren oder ihnen zu erlauben, darüber abzustimmen.

Die Demonstration in Montreal am Donnerstag sollte die streikenden Bauarbeiter so isoliert und so fern wie möglich von der arbeitenden Bevölkerung der Stadt halten. Die Arbeiter wurden angewiesen, in einem Vorort von Montreal über eine leere Straße nahe einer Autobahn zu demonstrieren. Die Begründung lautete, dass sich dort die Zentralen mehrerer Verbände der Bauindustrie befinden.

Besonders bezeichnend ist, dass die Gewerkschaften sich über die Drohung der Regierung ausschweigen, die Arbeiter per Gesetz wieder an die Arbeit zu zwingen. Seit Beginn der Verhandlungen war jedoch offensichtlich, dass die Bauunternehmer mit der Unterstützung der Regierung rechnen, um ihre Forderungen nach Zugeständnissen durchzusetzen. Im Jahr 2013 hatte die amtierende Parti Québécois, die von den Gewerkschaften unterstützt wurde, einen Streik von 75.000 Beschäftigten in der Baubranche für illegal erklärt. Im Jahr 2014 zwangen die Gewerkschaften die Arbeiter, einen Tarifvertrag mit zahlreichen Zugeständnissen zu akzeptieren, nachdem die liberale Couillard-Regierung angedroht hatte, jeden Streik zu verhindern, indem er schon im Voraus für illegal erklärt wurde.

Die Gewerkschaften verschweigen absichtlich, dass sich die liberale Regierung den Arbeitern im Kampf gegen Zugeständnisse in den Weg stellt. Sie tun dies nicht nur, weil sie nicht die Absicht haben, die Arbeiter zum Widerstand gegen ein gesetzliches Verbot des Streiks zu mobilisieren. Genau wie die Regierung erfüllt der Kampf der Arbeiter sie mit Angst. Sie wollen die Androhung eines Notstandsgesetzes benutzen, um die Arbeiter einzuschüchtern und entweder einen Ausverkauf in letzter Minute zu rechtfertigen oder zu erklären, dass die Arbeiter machtlos sind, wenn ein solches Gesetz verabschiedet wird.

Zum Verhalten der Baugewerkschaften passt das Schweigen des Canadian Labour Congress.

Viele der streikenden Arbeiter in Québec sind Mitglieder von Gewerkschaften, die mit dem Building and Trades Department der amerikanischen AFL-CIO verbunden sind. Die Führer der amerikanischen Baugewerkschaften gehörten zu den ersten, die Trump und seine reaktionäre America First- und Buy American-Politik unterstützten. Sie tun nichts, um ihre Mitglieder auch nur über den Kampf in Québec zu informieren.

Wie auf der ganzen Welt haben auch die Gewerkschaften in Kanada den Klassenkampf systematisch unterdrückt und die Arbeiter politisch an Parteien wie die Demokraten in den USA, die britische Labour Party oder die Parti Socialiste in Frankreich gekettet, die den Austeritäts- und Kriegskurs sowie die umfassenden Angriffe der herrschenden Elite auf demokratische Rechte unterstützen.

Aufgrund ihres nationalistischen und pro-kapitalistischen Programms haben sich die Gewerkschaften in den letzten drei Jahrzehnten in Anhängsel des Großkapitals verwandelt. Sie machen bei Lohnsenkungen und Arbeitsplatzabbau gemeinsame Sache mit den Unternehmen, und ihre Funktionäre werden durch diverse korporatistische Verbindungen fürstlich entlohnt.

Der größte der fünf Baugewerkschaftsverbände in Québec, die Quebec Federation of Labour, verwaltet den Solidarity Fund, mit Wertpapieren im Wert von mehr als zehn Milliarden Dollar der größte Risikokapitalfonds der Provinz.

Couillards Drohung, den Streik der Bauarbeiter zu kriminalisieren, verdeutlicht, dass die Arbeiter vor einem politischen Kampf stehen. Bei der Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und ihrer Lebensgrundlagen müssen sie nicht nur gegen einzelne Arbeitgeber kämpfen, sondern gegen das gesamte Großkapital, seine Parteien und seinen Staatsapparat.

Die Bauarbeiter von Québec stehen mächtigen Kräften gegenüber, die sich gegen sie zusammengeschlossen haben. Aber sie haben auch mächtige Verbündete.

Ein entschlossener Kampf gegen die Forderung der Arbeitgeber nach Zugeständnissen und gegen die Drohungen der liberalen Regierung würde ihnen große Unterstützung von Arbeitern in ganz Kanada, den USA und der ganzen Welt einbringen.

Die Forderungen der Bauunternehmer ähneln denen der Arbeitgeber in allen Bereichen der Wirtschaft nach Abschaffung bestehender Rechte, niedrigeren Löhnen und „Flexibilität.“ Letzteres bedeutet, das Leben der Arbeiter noch radikaler einzuschränken, damit sie noch größere Gewinne erwirtschaften.

Der Streik der Bauarbeiter von Québec muss der Ausgangspunkt einer Gegenoffensive der gesamten Arbeiterklasse gegen den kapitalistischen Austeritätskurs und zur Verteidigung angemessen bezahlter Arbeitsplätze, Sozialleistungen und Arbeiterrechten werden.

Dazu müssen die Arbeiter jedoch den Gewerkschaftsapparaten die Kontrolle über den Streik entreißen. Der organisatorische Bruch mit den Gewerkschaften erfordert eine neue politische Perspektive. Sie muss die Unterordnung der Arbeiter unter das kapitalistische Profitstreben ablehnen und für die politische Macht der Arbeiter und die Umgestaltung des sozioökonomischen Lebens kämpfen, damit die menschlichen Bedürfnisse das oberste Prinzip werden.

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