Perspektive

Die US-Eskalation in Syrien und die Gefahr eines Weltkriegs

Am 18. Juni schossen die USA einen syrischen Kampfjet ab. Im Gegenzug kündigte die russische Regierung an, alle US-Flugzeuge westlich des Euphrats als feindliche Ziele zu betrachten. Damit ist die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation zwischen den zwei größten Nuklearmächten der Welt so bedrohlich nahe gerückt wie seit der Kubakrise vor 55 Jahren nicht mehr.

Diese Gefahr für die gesamte Menschheit ist das Ergebnis einer bewussten Eskalation vonseiten des US-Imperialismus.

Mit dem syrischen Kampfjet hat die US-Luftwaffe erstmals in diesem Jahrhundert ein Flugzeug eines anderen Landes abgeschossen. Den letzten solchen Vorfall gab es 1999, als amerikanische Kampfflugzeuge im Krieg der Nato auf dem Balkan eine serbische MiG abschossen.

Australien kündigte am Dienstag (20.6.) an, dass es alle Einsätze seiner Luftwaffe in Syrien bis auf Weiteres aussetzt. Das Land war bislang einer der wenigen Staaten, die im Rahmen der US-geführten „Anti-IS-Koalition“ einen nennenswerten Beitrag zu den eskalierenden US-Luftschlägen leisteten. Während General Joseph Dunford, Chef des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, prahlte, die US-Piloten könnten angesichts der russischen Bedrohung „schon auf sich aufpassen“, geht das australische Militär davon aus, dass seine Flugzeuge tatsächlich abgeschossen werden könnten.

Der Konflikt eskalierte weiter, als ebenfalls am Dienstag ein amerikanisches Kampfflugzeug im syrischen Südosten eine iranische Drohne abschoss.

Was hätte es für Folgen, wenn Russland ein US-Flugzeug als unmittelbare Gefahr für seine Bodentruppen in Syrien betrachten und mit Boden-Luft-Abwehrraketen beschießen würde? Oder wenn ein US-Kampfjet, der vom Radar eines russischen Flugabwehrstützpunkts erfasst wurde, „präventive“ Maßnahmen ergreifen würde?

Niemand weiß es. Selbstgefällig behaupten amerikanische „Experten“, ein nuklearer Flächenbrand sei das letzte, was Washington und Moskau wollten, und deshalb werde es nicht dazu kommen. Dieses trügerische Argument dient den USA zur Rechtfertigung zügelloser Aggression.

Die angebliche Vernunft der kapitalistischen herrschenden Klassen hat durchgängig versagt, wenn es darum ging, den Ausbruch katastrophaler Kriege zu verhindern. Im Dokumentarfilm „The Fog of War“ (Kriegsnebel) erinnert sich der frühere Verteidigungsminister Robert McNamara: „Vernunftbegabte Individuen“ (Kennedy, Chruschtschow und Castro) „kamen der totalen Zerstörung ihrer Gesellschaften ausgesprochen nahe“.

In mehrfacher Hinsicht ist die Situation heute explosiver als 1962. Damals verweigerte Präsident Kennedy dem faschistischen Luftwaffenchef General Curtis LeMay die Genehmigung zur Bombardierung der russischen Raketenstützpunkte auf Kuba. Heute jedoch überträgt Donald Trump die Verantwortung für die amerikanische Kriegspolitik in Syrien – und auch im Irak, Afghanistan und auf der ganzen Welt –einer Bande aktiver und pensionierter Generäle, die von Verteidigungsminister James „Mad Dog“ Mattis und den Oberbefehlshabern der Regionalstreitkräfte angeführt werden. Ihr Weltbild dürfte sich kaum von dem LeMays unterscheiden.

Einen Einblick in die Haltung dieser Herren gegenüber Syrien bot vor kurzem Kimberly Kagan auf einem Forum des außenpolitischen Thinktanks „Council on Foreign Relations“. Kagan ist eine langjährige Beraterin des Pentagon in Fragen des Afghanistan- und Irakkriegs und Gründerin des „Institute for the Study of War“.

Zu Beginn ihrer Rede wiederholte Kagan die Leier vom „Krieg gegen Terror“ als Rechtfertigung für die US-Intervention. Sie bezeichnete Syrien als „vitale Bedrohung der nationalen Sicherheit“, denn es exportiere „Terror und Terrorgruppen über seine Grenzen hinaus“. Sie räumte ein, dass die Gefahr vom IS ausgehe, behauptete dann aber, al-Qaida stelle eine noch viel größere Gefahr dar, denn man habe zugelassen, dass sie sich „in der Provinz Idlib einen sicheren Rückzugsraum“ geschaffen habe.

Eine atemberaubende Heuchelei. Syrien ist kein Terror-„Exporteur“, sondern Opfer der mit al-Qaida verbündeten Milizen. Die CIA und die Washingtoner Regierung haben diese Milizen auf Syrien angesetzt, um durch Krieg einen Regimewechsel zu erzwingen. Und was al-Qaidas „sicheren Rückzugsraum“ anbelangt, so sind die USA diejenigen, die ihn verteidigen. Sie haben die syrische Regierung und Russland wiederholt beschuldigt, Luftschläge gegen diese so genannten „Rebellen“ zu führen, und darauf bestanden, nur der IS dürfe angegriffen werden.

