De Maizière fordert Fußfesseln und Meldeauflagen für Gefährder

Nach den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg reagieren führende Politiker mit immer schärferen Rufen nach innerer Aufrüstung und dem Abbau demokratischer Rechte. Während das brutale Vorgehen der Polizei weitgehend aus der öffentlichen Debatte verdrängt wurde, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht weitere Angriffe auf die Rechte von Demonstranten und politisch Andersdenkenden gefordert werden.

Der jüngste Höhepunkt ist der Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der CDU-Politiker forderte am Samstag in einem Interview mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe den Einsatz von Fußfesseln und Meldeauflagen gegen vermeintliche Gefährder.

„Eine Konsequenz aus Hamburg kann sein, mehr Meldeauflagen zu erlassen“, sagte de Maizière auf die Frage, wie man „Gewalttäter“ schon im Vorhinein abhalten könne. „Die Krawallmacher sollten die Demonstrationsorte gar nicht erst erreichen dürfen. Wir sollten ihnen auferlegen, sich in bestimmten zeitlichen Abständen bei der Polizei zu melden oder ihnen notfalls Fußfesseln anlegen“, erklärte der Innenminister.

„Eine Meldeauflage“, so de Maizière weiter, „ist ein relativ mildes Mittel, sehr wirksam und ihre Verletzung ist sanktionsbewehrt.“ Um Meldeauflagen zu erlassen, könnten die bestehenden Befugnisse aus den Polizeigesetzen „noch effektiver genutzt werden. Den Bedarf an einer Erweiterung der entsprechenden Befugnisse sollten wir prüfen.“

Was der Innenminister hier in bestem Beamtendeutsch erklärt, ist nichts weniger als ein extrem weitreichender Eingriff ins Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Ohne dass es einer vorherigen Straftat bedurft hätte, die durch ein Gerichtsurteil festgestellt wäre, sollen nach dem Willen des Innenministers vermeintlich gefährliche „Gewalttäter“ zukünftig präventiv von Demonstrationen ausgeschlossen werden dürfen. Anders als im Strafrecht gilt im Gefahrenabwehrrecht auch nicht die Unschuldsvermutung, auf deren Grundlage eine Anschuldigung erst bewiesen und durch ein Gerichtsurteil amtlich festgestellt werden müsste.

Erschreckend an diesem Angriff auf demokratische Grundrechte ist vor allem, dass es kaum gesetzlicher Änderungen bedürfe, um die Maßnahmen praktisch durchsetzen zu können. In den vergangenen Jahren sind die Befugnisse von Polizei und Sicherheitsbehörden nämlich derart ausgeweitet worden, dass es nicht mehr viel braucht, um einen Polizeistaat zu errichten, der außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle agiert.

Die gesetzliche Grundlage für den Einsatz von elektronischen Fußfesseln wurde erst vor zwei Monaten mit dem BKA-Gesetz geschaffen. Demzufolge ist es zukünftig möglich, so genannten „Gefährdern“ Hausarrest oder eine Fußfessel anzulegen, die das Bundeskriminalamt in die Lage versetzt, den Aufenthaltsort der Person mittels eines Peilsenders an der Fessel festzustellen. Als Gefährder gelten dem bisherigen Gesetz nach Menschen, bei denen es „Belege“ zur Vorbereitung einer terroristischen Straftat gibt oder deren „individuelles Verhalten“ eine Straftat ermöglichen würde. Das Gesetz, das unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung verabschiedet wurde, verwendet derart vage Begriffe, dass einer willkürlichen Auslegung Tür und Tor geöffnet sind.

