Afghanistan

Schwerer Bombenanschlag in Kabul: Washington erwägt Truppenaufstockung

Am Mittwochmorgen wurden bei einem Autobombenanschlag im Zentrum der afghanischen Hauptstadt Kabul mindestens 90 Menschen getötet und 400 verwundet. Vermutlich wird die Zahl der Todesopfer noch weiter ansteigen.

Der Selbstmordanschlag durch eine massive Sprengladung in einem Abwassertanklaster ereignete sich nahe dem Sanbak-Platz, einer angeblichen Hochsicherheitszone, in der sich mehrere ausländische Botschaften und Ministerien der afghanischen Regierung befinden. Auch der Präsidentenpalast ist nicht weit von dem Platz entfernt.

Der Anschlag ereignete sich mitten im Gedränge der morgendlichen Hauptverkehrszeit, viele der Toten und Verwundeten waren deshalb Zivilisten auf dem Weg zur Arbeit. Nach der Explosion stieg eine dunkle Rauchwolke über der Stadt auf, die Straßen waren übersät mit zerstörten Fahrzeugen, Trümmern von beschädigten Gebäuden und zahlreichen verstümmelten und verbrannten Leichen. Die Druckwelle der Explosion ließ noch in mehreren Kilometern Umkreis Fensterscheiben bersten.

Spekulationen zufolge war das eigentliche Ziel des Anschlags das Hauptquartier der Nato-Besatzungstruppen in Kabul, allerdings soll der Laster an einem Kontrollpunkt abgewiesen worden sein. Außerdem ist unklar, wie der Attentäter die anderen Kontrollpunkte passieren und das Botschaftsviertel von Kabul erreichen konnte. Es wird vermutet, dass er Unterstützer innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte hatte.

Durch die Explosion wurden die Botschaftsgebäude von Deutschland, dem Iran, Indien, Bulgarien, Frankreich, Japan, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten beschädigt.

Vor den Krankenhäusern in Kabul versammelten sich aufgebrachte Menschenmengen, die nach vermissten Angehörigen suchten. Viele von ihnen warfen der korrupten und gespaltenen US-Marionettenregierung von Präsident Ashraf Ghani vor, er könne nicht einmal für die geringste Sicherheit garantieren.

Nach dem Anschlag wiesen die Taliban, die größte der aufständischen Gruppen, die gegen die Sicherheitskräfte des Marionettenregimes kämpfen, jede Verantwortung von sich und verurteilten den Anschlag. Der selbst ernannte afghanische Ableger des IS gab anfangs keinen Kommentar dazu ab. Der IS hat in der Vergangenheit die Verantwortung für Anschläge in der afghanischen Hauptstadt übernommen, u.a. für einen Selbstmordanschlag auf einen bewaffneten Konvoi der Nato, bei dem mindestens acht Menschen getötet und 28 weitere verwundet wurden, und für einen Anschlag auf ein Militärkrankenhaus mit mehr als 50 Todesopfern im März.

Afghanischen Medien zufolge macht die Nationale Sicherheitsdirektion, der wichtigste Geheimdienst Afghanistans, das Hakkani-Netzwerk für den Anschlag verantwortlich, das angeblich mit Unterstützung des pakistanischen Geheimdiensts ISI gehandelt habe.

Das Hakkani-Netzwerk wurde Ende der 1970er Jahre mit Unterstützung durch die CIA und den ISI während des von der CIA orchestrierten Kriegs gegen die afghanische Regierung gegründet, die damals von der Sowjetunion unterstützt wurde. Nach dem Einmarsch der USA in Afghanistan 2001 floh es in die pakistanischen Stammesgebiete im Grenzgebiet und verübte von dort aus Anschläge auf das amerikanische Besatzungsregime.

Die anonymen Quellen, auf die sich die afghanischen Medien bezogen, lieferten keine Beweise für die Behauptung, Pakistan sei an dem Anschlag beteiligt. Ein Grund für den Vorwurf könnte die deutliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern sein, die sich u.a. in bewaffneten Zusammenstößen Anfang Mai geäußert hatten. Afghanistan ist zu einem Schauplatz des zunehmend angespannten regionalen Ringens zwischen Indien und Pakistan geworden. Beide Seiten intervenieren heimlich in dem Land, um ein Ende des langwierigen Krieges zu verhindern, das den jeweiligen Rivalen stärken könnte.

Im Vorfeld des Anschlags debattierte die Trump-Regierung offenbar noch immer über einen Vorschlag des Pentagon, die Zahl der US-Truppen in Afghanistan zu erhöhen, angesichts der zunehmenden Gebietsgewinne der Taliban und der offensichtlichen Unfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, den Aufstand niederzuschlagen.

