Perspektive

Das Oberste Gericht und Trumps Einreiseverbot für Muslime

Am 26. Juni hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, Donald Trumps Einreiseverbot für Muslime wieder in Kraft zu setzen. Die Entscheidung ist von großer Tragweite. Untergeordnete Bundesrichter hatten sich bisher geweigert, Trumps diskriminierendes Dekret zu bestätigen. Aber der Oberste Gerichtshof hat Trump jetzt zum Durchbruch verholfen.

Die Bedeutung der Urteilsbegründung liegt nicht etwa in einer brillanten juristischen Argumentation, und sie zeichnet sich auch nicht durch demokratische Prinzipientreue aus. Es handelt sich um ein dürres und dürftiges Dokument von nur dreizehn Seiten. Offensichtlich wurde ein politischer Kompromiss ausgehandelt, und die juristische „Begründung“ ist nur der halbherzige Versuch, ein Ergebnis zu vermitteln, das von vorneherein feststand.

Nichts in der Urteilsbegründung spricht für eine demokratische Gesinnung. Es heißt dort einfach: „Das Gleichgewicht verschiebt sich zu Gunsten des Regierungsauftrags, für die Sicherheit der Nation zu sorgen.“

Die Entscheidung des Obersten Gerichts lässt erkennen, dass in der Frage der amerikanischen Demokratie nach einer längeren Dämmerung die Sonne untergeht. Früher stand das amerikanische politische Establishment im Ansehen, es sei einer gewissen demokratischen Tradition verpflichtet, die aus der amerikanischen Revolution und aus dem Bürgerkrieg stammte. Dieses Image ist seit langem hinter dem Horizont untergegangen.

In lauten, hässlichen Tönen proklamiert Donald Trump die neue Realität. Er spricht die Bigotterie und das Vorurteil an, und damit verkörpert er den faulen Kern des amerikanischen Sozialsystems. Dieser vulgäre Trottel steht für die Kriminalität, die Unwissenheit, die Raubgier, den Egoismus und die Kleptomanie der herrschenden Klasse. Mit Trumps Aufstieg beginnt eine neue Ära von Krieg, Unterdrückung, sozialer Konterrevolution und Klassenkampf.

Die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichts kann mit vollem Recht mit der berüchtigten Entscheidung im Fall Korematsu v. United States verglichen werden. Damals ging es im Jahr 1944 um die Internierung japanischer Einwohner während des Zweiten Weltkriegs. Eine Mehrheit der Richter am Obersten Gericht bestätigte, dass Aufenthaltsverbote, Internierungslager und Ausgangssperren für Bürger japanischer Herkunft rechtmäßig, da militärisch zweckmäßig seien.

Auch heute erlaubt der Oberste Gerichtshof die Diskriminierung aufgrund der Herkunft. Doch im Gegensatz zum Korematsu-Prozess kritisiert heute kein einziger Richter das schreiende Unrecht, das einer verfolgten Minderheit angetan wird.

Im Fall Korematsu gab es zumindest einen Richter, Frank Murphy, der gegen die Entscheidung protestierte. Er erklärte: „Ich widerspreche hiermit dieser Legalisierung von Rassismus. Rassistische Diskriminierung, egal in welcher Form und in welchem Ausmaß, ist als Teil unserer demokratischen Lebensweise nicht zu rechtfertigen. Sie ist in jedem Umfeld unattraktiv, doch in einem freien Volk, das sich zu den Prinzipien der Verfassung der Vereinigten Staaten bekennt, ist sie einfach empörend.“

Wer erhebt heute seine Stimme? Im Jahr 2017 kommt die einzige Kritik im Obersten Gerichtshof von seinem rechten Flügel. Dabei geht es um einen Streit, bei dem sechs Richter Muslime mit „bona fide connections“, also mit engen verwandtschaftlichen Beziehungen, von dem Einreiseverbot in die USA ausnehmen wollen. Die drei übrigen Richter wollen es ohne Einschränkungen in Kraft setzen.

Man weiß nicht, was schlimmer ist – die Dekrete gegen Muslime mit Ausnahme derer, die „enge verwandtschaftliche Beziehungen“ haben, oder die ohne diesen willkürlichen Vorbehalt. Er wird Trumps Einwanderungsbehörden nur noch unberechenbarer machen. Wird sich ein mittelloser, verzweifelter syrischer Flüchtling auf Verwandte in Los Angeles berufen können, zu denen er „Bona-Fide-Verbindungen“ hat? Und wird ein reicher Geschäftsmann mit Beziehungen zur Wall Street gleich behandelt werden wie alle andern?

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs basiert nicht auf dem Recht, sondern auf Lügen und Vorurteilen. Laut Daten von Professor Charles Kurzman von der Universität von North Carolina wurde in den USA seit dem Jahr 2001 kein einziger Terroranschlag von einem Extremisten aus einem der Länder verübt, für die das Einreiseverbot gilt.

Trumps Präsidentendekrete, die in den Medien meist „Reiseverbote“ heißen, sind in Wirklichkeit Ausdruck fanatisch anti-muslimischer Intoleranz. Das räumen seine Gegner und seine Anhänger offen ein. Trump hatte schon im Wahlkampf angekündigt, er werde einen „totalen und vollständigen Stopp der Einreise von Muslimen in die USA“ verfügen. Auf seinen Kundgebungen sprach er immer wieder darüber, dass man Muslime „extrem gründlich überprüfen“ müsse. Sein Berater, der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani, hat öffentlich erklärt, er habe ihn beim Entwurf eines Instruments zur Verfolgung von Muslimen beraten, das einer juristischen Überprüfung standhalten soll.

