Bayern führt zeitlich unbegrenzten Gewahrsam für Gefährder ein

Der bayerische Landtag hat am Mittwoch das bisher weitreichendste Sicherheitsgesetz in der bundesrepublikanischen Geschichte verabschiedet. Das so genannte „Polizeiaufgabengesetz“ (PAG) sieht unter anderem die Möglichkeit vor, vermeintliche Gefährder zeitlich unbegrenzt in Gewahrsam zu nehmen.

Die Möglichkeit, Menschen präventiv einzusperren, ohne dass sie wegen einer Straftat verurteilt worden wären, ist ein massiver Eingriff in die persönlichen Rechte der Betroffenen. In Deutschland sind solche Maßnahmen in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Die meisten Bundesländer sehen vor, dass ein solcher Gewahrsam im Regelfall nur bis zum Ablauf des Tages nach der Ingewahrsamnahme andauern darf. In Bayern galt schon bislang eine wesentlich längere Frist von 14 Tagen.

Doch auch diese Frist ist nun aufgehoben. Künftig dürfen in Bayern Menschen durch die Polizei zeitlich unbegrenzt in Gewahrsam genommen werden. Einzige Einschränkung ist, dass ein Richter nach drei Monaten bestätigen muss, dass von der festgehaltenen Person auch weiterhin eine Gefahr ausgeht. Eine Höchstdauer für den Gewahrsam gibt es nicht. Das ermöglicht es dem bayerischen Staat zukünftig, Personen über Jahre und sogar lebenslänglich festzuhalten, ohne dass sie je wegen einer konkreten Straftat angeklagt oder gar verurteilt worden wären.

Die Neufassung des PAG übertrifft auch in anderer Hinsicht die Polizeigesetze anderer Bundesländer bei Weitem. Denn als Voraussetzung für den Gewahrsam muss künftig nicht einmal mehr die Begehung einer konkreten Straftat drohen, wie dies bisher üblich war. Es genügt nun schon das Vorliegen einer „drohenden Gefahr“. Das ist eine völlig neue juristische Kategorie, die die CSU-Regierung eigens im Gesetz eingeführt hat.

Unter einer „drohenden Gefahr“ versteht man dem Gesetz zufolge, wenn „in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind.“ Woran macht man diese Erwartung wiederum fest? Voraussetzung dafür ist entweder eine „konkrete Wahrscheinlichkeit“, die sich aus dem Verhalten der Person ergibt, oder aber wenn Vorbereitungshandlungen „den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen“.

Diese Formulierungen öffnen in all ihrer Unbestimmtheit und Zweideutigkeit jeglicher Willkür Tür und Tor. Um es auf den Punkt zu bringen: in Bayern kann künftig jedermann für unbegrenzte Zeit in Gewahrsam genommen werden, wenn es die Polizei für „wahrscheinlich“ hält oder zu dem Schluss kommt, dass „in absehbarer Zeit“ die „drohende Gefahr“ besteht, dass er sich in irgendeiner Hinsicht strafbar machen könnte.

Die neue Regelung richtet sich nämlich nicht ausdrücklich gegen Terrorverdächtige, auch wenn bei der Vorstellung des Gesetzesentwurfs im April dieses Jahres oft von der vermeintlichen Gefahr durch radikale Islamisten die Rede war. Tatsächlich ist das Gesetz geeignet, jegliche vermeintliche Gefahr als Anlass für eine Ingewahrsamnahme gelten zu lassen.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang der Begriff der zu befürchtenden „Angriffe“, die dem Gesetz nach eine „drohende Gefahr“ ausmachen. Dieser Begriff wurde erst während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens durch einen Änderungsantrag der CSU eingebracht. Im ursprünglichen Entwurf war stattdessen noch von „Gewalttaten“ die Rede gewesen. Der Unterschied besteht darin, dass man unter „Angriffen“ auch ein nicht-physisches Vorgehen verstehen kann. CSU-Abgeordnete begründeten die Änderung damit, dass es der Begriff der „Angriffe“ ermögliche, mit dem Gesetz auch gegen zu befürchtende Cyber-Attacken oder Stalking vorzugehen.

