Grenfell Tower: „Ich sehe einen Friedhof“

Reporter der World Socialist Web Site (WSWS) trafen vor dem Westway Sports Centre in North Kensington auf die schwangere dreifache Mutter Layla. Die Sporteinrichtung im Stadtteil Kensington und Chelsea wird nach der Brandkatastrophe im nahegelegenen Grenfell Tower als improvisiertes „Hilfszentrum“ benutzt. Freiwillige helfen dort, Familien, die wegen des Brandes evakuiert werden mussten, Unterkunft, Verpflegung und Kleidung zur Verfügung zu stellen.

Layla und ihre Familie wurden aus ihrer Wohnung „direkt unterhalb“ des Grenfell Tower evakuiert. Sie beschrieb, was in den frühen Morgenstunden passierte, als sich das Feuer über die 24 Stockwerke des Gebäudes ausbreitete, und wie sie danach von der Tory-regierten Bezirksverwaltung mit Gleichgültigkeit behandelt wurden.

Anwohner vor einer Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe im Grenfell Tower in North Kensington

„Oh, dieses Geschrei!“, erinnert sich Layla. „Die Feuerwehr hat uns angewiesen, das Gas abzustellen und die Wohnung zu verlassen - wir haben vor Angst geschrien. Die Feuerwehr konnte nichts tun. Fünf Tage lang konnten wir nirgendwo hin. Dann stellte uns die TMO [die Hausverwaltungsgesellschaft Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation] ein Zimmer mit heißem Wasser zur Verfügung, aber ohne Küche. Wie soll ich mein Baby mit Takeaways ernähren? Wir leben hier im reichsten Stadtbezirk Europas, und die haben mir lediglich 500 Pfund gegeben.“

„Die Freiwilligen waren dagegen großartig, sie bringen uns Nahrung und Kleidung. Ohne sie...“

Auf die Frage, wen sie für den Brand verantwortlich macht, antwortete Layla: „Die TMO, die Gemeindeverwaltung von Kensington und Chelsea, die Regierung - sie alle haben Blut an den Händen. Sie sind Mörder. Wir haben sie angebettelt, die Gasrohre einzubauen. Wir haben Mäuse und Asbest!“

„Mein Freund liegt im Krankenhaus, er hat sich wegen der Blausäure [die aus der brennbaren Fassadenverkleidung des Grenfell Tower austrat] die Speiseröhre verbrannt.“

Laylas größte Sorge ist, dass ihre Kinder von dem Ereignis traumatisiert sind. Bei dem Brand starben der Lehrer und drei Freunde ihrer fünfjährigen Tochter und sieben Schulfreunde ihres zwölfjährigen Sohnes.

„Was hat das mit den Kindern gemacht?“, fragt sie. „Sie werden einmal schwere Probleme haben. Und dieses Gift ... Meine Kinder sagen, sie wollen nicht zurück in die schwarze Wohnung. Das ist ein Grab. Wenn ich ausziehe, werde ich dann obdachlos? Ich habe hier 13 Jahre lang gelebt. Ich hatte ein normales Leben, ich war glücklich.“

Layla befürchtet, dass sie für obdachlos erklärt wird, wenn sie nicht in ihre Wohnung zurückkehrt, sobald diese von der Gemeindeverwaltung als sicher eingestuft wird. „Sie wollen, dass wir wie Hunde leben,“ sagte sie.

Der Lieferant Chris sagte: „Ich habe beide Eltern verloren, aber [die Überlebenden von Grenfell] haben alles verloren, ihre Kleidung, ihr ganzes Hab und Gut. ... Jeder hat das Recht auf ein Dach über dem Kopf. Es wird ein langer Kampf um Gerechtigkeit werden.“

Einwohner vor dem Westway Sports Centre

Der Lehrer Edward erklärte, die Behörden „sagen uns alle, wir sollen es ihnen überlassen. Profit ist ihnen wichtiger als Sicherheit. Sie reden davon, die Regulierungen abzuschaffen. Hat nicht [der ehemalige Premierminister David] Cameron vom ‚Krieg gegen die Regulierungen’ gesprochen?“

„Es stimmt, letztlich ist es ein internationaler Kampf. Ich stimme vollkommen mit euch überein, dass das kapitalistische System gescheitert ist.“

Ein anderer Lehrer namens Joe sagte, der Brand im Grenfell Tower habe „die Kluft zwischen den Reichen und den Armen verdeutlicht. Wir wissen nicht, wie viele wirklich vermisst werden; es waren so viele Leute wegen Ramadan zu Besuch. Ein Schüler aus meiner Schule ist tot!“

Katie MacDonald ist Musikerin und Mitglied der Wind-Up Penguin Theatre Company. Sie erklärte: „Wir veranstalten Shows für Kinder und führen sie auf der ganzen Welt auf. Wir arbeiten mit benachteiligten Kindern in Waisenhäusern und Slums, und mit Flüchtlingen aus aller Welt. Jetzt glauben wir, dass es höchste Zeit war, hierher zu kommen und das in London zu machen.“

