Neues Betriebsrentengesetz: Ein Geschenk an Unternehmer und Gewerkschaftsfunktionäre

Das neue Betriebsrenten-Gesetz, das am 1. Juni vom Bundestag verabschiedet wurde, schwächt die gesetzliche Rente und stärkt vor allem Versicherungen und börsennotierte Pensionfonds. Das Gesetz nützt vielen Unternehmern, aber nur wenigen Geringverdienern. Es ist weit davon entfernt, Schutz vor Altersarmut zu bieten.

Der Entwurf von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) mit dem sperrigen Namen Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) wurde mit den Stimmen von CDU und SPD im Bundestag verabschiedet, während die Grünen und Die Linke dagegen stimmten. Nun muss am 7. Juli noch der Bundesrat zustimmen.

Die Nachricht ließ vor allem bei Fondsmanagern und Unternehmern und in einigen Gewerkschaftszentralen die Sektkorken knallen. Das Gesetz sei „revolutionär“ und „ein Meilenstein“, schwärmte Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI: „Der Entwurf ist das seit langem Beste, was die Politik zum Thema Rente vorgelegt hat.“ Auch der Arbeitgeberverband BDA begrüßte das neue Gesetz. Entstanden sei „eine innovative Lösung, die neue Renditechancen bietet“.

Seit über zwanzig Jahren sinkt das Niveau der gesetzlichen Rente, und die Altersarmut steigt. Die Rentner kommen heute mit 47,3 Prozent nicht einmal mehr auf die Hälfte ihres durchschnittlichen Arbeitslohnes. Fast jeder zweite Rentner oder Rentnerin erhält 750 Euro oder weniger – eine Armutsrente, mit der man in keiner deutschen Stadt vernünftig überleben kann.

Was die Betriebsrenten angeht, so wurden sie in der Nachkriegszeit vor allem im öffentlichen Dienst, in großen Chemie- und Metallbetrieben, in Stahlwerken und im Bergbau eingeführt. Sie wurden vom Arbeitgeber finanziert und stellten einen zusätzlichen Anreiz dar, um Arbeiter fest an einen Betrieb zu binden.

Das hat sich grundlegend geändert. Schritt für Schritt haben Kapital und Kabinett neue Gesetze geschaffen, mit denen sich die Unternehmer aus der Verantwortung für die Betriebsrenten zurückziehen konnten. Seit 2004 müssen zum Beispiel Betriebsrenten bei der Auszahlung vom Rentner oder der Rentnerin voll versteuert werden.

Schon mit der Riester-Rente wurde der Einstieg in die privaten Kapitalmärkte geöffnet und die staatliche, Umlagen-finanzierte Rente aufgeweicht. Seither gibt es drei Säulen: die gesetzliche Rente, die Betriebsrente und die Riester-Rente. In den letzten Jahren wurde die gesetzliche Rente immer unbedeutender, und einen immer größeren Teil der Rente mussten die Arbeitnehmer durch Zusatzmodelle selbst vorfinanzieren.

Eine WDR-Expertise kam zum Schluss, dass im Jahr 2030 jeder zweite Neurentner nur noch eine Rente auf Hartz-IV-Niveau erhalten werde. Weniger als 60 Prozent der Betriebe mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen bieten heute überhaupt noch eine Betriebsrente an, und in neun von zehn Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten gibt es keine Betriebsrente für die Mitarbeiter. Viele Millionen Geringverdiener schuften in Betrieben, die keine Betriebsrenten kennen. Ihre Rente ist ihr privates Sparschwein, und die Altersarmut ist vorprogrammiert.

Diesem Zustand soll das neue Gesetz angeblich entgegenwirken. Dazu hat es vor allem den Anreiz zur Einrichtung von Betriebsrenten in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erhöht und ihnen weitgehende Zugeständnisse gemacht. So erklärte Sozialministerin Nahles, ihr Modell mache „insbesondere für Niedrigverdiener und für kleine und mittlere Betriebe die Betriebsrenten wieder attraktiv“.

Demnach soll die künftige Betriebsrente vor allem durch „Entgeltumwandlung“ finanziert werden, d.h. durch Beiträge, die von der Lohnsumme des Arbeitnehmers abgezogen werden. Der Unternehmer muss nicht unbedingt etwas dazu geben. Falls er aber doch einen Beitrag dazu beisteuert, erhält er dreißig Prozent davon vom Staat zurück. Diese Zuschüsse werden indirekt vom Steuerzahler mitfinanziert und am Kapitalmarkt angelegt.

Dazu sagte Gerd Bosbach, Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung der Uni Koblenz: „Nach 15 Jahren Riester-Rente hat es sich herumgesprochen, dass sie sich für die Versicherten nicht lohnt. Nun sorgt die Bundesregierung durch das Gesetz zur Betriebsrente dafür, dass den privaten Versicherungen wieder neue Kunden und damit frisches Geld zugetrieben wird.“ Aus volkswirtschaftlichen Gründen schaffe das Gesetz jedoch „ein Riesenproblem“, denn: „Damit sind weitere Unsummen von Geld in Umlauf, die für spekulative Geschäfte verwendet werden können.“

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Unternehmer und Gewerkschaften die „Zielhöhe“ der Betriebsrente gemeinsam festlegen. Deshalb nennt Sozialministerin Andrea Nahles das Gesetz auch „Sozialpartnermodell“. Und das ist auch der Grund, warum das Gesetz die Unterstützung der Gewerkschaften genießt: Die Beitragssummen der abhängig Beschäftigten sollen in Fonds angelegt werden, die von Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam verwaltet werden.