Die Ausstellung von Meldeauflagen ist bereits jetzt in den Polizeigesetzen mehrerer Bundesländer geregelt. So heißt es beispielsweise in § 12a des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) für Rheinland-Pfalz: „Die Polizei kann gegenüber einer Person anordnen, sich an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten bei einer bestimmten Polizeidienststelle zu melden (Meldeauflage), wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person eine Straftat begehen wird und die Meldeauflage zur vorbeugenden Bekämpfung der Straftat erforderlich ist.“

Dieser krasse Eingriff in das Persönlichkeitsrecht soll nach dem Willen des Innenministers jetzt viel häufiger zur Anwendung kommen. Es genügt, wenn die Polizei oder eine andere Sicherheitsbehörde auf Grund nicht näher aufgeführter „Tatsachen“ zu der „Annahme“ gelangen, der Betroffene könne zu einem bestimmten Anlass, wie etwa einer Demonstration, eine Straftat begehen. Daraus folgt für den Betroffenen, dass er sich zu bestimmten Zeiten – also ggf. auch mehrfach – an einem durch die Polizei festgelegten Ort aufzuhalten hat, weil er sich dort melden muss. Diese massive Einschränkung der persönlichen Freizügigkeit kann in der Praxis noch dadurch verschärft werden, dass der Betroffene sich möglicherweise während seiner Arbeitszeit zu melden hat, was zu völlig unverschuldeten Problemen im Job führen kann.

Neben der Meldeauflage bietet das Polizeigesetz auch die Möglichkeit, vermeintlichen Gefährdern das Betreten bestimmter Orte im Vorhinein zu verbieten. So heißt es in § 13 Abs. 3 des bereits genannten POG in Rheinland-Pfalz: „Die Polizei kann einer Person verbieten, einen bestimmten Ort, ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder ein Gemeindegebiet zu betreten oder sich dort aufzuhalten, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen wird (Aufenthaltsverbot).“

Meldeauflagen und Betretungsverbote kommen bislang vor allem im Zusammenhang mit Fußballspielen zum Einsatz. In den vergangenen Jahren gab es zahllose Fälle, in denen vermeintlich aggressiven Fußballfans die Auflage gemacht wurde, während eines brisanten Spiels ihrer Mannschaft bei der Polizeiwache ihres Wohnorts vorstellig zu werden. So sollte verhindert werden, dass sie sich an Ausschreitungen beteiligen würden. Anderen wurde verboten, am Spieltag das Gebiet der Stadt zu betreten, in dem ihre Mannschaft ein Spiel austrug.

Grundlage für die Erteilung von Meldeauflagen und Betretungsverboten sind allein die Einschätzungen der Sicherheitsbehörden, die vollkommen undurchsichtig sind und sich jeglicher demokratischen Kontrolle entziehen.

Das Beispiel der Fußballfans macht das Ausmaß deutlich, mit dem abseits der Öffentlichkeit geheime Datenbänke über vermeintliche „Gefährder“ und „Gewalttäter“ angelegt werden. Im Jahr 2015 wurde publik, dass allein die Polizei in Nordrhein-Westfalen geheime Datenbanken mit den Namen von über 6.500 Fußballfans führte. Die Fans wussten nichts von ihrer Eintragung und hatten demgemäß auch keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Insgesamt sammelten zum damaligen Zeitpunkt zwölf von sechzehn Bundesländern Daten über auffällige Fans, wie der Deutschlandfunk berichtete.

Mit seiner Forderung nach einer weitreichenden Einschränkung von Grundrechten steht Innenminister de Maizière allerdings nicht allein da.

Nachdem sich am Wochenende im südthüringischen Themar mehrere tausend Neonazis zu einem Rechtsrock-Konzert trafen – die nicht nur unbehindert anreisen, sondern auch unter den Augen der Polizei Nazi-Symbole zeigen konnten – reagierte der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei mit dem Ruf nach einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit: „Ich denke, wir müssen das Versammlungsrecht derart präzisieren, dass in Zukunft Landratsämter und Genehmigungsbehörden und dann auch in der Folge die entscheidenden Gerichte diese Dinge nicht mehr unter Meinungsfreiheit abtun“, sagte Ramelow gegenüber MDR Aktuell. Im Vorfeld hatten mehrere Gerichte Verfügungen gegen das Konzert unter Hinweis auf das grundgesetzlich geschützte Recht auf Versammlungsfreiheit abgewiesen.

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