Der amerikanische Oberbefehlshaber in Afghanistan, General John Nicholson, erklärte Anfang des Jahres vor einem Ausschuss des Kongresses, in Afghanistan herrsche ein militärisches Patt. Er forderte mehrere tausend zusätzliche US-Bodentruppen, um den Knoten zu lösen.

Das afghanische Regime und seine Sicherheitskräfte verlieren immer mehr Gebiete und erleiden immer größere Opfer. Laut einer konservativen Schätzung kontrollieren die Taliban mittlerweile mit etwa 40 Prozent so große Teile des Landes wie vor dem Zusammenbruch ihrer Regierung durch den Einmarsch der USA im Jahr 2001.

Die afghanischen Sicherheitskräfte erleiden untragbare Verluste. Der amerikanische Sonder-Generalinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans bezeichnete die Zahl der Todesopfer vor kurzem in einem Bericht als „erschütternd hoch.“ Allein zwischen dem 1. Januar und dem 24. Februar sollen 807 Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte getötet worden sein.

Letzte Woche wurde erwartet, dass US-Präsident Donald Trump vor dem Nato-Gipfel in Brüssel den Plan für eine Eskalation in Afghanistan vorlegt, um die Regierungen der anderen Nato-Mitglieder dazu zu bringen, ihre eigenen Truppenkontingente entsprechend zu erhöhen.

Es deutet einiges darauf hin, dass es in den USA scharfe Streitigkeiten über die Afghanistanstrategie gibt. Trump hatte vor seinem Wahlsieg mehrfach angedeutet, dass die USA im Rahmen seines „America First“-Kurses alle Truppen aus dem Land abziehen und dem afghanischen Regime alle Unterstützung verweigern sollten.

Darauf folgten Berichte, laut denen General Nicholson die Entsendung weiterer 5.000 US-Soldaten vorschlägt – zusätzlich zu den fast 9.000, die noch dort stationiert sind. Angesichts der Geschichte des Konflikts ist diese Zahl relativ gering. Von 2010 bis 2011 hatten die USA unter Obama etwa 100.000 Soldaten im Land stationiert, die Nato-Verbündeten weitere 30.000. Dennoch konnten sie den Aufstand nicht unterdrücken.

Anfang des Monats zitierte die amerikanische Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg aus einer vertraulichen Einschätzung der US-Geheimdienste, Washington brauche „mindestens 50.000 Soldaten, um den Vormarsch der Taliban aufzuhalten und die Regierung in Kabul zu retten.“

Angesichts der immer schärferen sozialen und politischen Spannungen in den USA könnte eine so deutliche Eskalation des mit sechzehn Jahren längsten Kriegs in der Geschichte Amerikas zu Unruhen in der Bevölkerung führen.

Seit Beginn des Krieges im Jahr 2001 haben die jeweiligen US-Regierungen die Intervention in Afghanistan als Teil des „Kriegs gegen den Terror“ gerechtfertigt, der angeblich für die Sicherheit der amerikanischen Bevölkerung geführt wird. In Wirklichkeit ist der US-Imperialismus entschlossen, eine ständige Militärpräsenz in Afghanistan zu unterhalten. Dort befinden sich die Truppen praktisch in Schussweite zu den ölreichen früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien sowie zu China, Russland und dem Iran, die Washington als Hindernisse und Rivalen bei seinem Streben nach globaler Vorherrschaft betrachtet.

Eine von Washingtons größten Sorgen ist, dass Russland zusammen mit Pakistan, China und dem Iran versuchen könnte, ein Friedensabkommen zwischen dem afghanischen Regime und den Taliban auszuhandeln. Letzten Monat fand in Moskau eine Konferenz zwischen allen großen Regionalmächten statt, die jedoch von Washington boykottiert wurde. Unmittelbar davor warf das US-Militär die größte nicht-nukleare Bombe in seinem Arsenal über dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet ab.

Der russische Außenminister Sergei Lawrow wies am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Moskau auf Berichte aus Afghanistan hin, laut denen Hubschrauber ohne Markierungen Waffen und Ausrüstung an IS-Kämpfer geliefert haben sollen, vor allem in der Provinz Dschuzdschan.

Er erklärte: „Es gibt Hinweise darauf, dass diese Hubschrauber etwas in diesem Gebiet abgeworfen haben. Einige Hubschrauber ohne Erkennungszeichen sind in diesen Gebieten gelandet und dann wieder weggeflogen [...] Zeugen bestätigen, dass sie auf Stützpunkte zurückgekehrt sind, auf denen sich u.a. US-Truppen befinden. Das alles wirft sicherlich Fragen auf.“

Seit dem Auftauchen des IS in Afghanistan ist es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen dieser Miliz und den Taliban gekommen.

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