„In den Ländern, in die wir normalerweise fahren - Indien, Brasilien, Kolumbien - findet noch einiges an Entwicklung statt. In einem Land wie Großbritannien sollte man meinen, dass alles in Ordnung sei, aber so ist es nicht, und das da [sie zeigt auf den Grenfell Tower] ist ein typisches Beispiel... Ich glaube wirklich, dass sich etwas ändern muss.“

Der Grenfell Tower

Der Busfahrer, Cliff, erklärte als Antwort auf die Frage nach seiner Meinung zu Premierministerin Theresa Mays Untersuchung des Brandes: „Sie werden keine Antworten bekommen. Sie wissen, dass sie Mist gebaut haben. Die Reichen sind so gierig und interessieren sich nicht für andere, nur für sich selbst. Dieses Land könnte zu einem Entwicklungsland werden, in dem man im Krankenhaus für seine Behandlung zahlen muss.“

„Was den Boris Johnson [ehemaliger Londoner Bürgermeister und heutige Tory-Außenminister] betrifft: er hat bei der Feuerwehr gekürzt und sämtliche Fahrkartenschalter in der U-Bahn geschlossen. Es gab in London mal ein ordentliches Verkehrssystem, aber die Privatisierung macht alles kaputt.“

Lucy und Sarah stammen aus Aberdeen und waren wegen eines Konzerts der Sängerin Adele in London. Weil dieses Konzert abgesagt wurde, gingen sie stattdessen zum Grenfell Tower, um der Todesopfer zu gedenken.

Lucy erklärte, sie glaube der Polizei nicht, die offiziell nur von 80 Toten ausgeht. „Es frustriert, dass die Leute sagen, die Zahlen würden heruntergespielt, aber wenn man sich das Gebäude anschaut, kann man absolut verstehen warum. Es ist sehr schwer, eine endgültige Zahl festzulegen. Wenn man es sich anschaut, müssen es viel mehr sein. Es waren 120 Wohnungen, in denen im Durchschnitt zwei bis vier Menschen gelebt haben.“

Die Bewohner des Grenfell Tower haben sich jahrelang darüber beschwert, dass das Gebäude unsicher und ein Feuerrisiko war. Lucy sagte: „Das ist genau meine Erfahrung. Wir leben in Schottland in Sozialwohnungen, und wir beschweren uns, doch die interessiert das nicht. Man muss ihnen damit drohen, sich an eine höhere Ebene zu wenden, bevor irgendetwas passiert, und auch dann wird es nie zu unserer Zufriedenheit gemacht.“

„Es wird alles heruntergespielt, weil es zwar irgendwann rauskommen wird, aber niemand den Schwarzen Peter bekommen will. Ich vergleiche das oft mit dem Hillsborough-Stadium [in dem 1989 96 Fans des Fußballclubs Liverpool zu Tode gedrückt wurden]. Damals hat es 28 Jahre gedauert, bis man wusste, wer wirklich daran schuld war. Ich glaube nicht, dass irgendwer in diesem Land 28 Jahre warten will, bis der Schuldige bekannt wird. Es macht mich wirklich wütend.“

Wind-Up Penguin Theatre Company, rechts Katie

Anne Jones aus Clapham sagte: „Uns bricht das Herz beim Gedanken an diese Leute, und hier zu sein, ist einfach nur erschütternd. Ich denke, dass offiziell nur 80 Leute tot sein sollen, aber das kann nicht sein! Wir sind nicht dumm, wir sind aus London, wir wissen, wie viele Menschen in so einem Hochhaus zusammenleben. Eine Frau hatte zwölf Kinder. Vor ein paar Tagen habe ich einen anderen Bericht im Internet gesehen, laut dem Feuerwehrleute 42 Menschen in einer einzigen Wohnung zusammengepfercht entdeckt haben.“

„Ich habe nichts mit Politik zu tun, ich halte die alle für korrupt. Aber persönlich gesagt, Mister Boris Johnson, ich weiß nicht, wie Sie ruhig schlafen können. Er hat die Feuerwachen geschlossen. Alle in der Bezirksverwaltung wussten, dass die Feuerwehrleitern nur bis in den elften Stock reichen. Sie mussten aus Surrey Leitern holen, mit denen sie noch vielleicht drei Stockwerke höher kommen konnten... Das war pure Fahrlässigkeit, er ist mit schuld an den Toten.“

Beim Anblick der ausgebrannten Ruine des Grenfell Tower sagte sie: „Ich kann nichts dazu sagen. Ich schaue auf einen Friedhof, in dem die Angehörigen der Überlebenden begraben liegen.“

Junior sagte der WSWS, er glaube, das Thema würde die Menschen „zusammenschweißen“ und zum Widerstand treiben. „Was ich in meinem Newsfeed lese, ist nicht das, was passiert. Niemand hat den Brexit kommen sehen; niemand hat geglaubt, dass Trump gewinnt. Überall auf der Welt sind die Dinge im Umbruch, unter Arbeitern herrscht große Armut, in Amerika verfallen die Städte.“

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