Die Gewerkschaften können also nicht nur auf mehr Einfluss in den kleinen und mittleren Betrieben, sondern auch auf ertragreiche Posten und Pöstchen in der Verwaltung der neuen Rentenfonds hoffen. Die IG Metall schreibt dazu: „[Die Sozialpartner] sollen Pensionskassen, Pensionsfonds oder Direktversicherungen gründen (bzw. vorhandene Einrichtungen nutzen) und sich an der Steuerung dieser Einrichtungen beteiligen … Grundlage ist immer ein Tarifvertrag.“

Für die Unternehmer kann die neue Betriebsrente ein gutes Geschäft sein. Da der Beitrag dafür direkt vom Bruttolohn abgeht, kann der Unternehmer sich die Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge sparen. Für den Arbeitnehmer wird dann der ganze Beitrag (einschließlich des Arbeitgeberbeitrags) fällig, wenn er die Betriebsrente im Alter nutzen möchte – also wenn er finanziell am wenigsten darauf vorbereitet ist.

Der Bruttolohn verringert sich natürlich um die Betriebsrentenbeiträge, die direkt von ihm abgezogen werden. Vom Bruttolohn gehen aber die gesetzlichen Steuer- und Sozialbeiträge ab, die sich damit ebenfalls verringern, und dies bewirkt letztendlich, dass auch die gesetzliche Rente weiter sinkt. Eine Berechnung des Bundestags ergab vor kurzem, dass die Nettorente in wenigen Jahren auf die Höhe von 43 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes absinken werde.

Eine Journalistin kommentierte im Bayrischen Rundfunk: „Das geplante Gesetz zur Stärkung der Betriebsrenten ist ein Geschenk der Bundesregierung an die Arbeitgeber.“ Besonders positiv sei für Unternehmer, dass in Zukunft keine feste Rentenhöhe mehr garantiert werden müsse. „Das Gesetz funktioniert nach dem Prinzip Hoffnung“, so der Kommentar.

In der Tat muss nach dem neuen Gesetz der Unternehmer seinen ehemaligen Arbeitern und Angestellten im Alter keine feste Betriebsrente mehr garantieren. Künftig soll es so laufen, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in den Tarifverträgen nur über die (unverbindliche) „Zielhöhe“ einigen, d.h. welche Rentenhöhe angestrebt wird. Je nachdem, wie die Börse sich entwickelt, wird sie erreicht oder auch nicht.

Seit dem Börsencrash von 2008 ist das Risiko künftige Turbulenzen an den Finanzmärkten aber sehr real. In den USA, wo die private Altersvorsorge traditionell viel weiter verbreitet ist, hat die damalige Finanzkrise hunderttausende Rentner in Armut gestürzt, weil ihre Rentenfonds massive Verluste erlitten. Dennoch bürdet das neue Gesetz jetzt das ganze Risiko den Arbeitnehmern auf.

Diesen Trend unterstützen auch die deutschen Gewerkschaften. Schon seit einigen Jahren akzeptiert Verdi bei Lufthansa Tarifabschlüsse, die das System garantierter Betriebsrenten und Übergangsgelder durchbrechen und das Risiko am Finanzmarkt allein auf den Arbeitnehmer übertragen.

In der Satiresendung „Die Anstalt“ nahmen Claus von Wagner und Max Uthoff am 4. April 2017 die Aushöhlung des deutschen Rentensystems und das Unwesen mit den Betriebsrenten aufs Korn. „Sehen Sie es doch positiv“, lautete darin der Ratschlag, den ein gebeutelter Arbeitnehmer erhielt, als man ihm von allen Seiten die Beiträge für gesetzliche Rente, Riesterrente und Betriebsrente aus der Tasche zog: „Sie haben jetzt nicht nur eine Zusatzrente, sondern auch ein zusätzliches – Risiko!“

Seit Jahrzehnten wird das Rentenwesen systematisch ausgehöhlt, sowohl durch die CDU als auch durch die rot-grüne Bundesregierung (1998–2005) unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Diese hatte schon mit den Hartz-Gesetzen einen riesigen Niedriglohn-Bereich geschaffen und die Anhebung der Renten immer wieder gebremst. Auch in der Großen Koalition unter Angela Merkel waren überwiegend sozialdemokratische Arbeits- und Sozialminister für die sozialen Angriffe zuständig.

So haben Franz Müntefering (SPD), Ursula von der Leyen (CDU) und Andrea Nahles (SPD) nacheinander als Sozialminister für die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre gesorgt – eine weitere versteckte Rentenkürzung. Denn immer mehr Arbeitnehmer erreichen heute das gesetzliche Rentenalter überhaupt nicht mehr und gehen vorzeitig – und mit erheblichen Rentenkürzungen – in den Ruhestand.

Immer weniger Menschen sind in der Lage, ohne Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit und zeitlich befristete Jobs bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter durchzuarbeiten, oder sie werden derart niedrig bezahlt, dass ihr Rentenanspruch trotz 45-jähriger Tätigkeit das Armutsniveau nicht übersteigt.

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