In den Medien wurde die Gesetzesverschärfung bisher weitestgehend totgeschwiegen. Von den überregionalen Zeitungen brachte einzig die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar dazu. Darin bezeichnete Heribert Prantl die Maßnahme als „Unendlichkeitshaft“, die „eigentlich unvorstellbar“ sei. Man denke bei einem solchen Gesetz „an Guantanamo, Erdogan oder die Entrechtsstaatlichung in Polen“.

Der Vergleich ist berechtigt, doch macht eine historische Analogie das wirkliche Ausmaß der autoritären Staatsaufrüstung noch viel deutlicher. Es waren die Nationalsozialisten, die schon wenige Wochen nach der Regierungsübernahme 1933 die so genannte „Schutzhaft“ einführten. Mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar verschafften sich die Nazis die juristische Grundlage, um völlig willkürlich und ungehindert gegen ihre Feinde losschlagen zu können.

Erste Opfer dieses brutalen Vorgehens wurden vor allem die Führer der Arbeiterbewegung, von denen viele alsbald in den damals neu errichteten Konzentrationslagern einfuhren. Wie das Deutsche Historische Museum auf seiner Website erklärt, befanden sich bis Ende Juli 1933 schon mehr als 26.000 Menschen in Deutschland in „Schutzhaft“. Sie war „eines der schlagkräftigsten Instrumente des NS-Regimes zur Bekämpfung seiner Gegner“, wie es auf der Website heißt.

Die Rückkehr zu diesen Methoden der politischen Justiz steht in direktem Zusammenhang zu der Kampagne, die seit dem G20-Gipfel in Hamburg gegen linke Proteste geführt wird. Die Krawalle im Schanzenviertel wurden provoziert und systematisch aufgebauscht, um die brutalen Polizeimaßnahmen gegen friedliche Demonstranten zu rechtfertigen.

Mit den gefälschten Horrormeldungen von einem „bewaffneten Hinterhalt“ durch Autonome, von einer „neuen Qualität linker Gewalt“ und von „versuchtem Mord“, die von Politik und Medien bewusst lanciert wurden, wurde bereits ein gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten vorbereitet. Mit der Verschärfung des PAG ist nun die Grundlage geschaffen, schon im Vorfeld willkürlich gegen politische Gegner vorzugehen.

Das Gesetz richtet sich dabei weder gegen Terroristen noch gegen anarchistische Randalierer. Es dient dazu, den wachsenden Widerstand gegen die Rückkehr des deutschen Militarismus und die wachsende soziale Ungleichheit zu unterdrücken. Jeder, der der rechten Politik sämtlicher Bundestagsparteien entgegentritt, soll eingeschüchtert und eingesperrt werden. Nicht umsonst kann die Schutzhaft auch bei der Gefährdung „erheblicher Eigentumspositionen“ verhängt werden, also etwa zur Unterdrückung missliebiger Streiks eingesetzt werden.

Es ist daher bedeutsam, dass die bayrische SPD als größte Oppositionspartei im Freistaat das Gesetz unterstützt und sich bei der Abstimmung im Landtag enthalten hat. Der SPD-Abgeordnete Peter Paul Gantzer erklärte in der Debatte, dass seine Fraktion bei einigen Dingen, wie der präventiven Ingewahrsamnahme und der elektronischen Fußfessel „Bedenken gehabt hat, ob wir dem so zustimmen können oder nicht.“ Schließlich habe man sich aber entschieden: „Lassen wir es erstmal so laufen.“

Die SPD möchte lediglich, dass die fundamentalen Angriffe auf demokratische Grundrechte auch effektiv umgesetzt werden. Deshalb kündigte sie an, die Maßnahmen in der nächsten Legislaturperiode zu evaluieren. „Das sind die Dinge, die aus der Praxis heraus noch einmal beleuchtet werden müssen“, sagte Gantzer. Die SPD hatte sich schon in der Kampagne gegen linke Proteste und für die Staatsaufrüstung nach dem G20-Gipfel an die Spitze gestellt.

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