Schließlich ließ Kagan von ihren Verdrehungen über den Terrorismus ab und widmete sich den eigentlichen Sorgen, die das US-Militär und den Geheimdienstapparat umtreiben. Der Iran und Russland, argumentierte sie, stellten für die USA eine „langfristige strategische Bedrohung“ dar, weil sie mit ihrer militärischen Präsenz in Syrien Amerikas Vorherrschaft im Nahen Osten und im Mittelmeerraum herausfordern würden.

Dieser Herausforderung solle das US-Militär begegnen, indem es sich „eine Operationsbasis in Ostsyrien entlang dem Euphrat“ sichere, von Rakka im Norden bis zur irakischen und jordanischen Grenze im Süden. Eine solche Intervention, erklärte sie, diene auch „der Stärkung der sunnitischen Bevölkerung in der Euphrat-Region, die heute eine Hochburg des IS ist, zuvor jedoch hinter al-Qaida stand“. Mit anderen Worten, Washington soll den Bruderkrieg mithilfe sunnitisch-islamistischer Milizen im Interesse eines Regimewechsel erneut anheizen, aber diesmal mit eigenen Bodentruppen vor Ort.

Wie viele US-Soldaten werden für eine solche Operation benötigt? „Ich weiß es nicht“, sagte Kagan. „Keine 150.000 Mann. Aber es müssen genug sein, um Präsenz zu zeigen und sie auszudehnen.“ Voraussetzung für dieses militärische Abenteuer, ergänzte sie, sei „die Vorbereitung auf die Reaktionsversuche der Russen und Iraner“.

Mit anderen Worten: Hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung wird ohne jede Debatte (von einer rechtlichen Grundlage zu schweigen) ein neuerlicher großer Krieg im Nahen Osten vorbereitet, der nicht nur auf einen Regimewechsel in Syrien abzielt, sondern auch auf eine Konfrontation mit dem Iran und der Atommacht Russland.

Dieser Konflikt ist überdies nicht auf den Nahen Osten begrenzt. Wie ebenfalls am Dienstag gemeldet wurde, hat ein mit Luft-Luft-Raketen bestücktes russisches Kampfflugzeug im baltischen Luftraum nahe dem strategischen Militärstützpunkt Kaliningrad ein Spionageflugzeug der USA vom Typ RC-135 abgefangen. Die beiden Flugzeuge sollen sich bis auf 1,5 m nahe gekommen sein. Beide Seiten warfen sich gegenseitig gefährliches Verhalten vor.

Die Nato veranstaltete unterdessen in der ehemaligen Sowjetrepublik Lettland eine Zeremonie aus Anlass der abgeschlossenen Stationierung einer 4500 Mann starken „Abschreckungstruppe“ an der Grenze zu Russland. Das Pentagon hat vor kurzem B2-Tarnkappenbomber und andere Flugzeuge sowie Armeeverbände zu „Übungen“ in die Region verlegt. Russland soll daraufhin an seiner Westgrenze ebenfalls Truppen zusammengezogen haben.

Zwar erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, er könne keine „unmittelbare Gefahr“ einer bewaffneten Konfrontation im Baltikum erkennen, doch der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko sprach von einer „gefährlichen Militärdynamik“.

Die amerikanischen Medien berichten so gut wie gar nicht über die eskalierende Konfrontation im Nahen Osten und die verschärften Spannungen im Baltikum. Auf der ersten Pressekonferenz des Weißen Hauses seit mehr als einer Woche äußerte sich Pressesprecher Sean Spicer mit keinem Wort über die jüngsten US-Militäraktionen in Syrien, und die strammstehende Journaille stellte dazu auch keine einzige Frage.

Begleitend betreibt die Demokratische Partei in enger Abstimmung mit dem Pentagon und der CIA eine unablässige Hetzkampagne gegen Russland, um unter bessergestellten Teilen der Mittelkasse eine neue, vorgeblich fortschrittliche Basis für einen Krieg zu gewinnen. Die Demokraten haben jeden Schritt zur militärischen Eskalation in Syrien begrüßt. Sie verlangen von der Trump-Regierung lediglich einen „umfassenden“ Kriegsplan und fordern bisweilen eine neue Bewilligung des Einsatzes militärischer Gewalt, um solche Aggressionen zu legitimieren.

Doch ungeachtet dieser Machenschaften der Demokratischen Partei und der pseudolinken Organisationen in ihrem Umfeld bringt die Krise des Kapitalismus nicht nur Krieg, sondern auch sein Gegenteil hervor: Der Klassenkampf verschärft sich und die objektiven Bedingungen für die sozialistische Revolution reifen heran. Die dringendste Aufgabe ist der Aufbau einer politischen Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg und dessen Ursache, das kapitalistische System.

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