Im Januar löste die Ankündigung des Einreiseverbots große Proteste aus. Eine klare Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung lehnte die Dekrete ab. Besonders populär waren dabei Plakate mit der Aufschrift: „Zuerst holten sie die Muslime“. Viele Teilnehmer hatten verstanden, dass das Einreiseverbot für Muslime nicht nur ein Angriff auf eine bestimmte Minderheit ist, sondern auf die grundlegenden demokratischen Rechte als Ganzes zielt. Es ist außerdem der Versuch, einen Teil der Bevölkerung gegen einen anderen aufzuhetzen und einen Präzedenzfall für weitere Unterdrückungsmaßnahmen zu schaffen.

Der Unterdrückungsapparat hat es letztlich auf die Arbeiterklasse, die große Mehrheit der Bevölkerung, abgesehen. Sie ist vom politischen Leben ausgeschlossen und entwickelt eine wachsende Wut gegen die Politik der Oligarchie und der Reichen.

Trumps faschistische Berater Steve Bannon und Stephen Miller, die Verfasser der antimuslimischen Dekrete, gehen methodisch vor. Wie schon die Reaktionäre im letzten Jahrhundert schüren sie bewusst Rückständigkeit, Obskurantismus und Vorurteile. Was Trump selbst betrifft, so soll er laut einem Artikel in der Zeitschrift Vanity Fair von 1990 in der Nachttischschublade ein Buch mit Reden Adolf Hitlers haben.

Amerikas „linke“ und „progressive“ Kommentatoren leugnen allesamt das wirkliche Ausmaß der Krise. Als Reaktion auf die Gerichtsentscheidung vom 26. Juni predigen sie, Ruhe zu bewahren. Sie stehen meist der Demokratischen Partei nahe und versuchen, die schändliche Kapitulation des so genannten „liberalen“ Flügels des Obersten Gerichtshofs zu vertuschen, zu dem auch die von Obama ernannten Richterinnen Sonia Sotomayor und Elena Kagan gehören.

Am Tag, nachdem das Einreiseverbot in Kraft getreten war, ließ die New York Times, das Sprachrohr der Demokraten und der CIA, das Thema wieder fallen. Sie widmete ihren Leitartikel dem medialen Aufschrei über Trumps Twitter-Attacken gegen die MSNBC-Moderatoren Mika Brzezinski und Joe Scarborough.

Die gleichen sozialen Schichten behaupten immer wieder, man müsse die Demokraten wählen, um den Obersten Gerichtshof nach links zu zwingen. Da sie auf Identitätspolitik fixiert und für die soziale Realität blind sind, reagierten sie 2009 begeistert, als Obama die aus Puerto Rico stammende Sonia Sotomayor ernannte. Die New York Times begann einen Artikel mit Jubel über „die erste Hispanic und die dritte Frau am Obersten Gerichtshof“.

Heute zucken diese Leute angesichts der einstimmigen Entscheidung zu Trumps Gunsten nur mit den Schultern und reden sie schön.

Die Demokratische Partei selbst ist mit ihrer reaktionären Kampagne gegen Russland völlig ausgelastet. Sie hat kein Interesse daran, den Widerstand der Bevölkerung gegen Trumps antimuslimische Dekrete und gegen die Immigrantenhatz anzufachen.

Die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichts ist Teil eines jahrzehntelangen ständigen Angriffs auf demokratische Rechte und auf den Rechtsstaat. Demokraten wie Republikanern setzen diesen Angriff unvermindert fort. Die Entscheidung baut auf dem seit fünfzehn Jahren andauernden „Krieg gegen den Terror“ auf, den beide Parteien führen.

Dieser Krieg hat das ständige Morden, Folter und Überstellungen salonfähig gemacht. Dasselbe gilt für diktatorische Präsidentenvollmachten, den Ausnahmezustand, die Militärgerichte, die militarisierte Polizei, Straffreiheit für Politiker, Belagerung ganzer Städte, den allgemeinen Lauschangriff, Staatsgeheimnisse, die Verfolgung von Whistleblowern und hurrapatriotische Fremdenfeindlichkeit. In der gleichen Zeit hat sich in den USA eine soziale Konterrevolution entwickelt, und während das Militär im Ausland mörderische Raubzüge führte, ist die soziale Ungleichheit stark angestiegen.

Man muss aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs eindeutige Schlüsse ziehen. In dieser Epoche sind halbherzige Maßnahmen oder unschlüssige Konzeptionen nicht am Platz. Wer gegen Trumps muslimfeindliche Dekrete protestiert, hat nicht nur einen Milliardär und seine Bande von faschistischen Beratern zum Feind. Seine Gegner sind das ganze verkommene Establishment, die herrschende Kapitalistenklasse und ihre Lakaien.

Der wachsende Widerstand gegen das Trump-Regime muss die Kämpfe gegen Unterdrückung, Ungleichheit und imperialistischen Krieg zu einer einzigen politischen Massenbewegung verbinden. Unabhängig von Demokraten und Republikanern muss sie den Kampf gegen das weltweite politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System aufnehmen.

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